
Was braucht es, um Chefarzt oder Chefärztin zu werden? Wie mache ich „eine Story“ aus meiner Bewerbung? Was sind kluge Fragen im Vorstellungsgespräch? Und: Wie zwingend ist ein MBA? Hans-Georg Lauer, versierter Chefarzt-Coach, kennt die Antworten.
Herr Lauer, wenn man „was läuten“ gehört hat, empfehlen Sie dann die Initiativbewerbung?
Hans-Georg Lauer: Unbedingt. Machen Sie den ersten Schritt. Zu den Auswahlkriterien für einen Chefarztposten gehört, dass der Kandidat oder die Kandidatin kommunizieren kann und die Öffentlichkeit sucht. Auch begrüßen es Personalabteilungen, schon mal jemanden im Bewerberpool zu haben. Nutzen Sie also das eigene Netzwerk, um das Gras wachsen zu hören.
Wie sollte ich dann anklopfen? Per Mail?
Hans-Georg Lauer: Der schriftliche Weg bleibt oft unbeachtet. Lieber sollten Sie direkt zum Hörer greifen, die Entscheidenden auf sich aufmerksam machen und verstehen, was Sache ist. Der Kreis der in Frage kommenden Kandidatinnen und Kandidaten ist oft überschaubar, die Fachärztinnen und -ärzte kennen sich untereinander. Daher sollte man nicht unnötig seinen Hut in den Ring werfen.
Wie ist das Procedere?
Hans-Georg Lauer: Qualifizierte Talente sind rar und wollen auf Herz und Niere geprüft sein. Daher werden oft Headhunter eingeschaltet, die dann – neben Stellenanzeigen – potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten vertraulich ansprechen. Gibt es ein erstes Matching, werden in einem zweiten Schritt häufig Gespräche mit dem kaufmännischen und dem ärztlichen Direktor arrangiert. Anschließend folgen Interviews mit dem Verwaltungsrat und Chefarztkollegen und -kolleginnen. Meistens braucht es drei bis vier Auswahlrunden, bis man einen Vertrag bespricht.
In punkto Managementqualitäten: Reichen „ein paar“ Seminare oder muss ich gleich ein MBA in der Tasche haben?
Hans-Georg Lauer: Das ist abhängig von Größe und Bedeutung der Klinik. Manchmal genügt es zu verstehen, wie man in der jeweiligen Fachdisziplin wirtschaftlich arbeiten und die gewünschten Ergebnisse liefern kann. Diese Kenntnisse kann man sich über Berufspraxis und Interesse für Medizincontrolling selbst aneignen. Allerdings kann heutzutage jeder dritte Bewerbende ein betriebswirtschaftliches Aufbaustudium beziehungsweise MBA vorweisen. Diese Abschlüsse sind nach meiner Erfahrung von unterschiedlichem Niveau, aber für den Lebenslauf sind sie immer ein Vorteil. Dann heißt es: super, Haken dran.
Was muss ich bei der konkreten Bewerbung beachten?
Hans-Georg Lauer: Sie sollten wissen: Was ist meine Motivation? Weshalb möchte ich mich genau auf diese Chefarzt-Stelle bewerben? Wenn Sie Ihren Antrieb kennen und sich im Klaren sind, was die Klinik braucht, lässt sich daraus eine großartige Story machen. Ich hatte einen Bewerber, dem das fabelhaft gelang. Er wurde in jenem Krankenhaus schon als Kind behandelt. Für ihn stellt diese Klinik eine Rückkehr zu den Wurzeln dar, im Sinne von Heimat finden. Dies nutzte er überzeugend als roten Faden in seiner Präsentation. Damit zeigte er der Auswahlkommission auch, dass er sich Gedanken gemacht hatte, was langfristig zu ihm passen würde. Gesucht werden oft Kandidaten, die eine Chefarzt-Position – wenn schon nicht als Lebensstelle – so doch als mehrjährige Aufgabe sehen. Auch sollte der Kandidat den jeweils geltenden Wertekanon der Klinik kennen und Argumente vortragen können, die dazu passen.
Was sind kluge Fragen im Vorstellungsgespräch?
Hans-Georg Lauer: Kluge Fragen sind solche, die für Ihre Medizinstrategie und Ihr Fachgebiet relevant sind, beispielsweise: Wie viel Katheter-Plätze bekomme ich? Wie viel Säle darf ich bespielen? Mit welchen Digitalisierungsinvestitionen kann ich rechnen und wann? Sie sollten den medizinisch/wirtschaftlichen Rahmen für Ihr Medizinkonzept klären. Und auch wenn Sie sich scheuen, eventuell Unangenehmes anzusprechen, rate ich trotzdem: Reden Sie Tacheles! Unklarheiten kommen sonst wie ein Bumerang zurück, und Sie laufen Gefahr, sich in eine Enttäuschung hinein zu manövrieren.
Weitere wichtige Fragen betreffen die Erwartungen der Klinikleitung. Bringen Sie frühzeitig in Erfahrung: Was lässt die Augen des Verwaltungschefs glänzen? Ist es die Patienten-Zufriedenheit? Oder das Image und der Außenauftritt? Oder die Wirtschaftlichkeit?
Was hat bessere Chancen? Die interne oder externe Bewerbung?
Hans-Georg Lauer: Auf die Karriere im eigenen Haus trifft oft die alte Weisheit zu: Der Prophet zählt nichts im eigenen Land. Es gibt die Tendenz, zukünftige Chefinnen und Chefs von außen zu holen. Als würde man meinen, die könnten besser durchgreifen, mehr Schwung in den Laden bringen. Oder man möchte sich mit einer fachlichen Kompetenz verstärken, die es im Haus bislang nicht gab.
Was muss ich generell beachten, wenn ich Chefarzt oder Chefärztin werden will?
Hans-Georg Lauer: Idealerweise sollten Sie Ihre Vita frühzeitig auf dieses Ziel ausrichten. Tun Sie fachlich alles Notwendige. Bringen Sie in Erfahrung, wann Ihre Zielposition frei werden könnte, zum Beispiel aus Altersgründen. Überlegen Sie, wie Sie sich dort bekannt machen können. Fachliche Alleinstellungsmerkmale beziehungsweise besondere Skills in ausgewählten Weiterbildungsbereichen sind hilfreich.
Im Fokus steht aber auch die eigene Persönlichkeit. Sie sollten sich fragen: Habe ich Lust, zu moderieren, Entscheidungen zu fällen, Zukunft zu planen und dabei mit Ressourcen wirtschaftlich umzugehen? Wie sieht es aus mit dem dafür nötigen organisatorischen Geschick? Es geht darum, Menschen mitzunehmen, ein Team aus ärztlichen, therapeutischen und pflegenden Mitarbeitenden zu bilden.
Was sollte ich in jüngeren Jahren bedenken?
Hans-Georg Lauer: Wer sich noch nie beworben hat, sollte wissen, dass es gerade bei den ersten Versuchen zum Scheitern kommen kann. Das darf man nicht persönlich nehmen und sich nicht entmutigen lassen, sondern als Lernchance begreifen. Je häufiger Sie solche Situationen durchlaufen, desto besser verstehen Sie die Spielregeln und wissen, auf was es wirklich ankommt. Ich rate den Jüngeren deshalb, sich auf Stellen zu bewerben, die weder die allererste Wahl sind, noch die Lieblingsposition als ersten und einzigen Versuch zu nutzen.
Was sollte ich in höherem Alter beherzigen?
Hans-Georg Lauer: Stellen Sie sich trotz aller Erfahrungen und Verdienste mental neu auf die Stelle und ihre spezifischen Anforderungen ein. Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Ich weiß genau, wie das hier läuft“ oder „Mir ist schon klar, was ich hier zu tun habe“ sind Killerphrasen, die gar nicht gut ankommen. Hier ist eher Demut angezeigt. Das heißt, bringen Sie ruhig Ihre Erfahrung ein, aber vermitteln Sie, dass Sie willens und in der Lage sind, Neuland zu betreten.
Wie oft wechseln Chefärztinnen und Chefärzte heute die Stellen?
Hans-Georg Lauer: Bis vor zehn bis 15 Jahren eher selten. Es war eine Lebensstelle. Das hat sich geändert, alle sind mobiler. Ein Chefarzt oder eine Chefärztin kann im Lauf seines Berufslebens inzwischen durchaus drei bis vier verschiedene Arbeitgeber durchlaufen. Auch in so einer Position sitzen Sie daher nie im „sicheren Sattel“. Ich kenne viele, die sich deswegen für eine Oberarzt- und gegen eine Chefarztkarriere entscheiden.
Was sind typische Stolpersteine in der Bewerbung?
Hans-Georg Lauer: Ich erlebe häufiger, dass Kandidatinnen und Kandidaten die Anforderungen der jeweiligen Chefarztstelle nicht im nötigen Ausmaß verstanden und ihre Antworten darauf eben auch nicht im Vorstellungsgespräch eingebracht haben. Beispiel: Ich betreute einen Bewerber für eine neurologische Chefarztposition. Er wusste schon, dass es diesem Klinikverbund vor allem um die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ging. Aber seine innere Haltung war zu sehr von fachlichen Argumenten geprägt, auf die er immer wieder zurückkam. Es gelang ihm nicht, dem Auswahlkomitee zu vermitteln, dass er sich auch um das Betriebswirtschaftliche hinreichend kümmern werde. Arbeitgeber bekommen im Bewerbungsgespräch einen ersten Vorgeschmack darauf, wie sich die Bewerbenden im Klinikalltag präsentieren werden.
Welche guten Beispiele sind Ihnen aus Ihren Coaching-Projekten besonders in Erinnerung geblieben?
Hans-Georg Lauer: Ich denke da an einen Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der das exzellent gemeistert hat. Er schaute schon früh, bei welcher Klinik er eine Chance hat, wer wann wahrscheinlich wechselt und wo es Anknüpfungspunkte gibt. So suchte er im Vorfeld die Kontakte zu den Verwaltungen, präsentierte sich auf Kongressen und baute das über drei Jahre planvoll und durchdacht auf, um sich immer wieder ins Gespräch zu bringen. Das kostete ihn neben dem normalen Klinikalltag und der Habil aber auch viel extra Zeit. Auch erinnere ich mich an eine Kardiologin, die sich als Frau in Vorstellungsrunden diskriminiert fühlte, einen berechtigten „Gender-Ärger“ entwickelte, aber darüber ihre Impulskontrolle verlor. Ihr gelang es mittels Coaching, eine Haltung der inneren Stärke zu entwickeln. Sie wurde souveräner und konnte sich am Ende auch durchsetzen.
Kommen Teilzeitmodelle auch hier langsam an?
Hans-Georg Lauer: Teilzeitmodelle oder Job Sharing sind noch die große Ausnahme. Ich habe das in meiner Praxis bislang nur einmal erlebt. Der Bewerbermangel in ausgewählten Fachbereichen oder Regionen und der Wunsch der Generation Y nach mehr Freizeit werden es zukünftig mit sich bringen, dass die Verwaltung hier häufiger Kompromisse machen muss.
Ihr Tipp zum Schluss?
Hans-Georg Lauer: Wenn Ihnen der Karrieresprung im eigenen Haus winkt, empfiehlt es sich, immer mal wieder beim Chef oder der Chefin mitzulaufen. Sie sollten Situationen erleben, die außerhalb des ärztlichen Fachkontextes liegen, erspüren, was es mit sozial kommunikativen Kompetenzen wirklich auf sich hat oder was sich hinter den Management-Kompetenzen verbirgt. Sprechen Sie Ihre Vorgesetzten darauf an.
Für Bewerbungen von außen gilt: Bauen Sie sich in Ihrer Fachgesellschaft frühzeitig Netzwerke auf. Nutzen Sie deren Kongresse, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn eine Position frei wird, gelingt das Entrée leichter, wenn Sie ärztliche Kolleginnen und Kollegen „als Fürsprecher aktivieren“. Ich helfe meinen Klientinnen und Klienten auch dabei, ihr Netzwerk perspektivisch aufzubauen und darin fachliche Experten zu integrieren. Und ich unterstütze sie, dieses Netzwerk während der Bewerbungsphase ohne Scheu anzusprechen.