
Die Abmahnung gilt als „gelbe Karte“. Doch warum kann sie mir in der Klinik oder Praxis gezeigt werden? Und was ist dann am besten zu tun? Rechtsanwalt Andreas Wagner vom Marburger Bund klärt auf.
Herr Wagner, gibt es weitverbreitete Irrtümer zum Thema Abmahnung?
Andreas Wagner: Ja. Zum Beispiel, dass vor einer Kündigung drei Abmahnungen ausgesprochen werden müssen. Weitere Irrtümer sind, dass zwingend zuerst eine Ermahnung zu erfolgen hat oder eine Abmahnung nur für eine genau definierte Zeit in der Personalakte verbleiben darf.
Was sind die einzelnen Schritte?
Andreas Wagner: Liegt aus Sicht eines Arbeitgebers ein beanstandungswürdiges Verhalten einer Ärztin/eines Arztes vor, muss er entscheiden, wie er darauf reagiert beziehungsweise reagieren darf. Dabei sind neben der Abmahnung auch eine Ermahnung oder sogar eine Kündigung als Reaktion möglich. Die Ermahnung ist sozusagen die niedrigste Form. Sie erfolgt im Allgemeinen bei leichten Vergehen, für die der Arbeitgeber keine Sanktionen androhen will. Sie ist also mehr als Fingerzeig zu verstehen und muss auch nicht vor einer Abmahnung erfolgen. Die Abmahnung gilt dagegen als „gelbe Karte“ und – wenn das beanstandete Verhalten wiederholt wird − als Vorbereitung der Kündigung. Bei schwerwiegenden Vergehen kann die fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung erfolgen.
Welche Gründe für Abmahnungen kommen im ärztlichen Bereich häufig vor?
Andreas Wagner: Da ist die Bandbreite groß. Meist kommt es dazu, wenn das Arbeitsverhältnis ohnehin bereits „knirscht“. Was wir öfter mitbekommen, sind Vorwürfe, die Patientenbehandlung betreffend. Da heißt es zum Beispiel, eine Ärztin/ein Arzt hätte eine Untersuchung unterlassen, eine falsche Anordnung getroffen oder eine ungeeignete Therapie eingeleitet. Ebenso gibt es Vorhaltungen aufgrund von Unfreundlichkeit oder Unpünktlichkeit. Häufig ist zudem der Vorwurf, dass Krankmeldungen nicht rechtzeitig erfolgt seien.
Gibt es ein standardisiertes Vorgehen?
Andreas Wagner: Nein, aber eine Abmahnung muss natürlich gewisse Voraussetzungen erfüllen, um rechtswirksam zu sein. Sie ist zwar mündlich möglich, wird aus Beweiszwecken aber fast immer schriftlich erteilt. Ansonsten gilt generell: Der Arbeitgeber muss ein bestimmtes Verhalten, von dem er behauptet, es verstoße gegen arbeitsvertragliche Pflichten, beanstanden, konkret benennen, den Mitarbeitenden auffordern, sich künftig vertragsgemäß zu verhalten und für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen androhen.
Ist der nächste Schritt immer die Kündigung?
Andreas Wagner: Das kann durchaus sein, wobei es sich aber um einen „gleichgelagerten“ Verstoß handeln muss. Wird zum Beispiel wegen Unpünktlichkeit abgemahnt, kann nicht wegen anderer Verstöße, zum Beispiel unterlassene Dokumentation, gekündigt werden. Dann müsste das andere vorgeworfene Fehlverhalten abgemahnt werden.
Kann ich für die gleiche Sache mehrmals abgemahnt werden?
Andreas Wagner: Ja, wobei der Arbeitgeber aber Gefahr läuft, dass eine Kündigung irgendwann nicht mehr wirksam ist. Je öfter er eine Abmahnung ohne Konsequenz ausspricht − zum Beispiel bei wiederholtem verspätetem Arbeitsbeginn − desto mehr schwächt sich ihre eigentliche Warnfunktion ab.
Was sollte ich bei einer Abmahnung tun? Das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen?
Andreas Wagner: Man sollte immer anhand der konkreten Vorwürfe und der eigenen persönlichen Situation entscheiden, welche Schritte angeraten sind. Das kann ein Gespräch mit dem Arbeitgeber sein. In den meisten Fällen jedoch – vor allem, wenn man der Meinung ist, die Abmahnung sei nicht gerechtfertigt − sollte zunächst eine schriftliche Gegendarstellung erfolgen. Führt diese nicht zum Erfolg, muss man über eine Klage beim Arbeitsgericht nachdenken. Manchmal kann es aber auch ratsam sein, die Abmahnung hinzunehmen und Gras über die Sache wachsen zu lassen. Aber noch einmal: So banal es klingen mag, es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Ist es zum Beispiel sinnvoll zu klagen, wenn ich in der Probezeit bin? Geht es um eine Sondersituation, die so wahrscheinlich nicht mehr vorkommen wird? Oder handelt es sich um reine Schikane des Arbeitgebers, gegen die man sich wehren muss?
Kennen Sie Beispiele für ungerechtfertigte Abmahnungen?
Andreas Wagner: Leider ja. So hatten wir vor ein paar Jahren einen „krassen“ Fall. Ein Arzt in Weiterbildung sollte die Arztbriefe unbedingt immer am gleichen Tag fertig schreiben. Aufgrund der vielen Arbeit konnte er das aber unmöglich schaffen. Er durfte auch keine Überstunden aufschreiben und nicht länger in der Klinik bleiben. Also hat er sie mit nach Hause genommen, um sie dort zu verfassen. Und dafür ist er abgemahnt worden, weil es verboten war, Unterlagen aus der Klinik zu entfernen. Wir haben die Interessenvertretung übernommen und eine Lösung der Angelegenheit unter Rücknahme der Abmahnung erreicht. Der Arzt hat dann das Arbeitsverhältnis bis zur Facharztreife in der gleichen Klinik fortgeführt.
Empfiehlt sich eine Gegendarstellung? Und kann man die einfach „aus dem Bauch heraus“ schreiben?
Andreas Wagner: In dem meisten Fällen empfiehlt sich eine Gegendarstellung, die ja auch in die Personalakte kommt. Gerade wenn unklar ist, ob die Abmahnung berechtigt ist, raten wir dazu. Dafür gibt es keine Mustertexte, sie sollte aber juristisch geprüft sein. Manchmal sehen wir Gegendarstellungen, die emotional verfasst sind und bei denen wir denken: „Um Himmelswillen, da reitet sich jemand ja noch weiter rein − und generiert den nächsten Vorwurf!“ Denn das ist in diesen emotionalen Momenten schnell geschehen. Also bitte immer vorher anwaltlich prüfen lassen!
Welche Chance hat eine Klage?
Andreas Wagner: Das kann man nie hundertprozentig vorhersagen. Wenn wir gemeinsam mit den Betroffenen entscheiden, vor Gericht zu gehen und auf Entfernung der Abmahnung zu klagen, dann immer nur, wenn wir die Prognose einer Erfolgsaussicht abgeben können und es auch taktisch sinnvoll erscheint. Oft unterbreiten die Gerichte in diesen Fällen Vergleichsvorschläge, wonach die Abmahnung nur noch eine gewisse Zeit, wie beispielsweise ein halbes Jahr, in der Personalakte bleibt. Ob sie gerechtfertigt war oder nicht, wird im ersten Schritt gar nicht näher geprüft – und dann ärgert sich mancher, der sich ungerecht behandelt fühlt. Trotzdem muss man dann entscheiden, ob man den Vergleich annimmt oder den Prozess fortführt, was mitunter sehr lange dauern kann. Aber auch da gilt wieder: alles eine Frage der individuellen Situation.
Manchmal führt eine Abmahnung auch dazu, dass beide Seiten sagen, dass es sowieso keinen Sinn mehr macht, weiter zusammenzuarbeiten und es stellt sich eventuell die Frage: Beendet man das Arbeitsverhältnis, zum Beispiel auch mit einer Abfindung?
Man hört es oft: Schon einen Kuli eingesteckt zu haben, ist ein Kündigungsgrund. Aber das sollte doch nicht mal eine Abmahnung rechtfertigen, oder?
Andreas Wagner: Auch das hängt immer stark vom Einzelfall ab. Grundsätzlich kann bereits das Stehlen von geringfügigen Dingen ein Kündigungsgrund ohne Abmahnung sein. Auf der anderen Seite entschied das Bundesarbeitsgericht 2012 beispielsweise, dass die private Handynutzung eines Chefarztes – neben seinem erlaubten Diensttelefon − während einer OP keine fristlose Kündigung rechtfertigt, sondern nur eine Abmahnung.
Wann „hagelt“ es denn gleich die Kündigung?
Andreas Wagner: Ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung erst, wenn der Arbeitgeber behauptet, es sei ihm nicht zumutbar, den jeweiligen Mitarbeitenden noch einen Tag länger zu beschäftigen. Dafür muss er aber beweisen, dass ein erheblicher rechtswidriger/schuldhafter Pflichtenverstoß vorliegt. Neben der so genannten Interessenabwägung muss der Arbeitgeber dabei ebenso prüfen, ob nicht ein milderes Mittel in Betracht kommt. Dazu zählt auch die Abmahnung, gerade bei einem sogenannten steuerbaren Verhalten. Dies wäre zum Beispiel bei einer ungenügenden Dokumentation der Fall.
Hier kann der Arbeitgeber durch die Abmahnung quasi „erzieherisch“ tätig werden, eine fristlose Kündigung wäre grundsätzlich unverhältnismäßig. Andererseits gibt es auch schwerwiegende Vorfälle, die im Verhaltens- und Vertrauensbereich liegen, wie Verletzung der Schweigepflicht, Betrug zu Lasten des Arbeitgebers oder Tablettenmissbrauch. Bei Vorwürfen dieses Kalibers steht immer auch im Raum, dass der Verstoß so schwer ist, dass die Betroffenen auch ohne Abmahnung sicher wissen, dass das Verhalten nicht hingenommen werden wird. Hier droht daher immer die außerordentliche Kündigung ohne vorherige Warnung. Aber auch jetzt kommt es immer auf den Einzelfall an, ob trotz schwerwiegenden Verstoßes die Kündigung wirksam ist.
Ist es manchmal sogar ein Strafbestand? Wo ist die Grenze?
Andreas Wagner: Ein Vertragsverstoß, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, kann eine strafrechtliche Komponente haben. Dazu zählen Abrechnungsvorwürfe, Behandlungsfehler oder − was wir auch schon erlebt haben − der Diebstahl von Betäubungsmitteln.
Wie lang ist meine „Probezeit“ bis die Abmahnung nicht mehr gilt?
Andreas Wagner: Es gibt keine. Früher wurde behauptet, nach zwei Jahren muss diese aus der Personalakte entfernt werden. Das Bundesarbeitsgericht sagt mittlerweile, wenn das abgemahnte Verhalten rechtlich völlig bedeutungslos geworden ist und für die zukünftige Entwicklung des Arbeitsfeldes keine Rolle mehr spielt, hat die Ärztin/der Arzt den Anspruch, eine berechtigte Abmahnung entfernen zu lassen. Meistens muss man dafür auf den Arbeitgeber zugehen. Wenn der nun aber sagt, der Vorwurf könne, überspitzt formuliert, bis zur Rente Bedeutung haben und sein Interesse ist nachweisbar, darf sie auch so lange drinbleiben.
Haben Sie schon mitbekommen, dass Arbeitgeber Gründe vorschieben, um Ärztinnen und Ärzte loszuwerden?
Andreas Wagner: Ja, insbesondere im chefärztlichen Bereich. So wurde letztens einem Chefarzt vorgeworfen, der Personalmangel in seiner Abteilung beruhe auf fehlerhafter Führung. Insgesamt kommt es im chefärztlichen Bereich aber selten zu Abmahnungen; eher versucht man gleich, sich zu trennen. Hintergrund sind meist nicht die medizinischen Leistungen, sondern, dass der Träger mit der wirtschaftlichen Entwicklung unzufrieden ist. Das führt manchmal zu äußerst unangenehmen Situationen und „fiesen Nummern“. Da wird ein Chefarzt vom Arbeitgeber einbestellt und es heißt: „Wir haben Abrechnungsfehler gefunden. Entweder Sie unterschreiben jetzt den Aufhebungsvertrag ohne Abfindung zum heutigen Tag, oder wir geben es sofort an die Staatsanwaltschaft.“ Nun sitzen die Betroffenen da, können niemanden anrufen, geraten in Panik und unterschreiben, ohne sich vorher anwaltlich beraten zu lassen.
Sind Abmahnungen bei Ärzten überhaupt ein häufigeres Thema?
Andreas Wagner: Das kommt immer mal wieder vor, ist aber kein Dauerthema unserer Beratung, wie Arbeitszeiten, Dienstbelastungen, Überstunden. Unsere Kernarbeit dreht sich in erster Linie um die Prüfung von Arbeitsverträgen. Generell möchten wir Ärztinnen und Ärzte sensibilisieren und ihnen sagen: „Passt auf und lasst euch beraten“.