Auf dem Gesundheitswesen lastet ein enormer Druck, vielfacher Ärger ist damit vorprogrammiert. Während der eine beim Vorgesetzten „nur“ mit seinem Verhalten aneckt, macht der andere vielleicht sogar Fehler. Da lässt das Kritikgespräch meist nicht lange auf sich warten. Was muss ich beachten, damit das möglichst gut für mich läuft? Klinik-Coach Heike Beck-Cobaugh weiß Rat.
Wenn mir der Chef eine Standpauke hält, was sind die größten Fettnäpfchen, in die ich treten kann?
Heike Beck-Cobaugh: Selbst, wenn Ihnen gar nicht gefällt, was gesagt wird: Fehler-Klassiker Nummer 1 ist, den Chef zu unterbrechen. Denn dies wird seine Emotion nur erhöhen. Das kann man sich wie eine Welle vorstellen. Lassen Sie ihn ausreden, rollt diese aus und verliert an Heftigkeit. Fallen Sie ihm dagegen ins Wort, prallt sein Ärger wie gegen eine Wand, nimmt noch mal Anlauf und kehrt umso stärker zurück. Wichtig auch: Zweifeln Sie nie – außer Sie sind sich ganz sicher – an, was Ihr Vorgesetzter sagt. Das passiert leider oft reflexartig nach dem Motto „das kann ich mir gar nicht vorstellen…“. Auf der anderen Seite kommt das aber an, als würden Sie Ihrem Gegenüber eine falsche Behauptung oder sogar eine Lüge unterstellen. Auch den Anlass herunterspielen nach der Devise „ach, das war ja bloß…“, ist keine gute Idee.
Wenn ich mich aber verteidigen will?
Heike Beck-Cobaugh: Das ist die Standardreaktion. Nahezu alle Menschen möchten den anderen in dieser Situation von ihrer Sicht der Dinge überzeugen. Oft wollen wir ganz schnell beweisen, dass wir im Recht sind, obwohl wir die Kritik noch gar nicht bis zum Ende gehört haben. Doch das ist nicht empfehlenswert. Denn während wir glauben, etwas zu erklären, hört unser Gegenüber nur eine Rechtfertigung. Und das heizt die Emotionen bloß an, was in einer Konfliktspirale münden kann.
Aber wenn der Chef mich auffordert: „Jetzt sagen Sie mal was dazu…“
Heike Beck-Cobaugh: Hier empfiehlt es sich, den Ball mit einer Frage zurückzuspielen, zum Beispiel: „Was genau hat Sie gestört?“ So kommen Sie in einen Dialog, was gerade für Kritikgespräche sehr hilfreich ist. Sollen Sie Stellung beziehen, können Sie fragen: „Möchten Sie, dass ich erkläre, wie es dazu gekommen ist?“ Lautet die Antwort ja, darf das auch folgen. Viele werden nun aber zu hören bekommen: „Nein, eine Erklärung möchte ich nicht. Ich will wissen, was Sie jetzt machen.“
Sollte ich mich auf ein Kritikgespräch vorbereiten?
Heike Beck-Cobaugh: Leider findet die Kritik oft spontan und sogar vor „versammelter Mannschaft“ statt. Eine gute Reaktion darauf ist, Sie um einen anderen Rahmen zu bitten: „Ich würde dies gern unter vier Augen besprechen. Das ist mir jetzt unangenehm.“ Und ansonsten eher wenig oder nichts dazu zu sagen. Super wäre es, vielleicht am nächsten Tag zum Chef zu gehen, für eine Rückmeldung nach dem Motto „ich habe Ihre Kritik verstanden und möchte Sie bitten, das nicht mehr vor den anderen zu tun“. Das erfordert jedoch viel Mut. Führungskräfte, die Kritik professionell handhaben, führen ihre Mitarbeiter allerdings nicht vor, sondern bestellen sie mit kurzem zeitlichen Vorlauf zum Gespräch ein. Und wer sich dann drauf vorbereiten kann, sollte dies auch tun.
Was ist dabei zu beachten?
Heike Beck-Cobaugh: Bei der Vorbereitung spielen weniger die Fakten eine Rolle, wichtiger ist es die eigenen Gefühle wahrzunehmen. Hinterfragen Sie sich: Bin ich ängstlich, wütend? Und loten Sie aus, was Sie tun können, um sich nicht von dieser Emotion bestimmen zu lassen. Merken Sie sich dafür einige Stichworte, auf die Sie sich im Gespräch konzentrieren können. Überlegen Sie sich zweitens, welches Thema da kommen könnte und wie Sie dann idealerweise reagieren sollten. Meistens kennt man die Thematik zwar nicht genau, dennoch ist einem der Chef schließlich bekannt. Idealerweise spielen Sie alle Varianten durch, die Ihnen einfallen. Je besser Sie auf unterschiedliche Situationen vorbereitet sind, desto weniger passiert Ihnen. Das kann auch bedeuten, dass Sie zu manchem erst einmal gar nichts sagen. Meine Empfehlung lautet generell „weniger ist mehr“. Vor allem sollten Sie darüber nachdenken, welchen Eindruck Sie hinterlassen möchten. Mit welchem Ergebnis wollen Sie rausgehen? Das kann beispielsweise sein: die Eskalation vermeiden, Fakten zur Problemlage oder einen klaren Auftrag bekommen.
Wie schaffe ich es, die Kritik nicht persönlich zu nehmen und mehr auf die sachliche Information zu hören?
Heike Beck-Cobaugh: Das werden Sie, ehrlich gesagt, wahrscheinlich nicht hinbekommen. Die meisten meiner Kunden meinen zwar, dass sie mit Kritik umgehen können, wenn sie gerechtfertigt ist – doch nach über zwanzig Jahren in der Konfliktmediation würde ich sagen, dass das selten stimmt. Menschen reagieren in der Regel emotional auf Kritik. Wir sind empfindlich, weil wir nur eine Methode kennen, Konflikte auszutragen: als Sieger oder Verlierer. Wir haben einfach nicht gelernt, anders damit umzugehen. Stehen wir auf der Verliererseite, wo man sich als Mitarbeiter verorten muss, verhalten wir uns kindlich nach dem Motto, „der ist ja so gemein“. Kritik aber hat mit Korrektur zu tun und nicht damit, dass ich insgesamt als Mensch nicht gut bin.
Konstruktiv ist es, das Geschehene im Nachhinein zu analysieren. Nehmen Sie dazu Stift und Zettel mit ins Gespräch – am besten in einer Mappe, die man zuklappen kann – und notieren Sie stichpunktartig, wann Sie emotional geworden sind und was konkret vereinbart wurde. Stellen Sie sich anschließend auch die Fragen: Was genau hat mich getroffen? Was ist sachlich richtig, also: Ist an der Kritik was dran? Denn der eigene Anteil wird meist ausgeblendet, doch genau das ist die Sachebene. Am Ende steht immer die Kernfrage: Sollte ich nochmal in einer ähnlichen Situation stecken, was würde ich anders machen wollen? Wer eine lösungsorientierte Sicht entwickelt, lernt auch wirklich etwas daraus.
Gibt es Geschlechterunterschiede?
Heike Beck-Cobaugh: Gerade Frauen reagieren sehr empfindlich, weil es unter ihnen so viele Perfektionistinnen gibt. Deswegen nehmen sie das auch mit ins Bett. Männer sind, was ihre Gefühle betrifft, eher nutzenorientiert. Wenn die merken, das regt sie zu sehr auf, sagen sie sich „das bringt jetzt eh nichts“ oder schieben es von sich nach der Devise „was kann ich denn dafür, wenn das so ein Vollpfosten ist“. Bei beiden Geschlechtern kommt allerdings die Scham hinzu, eins der stärksten Gefühle überhaupt. Ich will nicht sehen, dass der andere tatsächlich recht hat.
Nützt es, wenn ich mit jemandem vorher darüber rede?
Heike Beck-Cobaugh: Dazu neigen ebenfalls Frauen eher. Ich rate zur Vorsicht: Überlegen Sie sehr gut, an wen Sie sich wenden. Besser nicht an eine Freundin, von der Sie wissen, dass sie sagen wird: „Du musst dich wehren.“ Denn dann gehen Sie mit einem Problem rein und kommen mit zweien raus. Ideal ist ein Mentor, vielleicht auch ein Oberarzt, wenn Sie beispielsweise Assistenzärztin sind. Ihn können Sie fragen: „Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich glaube, es geht da und da drum. Haben Sie eine Empfehlung für mich?“ Also jemand, der Ihnen wirklich einen Rat geben kann. Männer werden meist mit niemandem darüber sprechen. Die machen das mit sich selbst aus.
Was kann ich für ein gutes Gesprächsende tun?
Heike Beck-Cobaugh: Eigentlich ist das Chefsache, aber die meisten werden das Gespräch nicht sachlich geordnet führen, sondern sind selbst entweder genervt oder nervös. Wenn Sie das souverän hinbekommen wollen, könnten Sie das Ergebnis kurz zusammenfassen indem Sie sagen: „Sie erwarten von mir, dass ich das in Zukunft so mache und das nehme ich jetzt mit. Ich hätte einfach die Bitte, wenn Sie das Gefühl haben, das geht immer noch in die falsche Richtung, dass Sie zeitnah wieder auf mich zukommen.“ Das wäre megasouverän. Und dass Sie sich anschließend hinsetzen und schauen, wo Sie noch dran arbeiten müssen. Das Ganze hat auch sehr viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Deswegen empfehle ich auch, behalten Sie ruhig Ihre Notizen. So können Sie auch Jahre später noch mal vergleichen, wie Sie sich entwickelt haben. Übrigens: Für alle Tipps, die ich hier gebe, heißt es: üben, üben, üben…
Kann man aus Fehlern lernen?
Heike Beck-Cobaugh: Klar kenne ich die Redeweise „aus Fehlern lernt man“, aber ich kenne kaum jemanden, der das freiwillig tut. Stattdessen erzählen mir meine Klienten eher, was andere falsch machen. Unsere schwierige Fehlerkultur fängt schon in der Schule an. Doch ohne Fehler hätte sich die Menschheit nie weiterentwickelt. Fehlerkonferenzen sind prinzipiell ein tolles Mittel, das zu ändern. Dabei kommen die Teammitglieder unter klaren Verhaltensregeln regelmäßig zusammen, tragen eigene Fehler vor und teilen Lösungen. In Kliniken herrscht aber immer noch eine starke Hierarchie. Es ist ein richtiges Haifischbecken, gerade in der Ärzteschaft. Da funktioniert das leider nicht. Fehler werden oft gegen den anderen benutzt. In der Pflege klappt das schon eher.
Muss ich alle Kritik annehmen?
Heike Beck-Cobaugh: Natürlich nur, was arbeitsrechtlich erlaubt ist. Niemand kann von Ihnen beispielsweise verlangen, Ihre Pausen durchzuarbeiten. Auch muss man seine persönliche Grenze schützen. Wenn ein Vorgesetzter sehr emotional wird und beispielsweise Sätze sagt wie, „ja, haben Sie Ihr Gehirn nicht eingeschaltet?“ können Sie entgegnen: „Ich nehme Ihre Kritik ernst, aber hören Sie bitte auf mich so zu titulieren.“ Am besten ganz ruhig und dann erst mal abwarten. Das ist auch gut für Ihr Selbstbewusstsein. Dennoch ist ein Kritikgespräch kein Wunschkonzert. Ist die Arbeitsanweisung legitim, muss ich sie erfüllen. Möchte ich das nicht, stellt sich die Frage, ob das noch der richtige Arbeitsplatz für mich ist.
Die Expertin:
Heike Beck-Cobaugh ist seit 1994 im deutschen Klinikwesen als Coach, Dozentin und Mediatorin tätig. Schwerpunkte sind Konfliktmanagement und Coachings von medizinischen Leitungspersonen.
Mehr Infos: www.cobaugh.de, Podcast Coach-to-go unter https://coachtogo.buzzsprout.com
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