Zusatz-Weiterbildung Ernährungsmedizin: Dauer, Inhalte, Voraussetzung

10 Mai, 2023 - 08:58
Marie Jacqueline Tanase
Ernährungsmedizin: Ärztin mit Flipchart und gesunden Lebensmitteln

"Du bist, was Du isst" – wie gesund oder krank ein Mensch ist, hat häufig auch etwas mit der Ernährung zu tun: So sind Volkskrankheiten wie Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Beschwerden stark davon abhängig, was Patientinnen und Patienten essen und trinken. Doch auch bei vielen anderen Erkrankungen spielt die Ernährung eine Rolle. Wie die Zusatz-Weiterbildung Ernährungsmedizin abläuft und wie lange sie dauert, erfahren Sie im Beitrag.

Auf einem Blick: Zusatz-Weiterbildung Ernährungsmedizin

  • Definition: Die Ernährungsmedizin umfasst die Erkennung, Behandlung und Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen sowie von Erkrankungen, die durch angeborene oder erworbene Stoffwechselstörungen hervorgerufen sind.
  • Voraussetzung: Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung
  • Dauer: 24 Monaten in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung unter Aufsicht eines Weiterbilders, inklusive 100 Stunden Kurs-Weiterbildung und 120 Stunden Fallseminare unter Supervision.
  • Anzahl der Ärzte: In Deutschland sind 127 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Ernährungsmedizin" bei den Kammern registriert. Davon sind 114 berufstätig.

Zu viel, zu fett, zu wenig oder zu einseitig: Eine falsche Ernährungsweise spielt auch bei einem Großteil der häufig behandelten Krankheitsbilder eine Rolle. Schätzungen zufolge werden bis zu 80 Prozent der Erkrankungen, die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Alltag zu sehen bekommen, von einer falschen Ernährung verursacht oder zumindest verschlimmert.

Kein Wunder, dass Ärztinnen und Ärzte ganz verschiedener Fachgebiete häufig mit ihren Patientinnen und Patienten über Ernährungsthemen sprechen. Wenn für eine Behandlung das Thema vertieft werden soll, kann eine konkret ernährungsmedizinische Perspektive helfen. Denn die moderne ernährungsmedizinische Forschung untersucht unter anderem, wie Lebensmittel auf den Körper wirken und entwickelt daraus auf einzelne Krankheitsbilder individuell angepasste Konzepte, die sowohl therapeutisch als auch präventiv genutzt werden können.

Vielfältige Indikationen

Ernährungstherapeutische Maßnahmen als Zusatztherapie kommen bei vielen verschiedenen Krankheitsbildern in Betracht.

Dazu gehören beispielsweise folgende Indikationen:

  • Mangel- oder Fehlernährung
  • Essstörungen wie Esssucht, Bulimie und Magersucht
  • metabolische Erkrankungen wie Übergewicht, Adipositas und Insulinresistenz
  • Gastroenterologische Erkrankungen wie Fettleber, Leberzirrhose, Reizdarmsyndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa)
  • Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, koronare Herzerkrankungen
  • Niereninsufizienz
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten (allergische Reaktionen auf Grundnahrungsmittel oder Laktoseintoleranz)
  • neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose
  • Tumorerkrankungen

Ablauf einer ernährungsmedizinischen Therapie

Eine ernährungsmedizinische Zusatz-Therapie startet in der Regel mit einem ausführlichen Gespräch: Dabei geht es um die Anamnese und Analyse der bisherigen Ernährungsgewohnheiten des Patienten oder der Patientin. Als Ergänzung ist es häufig sinnvoll, über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen ein Ernährungstagebuch zu führen und auch die Befunde aus körperlichen Untersuchungen und Laborwerten hinzuzuziehen.

So erfährt der Arzt oder die Ärztin, welche Nährstoffe fehlen und welche im Überfluss vorhanden sind. Auf dieser Grundlage folgt eine individuelle Beratung: Welche Lebensmittel sollten häufiger gegessen werden? Welche sollten seltener oder gar nicht konsumiert werden? Die Ernährungsmediziner und -medizinerinnen bieten dabei auch eine Unterstützung bei diätischen Maßnahmen und grundlegenden Umstellungen an und beachten dabei auch Faktoren wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Vorerkrankungen und Lebensumstände, aber auch persönliche Vorlieben. Das Ziel einer Ernährungstherapie ist, die Genesung zu unterstützen, den Zustand des Patienten zu verbessern oder Nachwirkungen einer Erkrankung zu verhindern. Dabei helfen auch spezielle Schulungen, die Ernährungskompetenz des Patienten oder der Patientin zu steigern. Der Patient soll die Fähigkeit erlangen, bewusster über seinen Konsum entscheiden zu können.

Allerdings: Bei der Ernährungstherapie sind Ärztinnen und Ärzte besonders stark auf die Mitarbeit von Patientinnen und Patienten angewiesen. Daher spielt das Thema Compliance in diesem Bereich eine besonders große Rolle. Denn: Wer beispielsweise bei Stress oder Frust schnell wieder in die alten Muster verfällt, dem hilft auch das beste Ernährungskonzept nichts. Ärztinnen und Ärzte auf diesem Gebiet brauchen daher viel Einfühlungsvermögen und psychologisches Gespür, um ihre Patientinnen und Patienten auch langfristig zu motivieren.

Ernährungsmedizin: Uraltes Wissen und moderne Erkenntnisse

Das Wissen, dass bestimmte Lebensmittel und Kräuter positive und negative Effekte auf die Gesundheit haben können, gibt es seit Jahrtausenden. Neu hinzugekommen sind aber moderne Erkenntnisse über die Stoffwechselabläufe im Körper und die biochemischen Vorgänge, die dahinterstecken. Dazu gehören beispielsweise Erkenntnisse darüber, wie die richtige Ernährung das Immunsystem stärken oder die Heilung von Wunden beschleunigen kann. Die Bundesärztekammer hat im Jahr 2018 entschieden, die Ernährungsmedizin als Zusatz-Weiterbildung in die (Muster-)Weiterbildungsordnung aufzunehmen.

Eine Zusatz-Weiterbildung Ernährungsmedizin kann in vielen verschiedenen Bereichen sinnvoll sein: Beispielsweise als Ergänzung zur Facharzt-Weiterbildung Innere Medizin / Gastroenterologie oder Onkologie, aber auch für die Allgemeinmedizin, die Geriatrie oder im Bereich Psychiatrie, um Patientinnen und Patienten mit Essstörungen besser unterstützen zu können.

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Ernährungsmediziner werden: Die Zusatz-Weiterbildung im Überblick

Dauer der Weiterbildung

  • 100 Stunden Kurs-Weiterbildung gemäß § 4 Abs. 8 in Ernährungsmedizin und
  • 120 Stunden Fallseminare unter Supervision.

Die Fallseminare können durch 6 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten ersetzt werden.

Inhalte der Weiterbildung

Grundlagen der Ernährungsmedizin

  • Wesentliche Gesetze und Verordnungen, z. B. Lebensmittelrecht, Diätverordnung
  • Grundlagen der Lebensmittelkunde
  • Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz
  • Bestimmende Größen des Energiestoffwechsels, insbesondere Grundumsatz, Aktivitätsumsatz, diätinduzierte Thermogenese
  • Bestimmung des Energiebedarfs
  • Physiologie, Pathophysiologie und Biochemie der Ernährung, insbesondere des Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Lipidstoffwechsels sowie der Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente
  • Bestimmung des Bedarfs an Makro- und Mikronährstoffen
  • Ballaststoffe, Prä- und Probiotika sowie deren Indikation und empfohlene Zufuhr
  • Indikation und Kontraindikation von Nahrungsergänzungsmitteln
  • Nutzen und Risiko von häufigen und alternativen Kostformen
  • Prinzipien der Verordnung und Rezeptur von Heil- und Hilfsmitteln in der Ernährungsmedizin
  • Pathophysiologie und Pathobiochemie der Fehl- und Mangelernährung, insbesondere Sarkopenie, Adipositas und metabolisches Syndrom

Diagnostik

  • Ernährungsmedizinische Erst- und Folgeanamnese und Erfassung des Ernährungsverhaltens ein-schließlich Auswertung von Ernährungsprotokollen
  • Erfassung des ernährungsbedingten Risikos mittels validierter Screening-Instrumente
  • Erfassung des Ernährungszustandes mittels validierter Assessment-Instrumente
  • Diagnostische Methoden der gestörten Nahrungsaufnahme
  • Diagnostische Methoden bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Durchführung und Befundinterpretation von Methoden der Anthropometrie, z. B. Hautfaltendicke, Oberarmumfang, Body-Mass-Index sowie Messung der Körperzusammensetzung
  • Indikationsstellung und Befundinterpretation ernährungsmedizinisch relevanter Labordiagnostik

Ernährungsmedizinische Prävention

  • Möglichkeiten und Grenzen der ernährungsmedizinischen Prävention
  • Planung und Festlegung eines individuellen Präventionsprogramms
  • Ernährungsverhalten und Ernährungszustand der Bevölkerung in Deutschland
  • Prinzip der gesundheitsfördernden Ernährung im Rahmen eines Gesamtkonzepts
  • Kritische Nährstoffe
  • Ernährung in Risikogruppen
  • Soziokulturelle Aspekte der Ernährung einschließlich der Adaptation der Ernährungsempfehlungen
  • Gesundheitspolitische Präventionsmaßnahmen

Ernährungsmedizinische Therapie

  • Didaktik des Beratungsgesprächs
  • Ernährungsberatungen (Richtzahl: 25), davon
    • strukturierte Schulung einer Einzelperson
    • Beratungsgespräch in Gruppen
  • Prinzipien der oralen Ernährung, insbesondere Vollkost, Diäten, Supplemente und Trinknahrung
  • Kostformen in Institutionen des Gesundheitswesens
  • Indikationsstellung, Verordnung, Durchführung, Überwachung von oralen Ernährungsformen (Richtzahl: 25)
  • Prinzipien, Produkte und Zugangswege der enteralen und parenteralen Ernährung
  • Indikationsstellung, Verordnung, Durchführung, Überwachung von enteraler Ernährung (Richtzahl: 25)
  • Indikationsstellung, Verordnung, Durchführung, Überwachung von parenteraler Ernährung (Richtzahl: 15)
  • Ernährung des kritisch Kranken in der Intensivmedizin
  • Ernährungstherapie der Unter- und Mangelernährung, insbesondere Sarkopenie
  • Ernährungsmedizinische Aspekte und Komplikationen vor und nach Adipositas- und metabolischer Chirurgie
  • Ernährungstherapie der Adipositas und des metabolischen Syndroms einschließlich Vor- und Nachsorge bei Adipositas- und metabolischer Chirurgie
  • Sektorenübergreifendes Überleitungsmanagement in der Ernährungsmedizin, insbesondere Entlassmanagement
  • Ernährungs- und Infusionstherapie in der Palliativmedizin und am Lebensende

Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V., Ärztestatistik 2023 der Bundesärztekammer

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