
Frauen sind in der Medizin stark vertreten – aber nicht an der Spitze. Rund zwei Drittel aller Medizinstudierenden in Deutschland sind weiblich, allerdings spiegelt sich das in den Führungspositionen deutscher Universitätskliniken nicht wider. Das zeigt die aktuelle Studie Medical Women on Top 2024 des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Nur 14 Prozent der Klinikdirektorinnen sind weiblich. Woran liegt das – und was sollte sich ändern?
Die Medizin ist mehrheitlich weiblich, doch Frauen besetzen nicht so häufig Führungspositionen. Die Studie „Medical Women on Top“, die seit 2016 regelmäßig vom DÄB durchgeführt wird, zeigt nur geringe Fortschritte bei der Gleichstellung in der universitären Medizin. Während 2016 gerade einmal zehn Prozent der Klinikdirektorinnen weiblich waren, ist ihr Anteil 2024 auf nur 14 Prozent gestiegen. Dabei gibt es je nach Standort große Unterschiede. In Dresden sind Posten in der Klinikdirektion zu 29 Prozent weiblich besetzt, in Frankfurt dagegen sind es nur fünf Prozent. Bei den Dekaninnen ist die Entwicklung etwas positiver: Hier wächst die Zahl von sechs Dekaninnen im Jahr 2022 auf insgesamt zehn Dekaninnen im Jahr 2024. Dennoch bleibt der Frauenanteil in Führungspositionen weit hinter dem zurück, was angesichts des hohen Frauenanteils in der Medizin zu erwarten wäre. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die gläserne Decke in der Medizin noch immer vorhanden ist”, sagte Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk, Autorin der Studie und Senior Consultant beim DÄB.
Mehr Oberärztinnen – aber nicht in allen Fächern
Ein deutlicher Anstieg ist jedoch beim Anteil der Oberärztinnen zu erkennen. Waren es im Jahr 2022 noch 37 Prozent, sind es 2024 durchschnittlich schon 41 Prozent, womit die Parität in greifbare Nähe rückt. Gleichzeitig deckt die Studie auf, dass manche Fachbereiche bei der Gleichstellung weiter sind als andere. Besonders groß ist der Frauenanteil in den Fächern Pathologie und Kinderheilkunde (jeweils über 50 Prozent), sowie Dermatologie (ca. 60 Prozent) und Frauenheilkunde (ca. 70 Prozent) aus. Schlechter dagegen sieht es in der Chirurgie und Urologie aus ( jeweils ca. 27 Prozent).
Auch Klinikdirektorinnen sind in diesen Fächern unterrepräsentiert: In der Chirurgie, Urologie und Neurochirurgie liegt ihr Anteil bei nur fünf bis acht Prozent. In der Frauenheilkunde (25 Prozent), Dermatologie (23 Prozent) und der Kinderheilkunde (19 Prozent) sind es zwar mehr Klinikdirektorinnen, doch auch hier dominieren Männer weiterhin die höchsten Positionen.
Warum schaffen es so wenige Ärztinnen an die Spitze?
Woran liegt es, dass vergleichsweise wenig Frauen Führungspositionen in der Medizin übernehmen? Die erforderliche Qualifikation ist laut Studie nicht das Problem. Es sei vielmehr der Fall, dass sich Frauen nicht auf ausgeschriebene Stellen von Führungskräften bewerben. Aber warum ist das so? Einen möglichen Grund sieht die Studie in der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Denn die Positionen seien äußerst arbeitsintensiv, die Arbeitszeiten wenig flexibel und die Kinderbetreuung unzureichend. Auch wenn sich bereits deutlich mehr Männer als früher bei der Erziehungs- und Care-Arbeit einbringen, sind es immer noch zum Großteil Frauen, die diese Arbeit übernehmen. „Aufgrund der regulären Arbeitszeit plus Nacht- und Wochenenddiensten arbeiten viele Ärztinnen nur in Teilzeit, sobald sie Kinder haben. Mit einer halben Stelle verdoppelt sich die Weiterbildungszeit bis zur Facharztqualifikation und die Frauen gehen – wenn überhaupt – um Jahre später ins Rennen um Führungspositionen“, beschreibt Dr. med. Christiane Groß, Präsidentin des DÄB, die Situation.
Lösungen: So kann sich die Situation verbessern
Um den Anteil von Ärztinnen in Führungspositionen zu steigern, formulieren die Autorinnen der Studie fünf Forderungen:
- Topsharing-Modelle: Führungspositionen sollten vermehrt als Doppelspitze besetzt werden, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu ermöglichen. Die Möglichkeit eines Topsharings sollte bereits in der Stellenausschreibung angeboten werden.
- Parität in Berufungskommissionen: Frauen müssen stärker in Auswahlprozesse für Führungspositionen eingebunden werden. Die Berufungskommissionen haben einen wesentlichen Einfluss bei der Besetzung der Stellen. Derzeit würden Professorinnen, von denen es zu wenig gebe, eine Doppelbelastung durch Kommissionsarbeit ablehnen, weshalb beispielsweise bei Vorstellungsgesprächen keine Parität herrsche, auch wenn sich medizinische Fakultäten dazu bemühen.
- Integration der Gleichstellungsbeauftragen: Das Mitwirkungsrecht der Gleichstellungsbeauftragten sei noch zu niedrig. Sie sollten aktiv an Entscheidungen von Berufungskommissionen beteiligt werden.
- Frauenfreundliche Strukturen: Das Angebot von Kinderbetreuung, flexiblen Arbeitszeiten und besseren Strukturen der Kommissionssitzungen sollte an medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken verbessert werden. Ebenso sollte sexuelle Belästigung strafrechtlich verfolgt werden.
- Auswahlkriterien modifizieren: Die Anzahl der Publikationen ist nicht ein Nachweis klinischer Exzellenz, stattdessen sollte der Fokus auch auf Soft Skills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit sowie Konfliktmanagement liegen.
Zum Hintergrund
Von Juli bis Oktober 2024 hat der Deutsche Ärztinnenbund auf den Webseiten der 37 staatlichen Universitätskliniken in Deutschland Klinikleitungen, Oberärztinnen und -ärzte sowie Privatdozentinnen und -dozenten und Dekanatsleitungen gezählt. Insgesamt waren es 12.590 Personen, die sie außerdem nach Geschlecht und Funktionen aufgeführt haben. Bei Kliniken mit mehreren Standorten wurden die Daten addiert. Es wurden 14 Fächer ausgewählt, die stark hierarchisch organisiert und prestigebelastet sind und in denen die größten Einkommen neben der festgesetzten Besoldung erzielt werden. Der DÄB führte 2016 das erste Mal diese Studie durch.
Quelle: Deutscher Ärztinnenbund e.V.