Ärztinnen und Ärzte in Führung: Fehlerkultur leichter verbessern

15 Dezember, 2021 - 07:34
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach und leitet die Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach und leitet die Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen

Es gibt kein fehlerfreies Arbeiten, auch nicht in der Medizin. Wie aber können Sie als Ärztin oder Arzt Ihre Führungskompetenz für eine bessere Fehlerkultur einsetzen?

In bis zu 70-80 Prozent der Fälle läge die Ursache von Fehlern in der Medizin im Bereich der „menschlichen Faktoren“ (Human Factors); dabei spielen unter anderem individuelle Parameter wie Müdigkeit, Alter, Sehvermögen, Aufmerksamkeit aber auch solche der Zusammenarbeit im Team wie unklare Kommunikations- und Führungskompetenzen eine Rolle (Rall M. et al. in: Praxishandbuch Qualitäts- und Risikomanagement im Rettungsdienst. MWV 2013).

29.03.2024, klinik Werk.
29.03.2024, Clienia Littenheid AG
Sirnach

Erstes Ziel ist es, Fehler zu vermeiden

In der Deklaration von Genf des Weltärztebundes von 2017 heißt es, dass die Gesundheit und das Wohlergehen der Patientin oder des Patienten das oberste Anliegen sei (siehe auch Deutsches Ärzteblatt 2017; 114(44)). Jedoch sind wir Ärztinnen und Ärzte – genau wie die Kolleginnen und Kollegen aus den pflegerischen Bereichen – auch nur Menschen, so dass Fehler passieren. Diese können durch Routinen und Checklisten in vielen Bereichen vermindert werden.

Merke:

Zur Fehlervermeidung haben sich Routinen und Checklisten im Klinik- und Praxisalltag etabliert wie z.B.

  • „Time-out“ am Anfang der OP, wo in einem festen Ablauf alle an der OP Beteiligten die Daten über die zu operierende Person zusammentragen, um Verwechslungen und fehlenden Informationen vorzubeugen.
  • „10 für 10“, wobei gerade in kritischen Situationen wie einer Reanimation das Team für 10 Sekunden von allen Seiten die aktuelle Lage evaluiert und die Informationen zusammenträgt, damit die weiteren ca. 10 Minuten dann wieder geordneter und fokussierter ablaufen können.
  • OP-Checkliste, in der alle Notwendigkeiten vor einer OP standardisiert abgefragt werden, z.B. Blutkonserven bestellen und die richtige Seite der zu operierenden Extremität im Beisein der Patientin bzw. des Patienten markieren.
  • „Lessons Learned“ oder auch „M & MK“ (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen), die meist interdisziplinär ablaufen und den Anspruch haben, neutral einzelne Fälle zu besprechen, damit entstandene Fehler sich nicht wiederholen.

Auf eine gute Kommunikation kommt es an

Der Experte für „Crash Kommunikation“ Peter Brandl fand als Berufspilot das „Crew Resource Management“ (CRM), den „Human Factor“ im Cockpit spannend und übertrug die Herangehensweise, wie man Unfälle und Zwischenfälle analysiert und Strategien zur Fehlervermeidung entwickelt, auf das Vorgehen in Unternehmen und mit Fokus auf Führungskräfte.

Gerade Missverständnisse lassen sich durch konstruktive Kommunikation verhindern. Auch wenn im Klinik- oder Praxisalltag viel (zu viel) zu tun ist oder es in Notfallsituationen hektisch wird, leidet die Kommunikation. Hier ist es z.B. wichtig, eine gute Grundlage mit Respekt und Wertschätzung zu schaffen sowie die Zuständigkeiten grundlegend, jedoch spätestens in kritischen Situationen zu klären. Gerade bei Anweisungen oder Patientenübergaben sollten wir uns immer klar und verständlich ausdrücken sowie jeweils klären, ob unser Gegenüber uns auch richtig verstanden hat.

Tipp:

Tipps für eine konstruktive Kommunikation im Team, um Fehler zu vermeiden:

  • Drücken Sie sich verständlich und eindeutig aus.
  • Klären Sie, ob Ihr Gegenüber Sie auch richtig verstanden hat.
  • Fragen Sie bei Unklarheiten direkt nach.
  • Habe Sie keine Angst davor, „dumme Fragen“ zu stellen.
  • Hören Sie genau zu und achten Sie auch auf die nonverbale Kommunikation.
  • Nehmen Sie die Perspektive des Gegenübers ein.
  • Kommunizieren Sie sach- und lösungsorientiert.
  • Klären Sie eindeutig die Zuständigkeiten.
  • Kommunizieren Sie respektvoll und wertschätzend.
nach Peter Brandl

Aus der Luftfahrt übernommen, kenn man in der Notfallmedizin ebenfalls das „CRM“ als „Crisis Resource Management“ mit klaren Grundsätzen wie Antizipation und Vorbereitung, Informationsnutzung, Anfordern von Hilfe, Übernahme der Führungsfunktion und Verantwortung inklusiv kritischer Selbsteinschätzung, optimaler Einsatz von Ressourcen, Situationsbewusstsein, Verteilen der Aufmerksamkeiten, der optimalen Kommunikationsstruktur und regelmäßiger Re-Evaluation (Rall et al. MWV 2013).

Etablieren einer konstruktiven Fehlerkultur

Eine gute Fehlerkultur darf nicht heißen, dass jeder Fehler gefeiert wird, weil man daraus lernt. Schließlich können aus Fehlern in der Klinik oder Praxis auch relevante Einschränkungen für die Patientin oder den Patienten resultieren bis hin zum Tode. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern ist daher absolut wichtig.

Toolbox Führung:

Als Ärztin oder Arzt in Führung kommt Ihnen eine wichtige Aufgabe zu, eine konstruktive Fehlerkultur in der Klinik oder Praxis zu etablieren.

  • Leben Sie eine Teamstruktur aus Offenheit, Fairness und gegenseitigem Respekt vor, wobei Sie akzeptieren, dass Fehler zum Alltag gehören.
  • Schaffen Sie eine angstfreie Umgebung, in der konstruktiv über Fehler gesprochen werden kann, um zukünftige Fehler im Sinne der Patientinnen und Patienten zu vermeiden.
  • Damit auch andere ihre eigenen Fehler benennen, gestehen Sie auch selber Ihre Fehler offen ein.
  • Sanktionieren Sie nicht das Zugeben von Fehlern, sondern sanktionieren Sie das Verschweigen eines Fehlers. Fragen Sie statt: „Wie konnte das passieren?“ lieber konstruktiv: „Seit wann wissen Sie das?“.
  • Beteiligen Sie alle im Team bestehend aus ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen an der Suche nach Ursachen von Fehlern, statt nach Schuldigen.
  • Sorgen Sie dafür, dass das Aufarbeiten von Fehlern zur Team-Routine wird.
nach Peter Brandl

Beispiel aus der Praxis

Eine Oberärztin der Orthopädie sitzt verzweifelt im Aufenthaltsraum der Station. Als ein junger Gesundheits- und Krankenpfleger sie fragt, ob alles OK sei, beschreibt Sie die furchtbare Situation, dass ihr OP-Team beinahe dem falschen Patienten eine neue Hüfte verpasst hätte. Scheinbar war in der morgendlichen Hektik dem Patienten eine falsche Akte mit aufs Bett gelegt worden, als dieser schnell in den OP musste. An der Schleuse hatte dann der Pfleger nicht richtig auf das Armband gesehen, bei der Narkose-Einleitung war der Fehler auch nicht erkannt worden, bis schließlich der voll narkotisierte und abgedeckte Patient für die OP bereit auf ihrem Tisch lag. Sie sei so dankbar für das Time-out Prozedere, bei dem nochmal reihum alle Details gecheckt werden. Hier hat die Anästhesiepflegerin plötzlich aufgeschrien, dass am Armband ein anderer Name stünde.

„Das ist nicht der einzige Fehler, der hier passiert.“ erwidert der Pfleger in der Hoffnung, sie aufzumuntern. Oft sei es am Ende ja nicht so schlimm, so dass die Patientinnen und Patienten nicht gefährdet seien. Die Stationsärztin horcht auf und nimmt sich vor, eine Team-Besprechung mit möglichst vielen ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen auf der Station anzusetzen.

Bei der Team-Besprechung erzählt die Oberärztin als erstes von einigen Fehlern, die ihr bereits passiert sind. Sie gibt zu, dass es im Moment aufgrund des Pflege- und Ärztemangels oft etwas hektisch auf der Station zuginge. Sie ermuntert jede und jeden, dass sie gemeinsam alle Fehler zusammentragen, die in letzter Zeit passiert oder beinahe passiert seien, damit sie gemeinsam überlegen können, wie sie die Behandlungen für die Patientinnen und Patienten noch verbessern können. Das Vorgehen stößt auf Zustimmung und Vertrauen darauf, dass die Fehler konstruktiv gemeinsam angegangen werden können. Künftig wird in regelmäßigem Rhythmus diese Team-Besprechung wiederholt.

Setzen Sie alles daran, die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus oder in der Praxis zu verbessern. Der Ärzte- und Pflegemangel führt häufig zur hohen Arbeitsbelastung. Folge sind Müdigkeit und Unachtsamkeit, aber auch unzureichende Betreuung der Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung, so dass diese auch aus Unwissenheit Fehler machen.

Nutzen Sie und Ihr Team auch Plattformen mit „Critical Incident Reporting System“ (CIRS), auf denen anonym Beinahe-Unfälle und Zwischenfälle in der Patientenversorgung gemeldet werden können als Lernaustausch unter Ärztinnen und Ärzten.

Aber vor allem seien Sie sich Ihrer positiven Vorbildfunktion bewusst und gestalten Sie mit Freude und Gelassenheit eine bessere Fehlerkultur in Ihrer (Arbeits-)Umgebung.

Die Autorin:

Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Von Falsch zu Richtig“ mit Peter Brandl als Führungsexperte ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

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Mehr Infos unter www.leaders-academy.com.

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