Ärztinnen und Ärzte in Führung: Veränderungen leichter meistern

2 Februar, 2022 - 10:46
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach sowie Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen.

Wir leben in der sogenannten „VUCA“ Welt, die sich durch „Volatility“ (Volatilität), „Uncertainty“ (Unsicherheit), „Complexity“ (Komplexität) und „Ambiguity“ (Mehrdeutigkeit) auszeichnet. Damit verbunden finden viele Veränderungen statt, die auch vor uns Ärztinnen und Ärzte nicht haltmachen. Wie gehen Sie mit Veränderungen in der Klinik oder Praxis um? Wie können Sie zusammen als Team diese Veränderungen leichter meistern?

Raus aus der Komfortzone!

Bei jeder Veränderung müssen wir unsere sogenannte Komfortzone verlassen. Das ist der Bereich, den wir durch oft jahrelange Gewohnheiten aufgebaut haben – sei es privat, aber auch durch etablierte Standards und Prozesse in der Klinik oder Praxis. Hier fühlen wir uns sicher und müssen uns nicht besonders anstrengen.

Natürlich haben vor allem die Standards, State-of-the-Art Prozeduren, Guidelines und Co einen wichtigen Bestandteil in der ärztlichen Behandlung. Jedoch unterliegen auch diese der modernen Veränderung. Neue Medikamente oder Medizinprodukte kommen zur Anwendung und allein die digitale Transformation beschreibt einen fortlaufenden, in digitalen Technologien begründeten Veränderungsprozess, der die gesamte Gesellschaft und das Gesundheitssystem inklusiv der Gesundheitsberufe und somit auch die Ärzteschaft umfasst. App-basierte telemedizinische Modelle, Apps zur differentialdiagnostischen Einschätzung anhand von Algorithmen, aber auch die Künstliche Intelligenz wie das kognitive Computersystem „IBM Watson for Oncology“ könnten bald zunehmend Ärztinnen und Ärzte im Rahmen des therapeutischen Vorgehens unterstützen (Dtsch Arztebl 2018; 115 (14): A 633–8).

Auf Veränderungen adäquat zu reagieren heißt, unsere Komfortzone zu verlassen, beschreibt Dr. Stefan Frädrich, Arzt, Unternehmer und Gründer der Leaders Academy. Um diese Komfortzone herum befindet sich jedoch die Angstzone, die ungewohnt und erstmal anstrengend erscheint. Fragen Sie sich doch selbst ehrlich: Wie veränderungsbereit sind Sie? Allerdings kann Veränderungsbereitschaft auch trainiert werden, indem man regelmäßig eine Kleinigkeit anders macht.

Tipp

Trainieren Sie Ihre Veränderungsbereitschaft

Fordern Sie sich selber regelmäßig (z.B. täglich, wöchentlich, monatlich – am Besten im Voraus in den Kalender eintragen) heraus, indem Sie etwas bewusst anders machen.
Beispiele:

  • Änderung im Kleidungsstil (andersfarbige Socken – geht auch in der Klinik, farbige Tücher nutzen, andersfarbige Hemden, tragen Sie die Armbanduhr auf dem anderen Arm, das Smartphone in einer anderen Hosen- oder Jacken-Tasche).
  • Gehen Sie die Treppe mal rückwärts herunter.
  • Sitzen Sie in der Frühbesprechung oder am Ess-Tisch auf einem anderen Stuhl als gewöhnlich.
  • Ändern Sie tägliche Routinen z.B. in der Uhrzeit, oder hinterfragen Sie den Ablauf.
  • Fahren Sie mal mit einem anderen Verkehrsmittel zur Klinik oder Praxis.
  • Probieren Sie mal eine Extremsportart aus.

Hinter der Angstzone: Die Wachstumszone

Meistens geschehen Veränderungen aufgrund eines Schmerzes, also Druck von außen – beispielsweise, wenn neue Technologien in der Klink eingeführt werden müssen, oder wenn ein neuer Chefarzt mit seinem Team die Klinik übernimmt und neue Methoden für alle verpflichtend macht.

Hingegen sind wir Ärztinnen und Ärzte an ständiger Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten interessiert. Wenn auf einem Kongress eine neue Methode vorgestellt wird und die Studienergebnisse eine signifikante Verbesserung zeigen, kann auch aus Überzeugung und Begeisterung mit Kolleginnen und Kollegen zusammen etwas Neues entstehen. Dann ist der innere Antreiber von alleine groß genug, die Komfortzone zu verlassen. In diesem Fall spricht man vom Sog. Das Großartige ist: Hat man die Angstzone erstmal bestritten, erreicht man die eigene Wachstumszone.

Merke:

Veränderungen können durch „Druck“ (Schmerz/Pflicht) oder „Sog“ (Motivation/Freude) ausgelöst werden.

„Sog“ können Sie im Team erreichen durch z.B.:

  • Vermitteln eines Sinnes für die Veränderung,
  • Perspektiven aufzeigen,
  • Erkennen und Unterstützen individueller Motive der Mitarbeitenden,
  • Übertragen von Verantwortung statt von Aufgaben,
  • Spaß am Veränderungsprozess,
  • aber auch, indem Sie ein gutes Vorbild sind.

Bilden Sie Kompetenz-Teams!

Nicht nur, dass jede Person unterschiedlich „trainiert“ ist, mit Veränderungen umzugehen, es gibt auch verschiedene Phasen der Gefühle im Veränderungsprozess (siehe Toolbox Führung). Diese können im unterschiedlichen zeitlichen Ablauf, aber auch individuell schnell oder langsam durchfühlt werden.

Zum Beispiel weiß die Führungsebene wie die Klinikleitung, die Chefärztinnen und -ärzte sowie die Pflegeleitung schon vor den Mitarbeitenden von anstehenden Veränderungen. Sie entwickeln gegebenenfalls mit externer Beratung Lösungsmöglichkeiten, durchdenken verschiedene Szenarien und betreiben Risikominimierung. In der Regel sind sie damit im Veränderungsprozess bereits viel weiter als die Mitarbeitenden, wenn diese dann später über die Veränderungen in Kenntnis gesetzt werden.

Dabei ist es wichtig, die Mitarbeitenden möglichst früh im Veränderungsprozess zu involvieren. Es ist empfohlen, sogenannte Kompetenz-Teams zu bilden. Hier bindet man die richtigen Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten und ihres Verständnisses des tatsächlichen Arbeitsablaufes in der Klinik oder Praxis - somit auch Vertreterinnen und Vertreter aus den einzelnen Mitarbeiterebenen - mit ein.

Darüber hinaus sollten Führungskräfte ein Verständnis für die verschiedenen Phasen haben, um die Mitarbeitenden immer dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden – v.a. wenn man selbst längst die Phasen hinter sich gebracht hat und der Veränderung schon offen entgegensteht.

Toolbox Führung

Die verschiedenen Gefühle in den einzelnen Phasen der Veränderung (Download als jpg, 237 KB)

  • Phase 1: Vorahnung/Sorge; Gerüchte und Unsicherheit machen sich breit.
  • Phase 2: Angst/Schock; Verantwortung wird abgelehnt, es herrscht Unverständnis und Apathie. In dieser Phase kann die Produktivität merkbar sinken.
  • Phase 3: Abwehr/Ärger; oft geprägt von Anti-Haltung, Ablehnung der Veränderung oder abwartender Haltung.
  • Phase 4: Frustration/Rationale Akzeptanz; in dieser Phase wird die Veränderung als unumgänglich verstanden, die Gegenwehr sinkt, es werden kurzfristige Lösungen gewünscht, wobei das eigene Zutun noch gering ist.
  • Phase 5: Trauer/Emotionale Akzeptanz; die Veränderung wird gänzlich akzeptiert, es steigt das Bewusstsein für fehlende Kompetenzen und neue Wege werden ausprobiert. Ab dieser Phase kann eine grundlegende Umstrukturierung stattfinden.
  • Phase 6: Öffnung/Neugier; die Neugier ist geweckt, es werden neue Dinge ausprobiert und die aktive Arbeit an den eigenen Kompetenzen sowie die Selbstsicherheit steigt.
  • Phase 7: Selbstvertrauen/Integration; der Veränderung kann nun auch Positives zugesprochen werden, es wird eine Routine im Umgang mit den neuen Anforderungen entwickelt und in den Alltag integriert.
abgewandelt an Veränderungsprozesse nach Elisabeth Kübler-Ross

Beispiel aus der Praxis

In der privat geführten Klinik herrscht Unruhe unter den ärztlichen Mitarbeitenden und denen der Pflege. Die Klinikleitung wurde ausgetauscht und es ist schon spürbar, dass sich im Sinne der Wirtschaftlichkeit einiges ändern wird. Es wird gemunkelt, dass auch neue digitale Systeme eingeführt werden sollen, die den ganzen Klinikablauf verändern werden.

Die Stimmung ist auch in der HNO-Abteilung schlecht, wo einige gereizt sind und schimpfen, andere sehr stumm geworden sind. Die Chefärztin der HNO setzt sich mit dem Oberarzt und der Pflegeleitung zusammen. Gemeinsam erkennen Sie, dass die Kolleginnen und Kollegen sich vor allem in den ersten drei Phasen der Veränderung befinden. Sie möchten proaktiv in die Kommunikation gehen und positive Signale setzen.

Alle drei vereinbaren, in einer Woche zusammen mit jeweils noch zwei ärztlichen und zwei pflegenden Mitarbeitenden einen kleinen Workshop zu veranstalten, bei dem sie sich überlegen, warum eine Anpassung zeitgerecht und sinnvoll ist (Sinnvermittlung), wie sich auch dadurch der Standard und das Image der Klinik halten lässt (Perspektive) und was auch positiv für die Mitarbeitenden ist (Motivation und Spaß). Durch den Schichtdienst, die Arbeit auf der Station, in der Ambulanz und im OP ist es immer schwierig, alle Kolleginnen und Kollegen zur gleichen Zeit zu erreichen, so dass dieses Kompetenz-Team spontan auf die Idee kommt, einfach ein Video aufzunehmen. Mit viel Freude (und auch lustigen Versprechern) führen sie durch die erarbeiteten Punkte. Außerdem schlagen sie vor, dass sich Freiwillige melden können, die für einzelne Bereiche, die sich ändern werden, als Pate für die anderen zur Verfügung stehen (Übertragen von Verantwortung). Jede und jeder ist wichtig; es gibt im Team ganz unterschiedliche Kompetenzen, die auf diese Weise genutzt werden können.

Schon allein die Tatsache, dass endlich auch von der Klinikleitung über die anstehenden Veränderungen gesprochen wird, beruhigt schon viele. Über das nicht nur informative, sondern auch unterhaltsame Video wird noch Jahre später positiv gesprochen.

Seien Sie sich (wieder einmal) Ihrer Vorbildfunktion bewusst. Sie haben es in der Hand, bei allen mit Ihnen Arbeitenden eine Begeisterung und Mut für Veränderungen zu bewirken. Gerade im medizinischen Umfeld herrscht bereits eine Kultur des kontinuierlichen Lernens, das enorm dabei hilft, offen für neue Methoden und sinnvolle Anpassungen zu sein. Daher freuen Sie sich darauf, alle noch kommenden Veränderungen mit Freude leicht zu meistern.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Veränderungen meistern“ mit Dr. Stefan Frädrich als Führungsexperte ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

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