
Wie können Sie Ihre Menschenkenntnis und entsprechend Ihre zwischenmenschliche Interaktion in der Klinik oder Praxis verbessern? Durch das Erkennen und Respektieren der verschiedenen Persönlichkeiten im Team, können Sie viel individueller auf deren Bedürfnisse eingehen und deren Potentiale nutzen. Lernen Sie eine einfache Systematik kennen, verschiedene Persönlichkeiten leichter zu führen.
Stellen Sie sich vor, die leitende Oberärztin bringt von einer Kongressreise eine neue therapeutische Methode mit, die sie in Ihrer Abteilung etablieren möchte. Wie reagieren Ihre Kolleginnen und Kollegen? Wie reagieren Sie selbst? Klassischerweise wird gleich eine Person voranpreschen und anbieten, die Pilotgruppe zu leiten. Eine andere Person wird voller Begeisterung sein und gleich voller Ideen beginnen wollen, die Methode zu nutzen. Während eine dritte Person erstmal bremst und zunächst nach den Studienergebnissen fragt, die Zahlen, Daten und Fakten sammeln und auswerten möchte. Außerdem gibt es da immer auch die Person, die sich erstmal die Dynamik der Gruppe anschaut, aufmerksam zuhört und dann vorsichtig die Frage aufbringt, ob alle in der Abteilung auch gut auf die Methode trainiert werden. Kennen Sie diese Konstellation?
Individuen und doch ähnliche Verhaltensmuster?
Wir alle sind Individuen. Spannend ist jedoch zu erkennen, dass es mit einfachen Methoden möglich ist, im Rahmen von wissenschaftlich fundierten Persönlichkeits-Modellen Verhaltensmuster zu erkennen. Auch wenn sich gegen eine Typisierung erstmal ein gewisser Widerwille einstellt, so gibt diese – vernünftig und wertschätzend eingesetzt – gute Orientierung und Hilfestellung, mit den verschiedenen Persönlichkeiten umzugehen. Außerdem gibt es uns ein gutes Verständnis für andere Verhaltenstendenzen, so dass Konflikte und Spannungen verringert werden können. Darüber hinaus bieten die Erkenntnisse über verschiedene Persönlichkeitstypen auch die Möglichkeit, dass wir als Ärztinnen und Ärzte in Führung unsere Mitarbeitenden optimal fördern und fordern können.
Toolbox Führung
Das DISG-Modell
Basierend auf den frühen psychologischen Erkenntnissen von William M. Marston (Emotions of Normal People, Erstveröffentlichung 1928) definierte der Psychologe und Verhaltensforscher Dr. John G. Geiger (vergleiche F. Gay und D. Karsch. Das persolog® Persönlichkeits-Profil, Gabal Verlag 2019) bereits ab den 70er Jahren vier Verhaltensdimensionen. Diese lassen sich unterscheiden, indem man zwei zentrale Fragen klärt:
- Ist die Wahrnehmung des Umfeldes für eine Person eher
- anstrengend bzw. stressig oder
- angenehm bzw. nicht stressig?
- Reagiert die Person auf ihr Umfeld eher
- bestimmt oder
- zurückhaltend?
Auf dieser Grundlage lassen sich vier Verhaltensdimensionen im DISG (amerikanisch DISC)-Modell einteilen (Schaubild als pdf zum Download, 313 kB):
- Dominant (D, im Original „Dominance“): Wahrnehmung des Umfeldes als anstrengend und Reaktion auf das Umfeld bestimmt
- Initiativ (I, im Original „Inducement“): Wahrnehmung des Umfeldes als angenehm und Reaktion auf das Umfeld bestimmt
- Stetig (S, im Original „Submission“): Wahrnehmung des Umfeldes als angenehm und Reaktion auf das Umfeld zurückhaltend
- Gewissenshaft (G, im Original „Compliance“): Wahrnehmung des Umfeldes als anstrengend und Reaktion auf das Umfeld zurückhaltend
Wir Individuen haben alle diese Verhaltensdimensionen in uns, zeigen jedoch je nach Umfeld und Kontext (beruflich oder privat) meist eine Verhaltensdimension in stärkerer Ausprägung. Diese Verhaltensdimension mit höherer Intensität können wir mit etwas Übung bei anderen Personen als Verhaltensstil wahrnehmen, so dass wir darauf entsprechend kompetent reagieren können.
nach persolog® Persönlichkeits-Modell
Unterschiede wahrnehmen und schätzen
Ein Team ist immer so stark wie seine einzelnen Teammitglieder. Das wird uns besonders in der Klinik oder Praxis bewusst. Hier hängt das Wohlergehen, teilweise sogar das Leben unserer Patientinnen und Patienten von uns ab. Wie ein fein abgestimmtes Uhrwerk ineinandergreift, so funktioniert auch unser Klinik- oder Praxisalltag aufgrund der optimalerweise klar definierten Aufgaben und unserer interdisziplinären sowie auch persönlichen Kompetenzen.
Gerade in der Medizin sind Stations-, OP- und Morgenbesprechungen sowie Visiten eine großartige Gelegenheit, dass alle ihren Teil zum Behandlungserfolg beitragen, wobei jede Person auch aufgrund ihres Persönlichkeits-Profils unterschiedliche Sichtweisen und Qualitäten einfließen lassen kann. Versuchen Sie, Ihren eigenen Verhaltensstil zu erkennen und nutzen Sie die nachfolgenden Erkenntnisse über die anderen Stile im Umgang mit Ihren ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden (L. Seiwert und F. Gay. Das 1x1 der Persönlichkeit, persolog Verlag für Lerninstrumente 2020).
Merke
Die verschiedenen Verhaltensstile (basierend auf den Dimensionen dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft) sind weder besser noch schlechter, sondern haben jeweils ihre eigenen Stärken und Herausforderungen. Oft ist ein Team, in dem alle Verhaltensstile vertreten sind, besonders leistungsstark – vorausgesetzt, dass alle ihre Andersartigkeit auch schätzen und nutzen können.
Es geht vor allem darum, sich selbst und andere besser zu verstehen, damit wir situations- und kontextbezogen uns selbst und andere leichter führen können.
Dominanter („Roter“) Verhaltensstil
Personen mit vorwiegend dominantem Verhaltensstil sind motiviert, Probleme zu lösen, sind zielorientiert und schnell im Treffen von Entscheidungen. Sie fordern sich gerne selbst heraus, messen sich mit anderen. Sie wissen, was sie wollen, und setzen sich dafür ein, auch wenn sie dafür alles alleine machen (müssen).
Mögliche Stärken sind:
- Kann schnelle Entscheidungen treffen
- Übernimmt gerne die Führung
- Stößt Dinge an
- Ist zielorientiert
- Hinterfragt bestehende Zustände
- Packt Probleme sofort an
- Liebt Herausforderungen und Wettbewerb
Mögliche Schwächen sind:
- Kann Risiken und Warnungen übersehen
- Nimmt sich zu viele Dinge auf einmal vor
- Kann die Kontrolle über andere Menschen übertreiben
- Übersieht und übergeht Gefühle anderer
- Verursacht ggf. Schwierigkeiten im Team
- Stellt zu hohe Ansprüche an andere
- Vernachlässigt eventuell wichtige Details
Führungstipps im Umgang mit einem dominanten (roten) Verhaltensstil:
Am leichtesten können Sie Menschen mit dominantem Verhaltensstil führen, indem sie klar, direkt, offen und schnell in Ihrer Kommunikation sind. Legen Sie zwar Grenzen fest, lassen Sie jedoch genügend Raum, dass dominante Mitarbeitende Verantwortung übernehmen und mitentscheiden können. Bieten Sie bei Vereinbarungen einen Verhandlungsspielraum nach Ihren Regeln an. Zeigen Sie Kompetenz und Unabhängigkeit, gleichzeitig Interesse und Anerkennung für erzielte Erfolge.
Initiativer („Gelber“) Verhaltensstil
Bei vorwiegend initiativem Verhaltensstil handelt es sich um Menschen mit großer Überzeugungskraft, die andere begeistern und mitreißen können. Sie sind offen für Neues, sind gerne frei von Detailarbeit und Kontrolle, sind unterhaltsam und arbeiten gerne mit anderen zusammen.
Mögliche Stärken sind:
- Schafft eine motivierende Atmosphäre
- Lebt Optimismus und Begeisterung
- Ist gut im Netzwerken
- Arbeitet gerne in Gruppen
- (Re)präsentiert gerne
- Ist eloquent und klar im Ausdruck
- Geht offen mit Gefühlen um
Mögliche Schwächen sind:
- Bringt ggf. Dinge nicht zuende
- Trifft subjektive Entscheidungen
- Kann Dinge zu optimistisch einschätzen
- Tut häufig zu viele Dinge auf einmal
- Fürchtet unbegründet Ablehnung
- Redet mitunter zu viel
- Handelt impulsiv
Führungstipps im Umgang mit einem initiativen (gelben) Verhaltensstil:
Würdigen und anerkennen Sie die Initiativen und Erfolge der Personen mit initiativem Verhaltensstil in Ihrem Team, die zu einem positiven Miteinander führen. Bieten Sie ein demokratisches Umfeld und achten Sie auf eine partnerschaftliche Beziehung mit lockerer und humorvoller Stimmung. Zeigen Sie Flexibilität und fragen Sie gelbe Mitarbeitende auch nach Ihrer Meinung sowie Ideen. Stellen Sie Mitarbeitenden mit initiativem Verhaltensstil Menschen an die Seite, die sie bei der Umsetzung der Ideen vor allem im Bereich von Detail- oder Routineaufgaben unterstützen.
Stetiger („Grüner“) Verhaltensstil
Für Personen mit vorwiegend stetigem Verhaltensstil ist ein berechenbares, organisiertes Umfeld wünschenswert. Auf die Erledigung ihrer Aufgaben ist stets Verlass, wenn sie genügend Zeit dafür haben. Sie sind geduldige Zuhörer, die gerne im Team arbeiten und dabei immer das Wohl aller im Blick haben.
Mögliche Stärken sind:
- Kann sehr gut andere Menschen beruhigen
- Hört geduldig und gut zu
- Schafft ein beständiges Umfeld
- Kann sich hochgradig spezialisieren
- Hat große Konzentration für die eigenen Aufgaben
- Hält sich an (akzeptierte) Standards
- Ist sehr zuverlässig und vertrauenswürdig
Mögliche Schwächen sind:
- Schiebt ggf. Dinge zu lange vor sich her
- Mangelnde Eigeninitiative
- Fürchtet Veränderungen
- Fehlende Termintreue unter Druck
- Ist stark von Beziehungen abhängig
- Könnte zu nachsichtig und tolerant sein
- Eigenen Wünsche und Bedürfnisse werden vernachlässigt
Führungstipps im Umgang mit einem stetigen (grünen) Verhaltensstil:
Menschen mit stetigem Verhaltensstil können sie leichter führen, indem sie freundlich, fair und objektiv handeln. Schaffen Sie eine entspannte, sichere Atmosphäre und bereiten Sie Veränderungen langsam vor, wobei Sie ein offenes Ohr für Ängste signalisieren und Chancen aufdecken. Zeigen Sie ehrliches Interesse an der persönlichen Situation, bleiben Sie beständig und berechenbar im Umgang. Geben Sie Personen mit stetigem Verhaltensstil Zeit für Überlegungen und den Austausch mit anderem im Team. Schätzen Sie das spezialisierte Können, die Loyalität und Zuverlässigkeit.
Gewissenhafter („Blauer“) Verhaltensstil
Menschen mit vorwiegend gewissenhaften Verhaltensstil bevorzugen ein Umfeld mit klar definierten Aufgaben, sie schätzen Standards, sind organisiert und strukturiert. Sie mögen Zahlen, Daten und Fakten, analysieren gerne und sind wertvolle Team-Mitglieder für qualitative Aufgaben, auch wenn sie eher alleine oder mit blauen Gleichgesinnten arbeiten.
Mögliche Stärken sind:
- Arbeitet sehr zuverlässig unter definierten, geregelten Bedingungen
- Hat ein hohes Maß an Analysefähigkeit auf der Basis von Daten, Zahlen und Fakten
- Folgt Anweisungen, Normen und Leitlinien
- (Gerechtfertigte) Autoritäten werden bereitwillig akzeptiert
- Handelt diplomatisch
- Agiert detailgetreu
- Denkt kritisch und findet Limitationen
Mögliche Schwächen sind:
- Kann unflexibel sein
- Verstrickt sich in Details
- Neigt zu Perfektionismus und hat Sorge, Fehler zu machen
- Kann ggf. nicht loslassen und nur schwer delegieren
- Tut sich schwer mit Veränderungen
- Erträgt nur schwer persönliche Kritik
- Denkt oft zu pessimistisch und vorsichtig
Führungstipps im Umgang mit einem gewissenhaften (blauen) Verhaltensstil:
Am leichtesten können Sie Menschen mit gewissenhaftem Verhaltensstil führen, indem sie ein sicheres Umfeld schaffen und Ihre Zusagen unbedingt einhalten. Geben Sie Daten, Zahlen, Fakten und Leitlinien als Arbeitsgrundlage, zeigen Sie Loyalität und Ernsthaftigkeit. Bieten Sie genaue Aufgabenbeschreibungen und genügend Zeit, die Dinge richtig zu tun und den besten Weg zu finden, eine Aufgabe zu lösen. Bereiten Sie Veränderungen schrittweise vor und stellen Sie genaue Belege der Notwendigkeit zur Verfügung (z.B. durch Studien). Geben Sie die Gelegenheit, sachliche Kritik zu üben, um den Standard hoch zu halten.
Tipp:
Nehmen Sie sich doch mal die Zeit, Ihre ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden durchzugehen. Erkennen Sie die vier verschiedenen Verhaltensstile in der unterschiedlichen Ausprägung bei ihnen?
Diese vier Verhaltensdimensionen dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft bilden die erste von sieben Interpretationsstufen des persolog® DISG-Modells. Auf diesen Dimensionen bauen 20 Verhaltenstendenzen auf, die unser Persönlichkeits-Profil noch weiter beschreiben. Allerdings bieten die vier Verhaltensstile bereits eine gute Orientierung im Umgang mit Ihren Mitarbeitenden. Nutzen Sie die unterschiedliche Kommunikation, um Ihre Mitarbeitenden in der Klinik und Praxis individuell zu motivieren, die Effektivität und das gute Miteinander zu verbessern.
Beispiel aus der Praxis
Die leitende Oberärztin plant, eine operative Methode, die sie auf einem internationalen Kongress kennengelernt hat, in der Klinik zu etablieren. Sie überlegt sich ihre Strategie und Kommunikation anhand der Teamkonstellation.
Der Chefarzt ist ein zielorientierter „Roter“ mit dominantem Verhaltensstil. Ihm stellt sie die Methode zuerst vor, indem sie kurz und knapp die auf dem Kongress aufgeführten Vor- und Nachteile demonstriert, auf die Kosteneinsparung und die Imagesteigerung für die Klinik hinweist. Anschließend bittet sie um die Genehmigung eines Pilotprojektes, wobei sie ihn die Regeln aufstellen lässt.
Anschließend bereitet Sie eine Vorstellung des Pilotprojektes in der Frühbesprechung der chirurgischen Abteilung vor. Es soll ein Kompetenzteam entstehen, das eine Einführung der Methode vorbereitet.
Sie offeriert mit entsprechend festgelegtem Rahmen die Position der Pilotprojektleitung, woraufhin sich sofort eine „Rote“ meldet, die als Fachärztin fachlich optimal passt. Die leitende Oberärztin bittet danach um kreative Mitarbeit, Ideen zur Anpassung an die eigene Abteilung mit einzubringen. Da es sich um eine neue, interessante Methode handelt, fühlt sich gleich ein „Gelber“ Assistenzarzt im letzten Ausbildungsabschnitt angesprochen.
Bevor die Oberärztin, die von der Leitenden bereits im Vorfeld als „Blaue“ identifiziert wurde, ihre Bedenken äußern kann, wird sie ebenfalls gebeten, mit in das Kompetenzteam zu gehen, um die zur Verfügung stehenden Studien und Daten zu analysieren.
Daraufhin spricht sie gezielt einen „Grünen“ an, den Funktionsoberarzt, der sich mit verschränkten Armen zurückgelehnt hat, ob er die Funktion der Meetings- und Trainings-Organisation übernehmen könne. Schließlich habe er die Bedürfnisse der Assistenzärztinnen und -ärzte und deren Dienstpläne im Blick, die je nach Bereitschaft und Kapazität unterstützen könnten sowie auf die Methode trainiert werden müssten.
Egal ob im Beruf, in der Familie oder in der Freizeit, immer wieder treffen wir auf unterschiedliche Menschen, die auf gemeinsame Situationen und Herausforderungen entsprechend ihrer eigenen Verhaltenstendenzen reagieren. Gerade, wenn wir selbst aufgrund unserer Verhaltenstendenzen anders reagieren würden, fehlt uns ggf. das Verständnis, so dass es zu Konflikten und Spannungen kommen kann. Wenn wir unsere Mitmenschen besser einschätzen und vor allem besser verstehen, können wir gezielt unsere Kommunikation verbessern, sie besser erreichen und motivieren. Viel Freude beim leichteren Umgang mit verschiedenen Persönlichkeiten.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.
Sie möchten mehr erfahren? Das DISG-Modell ist eines von vielen Tools und Methoden, die Sie im Rahmen des Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy vermittelt bekommen.
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