Ärztinnen und Ärzte in Führung: Sich leichter in der vorhandenen Zeit managen

9 März, 2022 - 07:32
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach und Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen.

Oft wissen Ärztinnen und Ärzte gar nicht, was sie zuerst machen sollen. Die Liste der Aufnahmen, Entlassungen, Untersuchungen, Aufgaben und Anweisungen ist lang. Die Visite, die Studierenden, Fragen der Pflegekräfte… wie kann man allen gerecht werden und sich selbst im Rahmen der vorhandenen Zeit optimal managen?

Produktivität durch Zeitintelligenz

Wie schon die repräsentative Studie des Marburger Bundes von 2019 mit 2.060 antwortenden Ärztinnen und Ärzten zeigte, dehnen mehr als zwei Drittel der Ärztinnen und Ärzte (68 Prozent) ihre Arbeitszeit oft bis sehr oft aus (Marburger Bundes Landesverband Berlin/Brandenburg, Befragung von Ärzt*innen zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation 2019, www.marburger-bund.de). Kennen Sie auch das Gefühl, dass Sie die ganzen Aufgaben nicht in der vorgesehenen Arbeitszeit bewältigen können? Oft meinen wir, dass wir ein besseres Zeitmanagement benötigen. Jedoch kann man die Zeit nicht managen, denn die Zeit vergeht – mehr oder weniger gleichmäßig (ohne hier näher auf Einsteins Relativitätstheorie einzugehen). Hingegen ist es wichtig, sich selbst in der uns in der Klinik bzw. Praxis zur Verfügung stehenden Zeit leichter zu managen. Zach Davis, Experte für Produktivität, spricht hier von der Zeitintelligenz.

29.03.2024, klinik Werk.
29.03.2024, Clienia Littenheid AG
Sirnach

Merke:

Wir können nicht die Zeit managen, denn die Zeit schreitet relativ gleichmäßig weiter voran. Jedoch können wir uns selbst in der zur Verfügung stehenden Zeit leichter managen.

Ein guter Umgang mit der Zeit zeigt sich an

  1. einer hohen Produktivität,
  2. einer hohen Zufriedenheit und
  3. einem gemäßigten Stresslevel.

Nutzen Sie Ihre Zeitintelligenz (nach Zach Davis).

Minimieren Sie Unterbrechungen!

Wird die Arbeit ständig unterbrochen, kann es zu Leistungsminderung und Überforderung im Sinne von Stressreaktionen kommen, wie A. Baethge und T. Rigotti ausführlich beleuchteten (Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2010). Besonders häufig fänden sich Studien zu Arbeitsunterbrechungen im medizinischen Bereich; zum Beispiel gaben unter 370 Pflegekräften 87,8 Prozent an, häufig oder sehr häufig Arbeitsunterbrechungen ausgesetzt zu sein (Müller, Münch und Badura 1997 in Baethge und Rigotti 2010) und in Schweizer Krankenhäusern seien 8-32 Unterbrechungen pro Schicht gezählt worden (Estryn-Behar 1998 in Baethge und Rigotti 2010). Auch im OP konnte gezeigt werden, dass Unterbrechungen und Distraktionen (wie z.B. das OP-Tür-Öffnen) im Durchschnitt 13 Prozent der Arbeitszeit in Anspruch nahmen, wobei Einzelfälle mit bis zu 50 Prozent beschrieben wurden (Healy, Primus und Koutantji 2007 in Baethge und Rigotti 2010).

Zeitintelligenz heißt auch, Unterbrechungen zu minimieren. Dazu gehört als erster Schritt, sich Unterbrechungen bewusst zu machen. Natürlich gibt es dringende Informationen oder Notfallsituationen, die jede Unterbrechung rechtfertigen. Jedoch kommen auch immer wieder kleine Unterbrechungen im Stations- oder Praxisalltag vor, die man gut vermeiden kann, indem man z.B. Rückfragen oder Anordnungen sammelt und zu vorher festgelegten Zeiten im Stations- oder Praxisteam bespricht. Oft haben sich z.B. Kurvenvisiten am Nachmittag durchgesetzt, wo nochmal die einzelnen Patienteninformationen durchgesprochen werden. Auch ein „Bitte nicht stören“ Schild am Arztzimmer kann sinnvoll sein, um ungestört und somit produktiver Arztbriefe oder ähnliches zu schreiben. Ist eine Unterbrechung unvermeidlich, so hilft zum Beispiel eine kleine Notiz dabei, anschließend wieder schneller in die ursprüngliche Aufgabe hineinzufinden.

Tipp

Gehen Sie doch mal zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen auf der Station, im OP oder der Praxis durch, wodurch Sie regelmäßig unterbrochen werden. Fragen Sie sich:

1.    Welchen Einfluss haben diese Unterbrechungen auf Sie persönlich, aber auch als Team?
2.    Welche Möglichkeiten haben Sie, diese Unterbrechungen zu minimieren?

Lässt sich Multitasking vermeiden?

Vergleichbar zu Unterbrechungen laufen auch bei Multitasking belastende Prozesse ab, wie Baethge und Rigotti eruierten (2010, siehe oben). Spannend ist es vor allem vor dem Hintergrund, dass gerade im Krankenhaus häufig mehrere Aufgaben gleichzeitig ausgeführt werden: Von Pflegekräften wurden z.B. im Mittel 66,8 Mal pro Frühschicht zwei oder mehr Tätigkeiten gleichzeitig ausgeführt, und auch für Klinikärzte wurde ein Umfang von 17-20 Prozent der Arbeitszeit angegeben, in der sie zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig ausführten (Baethge und Rigotti 2010, siehe oben).

Solange Aufgaben standardisiert und automatisiert ablaufen, scheint Multitasking auch ohne vermehrte Fehlerhäufigkeit möglich zu sein. Aus diesem Grund werden auch in der Notfallmedizin immer wieder Reanimationsabläufe standardisiert erarbeitet und trainiert. Ansonsten ist es empfohlen, sich bewusst zu machen, wann man mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigt. Teilweise ist es auch möglich, die Aufgaben nacheinander anzugehen, was am Ende auch Zeit sparen und die Fehleranfälligkeit verringern kann, empfiehlt Zach Davis.

Beispiel aus der Praxis

Der Stationsarzt im fünften Jahr in der operativen Gynäkologie ist mit seiner Kraft am Ende. Es ist nach 20 Uhr, er diktiert noch seine OP-Berichte der letzten Tage, verspricht sich ständig und ist einfach nur müde. Als er sich bereits den vierten Kaffee innerhalb der letzten Stunde aus der Stationsküche holt, spricht ihn die erfahrene Stationsleitung der Pflege auf seine Situation an.

Er lässt seinem Frust freien Lauf, dass er bereits den Nachmittag für seine OP-Berichte vorgesehen hatte, jedoch habe es immer wieder Unterbrechungen gegeben wie ständige Rückfragen der Pflege und Entlassungen auf Zurufen. Die pflegerische Stationsleitung berichtet, dass auch die Pflege immer wieder von ärztlicher Seite unterbrochen und aus ihren Aufgaben gerissen werde. Oft fühlen sie sich ebenso ineffizient und mitunter auch nicht in ihrer Tätigkeit ernst genommen. Aus dieser Perspektive hatte es der Stationsarzt bisher noch gar nicht gesehen.

Sie beschließen, am nächsten Tag ein gemeinsames Brainstorming zum Schichtwechsel zu machen, wo all diese Unterbrechungen mal von beiden Seiten erfasst werden, um zusammen Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Dieses ist ein toller Erfolg. Alle beteiligen sich gerne inklusiv der Oberärztin und erarbeiten folgende neuen Strukturen:

  • Rückfragen und Anweisungen pflegerischer und ärztlicher Seite werden gesammelt und nach Möglichkeit in der Morgenvisite oder der Kurvenvisite am Nachmittag besprochen. Darüber hinaus gibt es noch eine festgelegte Zeit am Mittag und vor dem angestrebten Feierabend am Spätnachmittag.
  • Ein Pfleger hat eine kleine Schiefertafel zu Hause, die er gerne spendiert. Wird diese mit einem netten Spruch an das Arztzimmer gehängt, kommt die Pflege nur im Notfall bzw. bei dringend notwendiger Intervention herein.
  • Im Gegenzug vermeiden die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die Pflegekräfte zu stören, wenn diese entweder beim Stellen der Medikamente sind oder gerade die Kurvenanweisungen umsetzen.
  • Für die Entlassungen versuchen alle, gemeinsam einen gebündelten Zeitraum am Tag auszumachen, so dass es für alle besser planbar ist.

Priorisieren Sie Ihre Aufgaben!

Eine klassische Management-Methode zur Priorisierung von Aufgaben stellt das Eisenhower-Prinzip dar. Der amerikanische General und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der von 1890 bis 1969 lebte, solle nie Stress gehabt haben. Er beschrieb, dass er seine Aufgaben in vier Kategorien aufteilte: Aufgaben, die wichtig und dringend sind, erledigte er zuerst. Aufgaben, die wichtig, aber nicht dringend sind, kamen anschließend dran. Aufgaben, die nicht wichtig, aber dringend sind, delegierte Eisenhower. Aufgaben, die weder wichtig noch dringend waren, habe Eisenhower einfach ignoriert.

Können Sie auf der Station oder in der Praxis zuordnen, ob Ihre Aufgaben dringend und/oder wichtig sind? Welche Aufgaben können Sie z.B. an Studierende oder die Pflege delegieren? Oft sind wir im Arbeitsalltag einfach im Autopiloten und arbeiten alles uns Machbare ab, ohne uns diese Fragen zu stellen.

Toolbox Führung

Nach dem Eisenhower-Prinzip lassen sich Aufgaben unterteilen in:

A: Wichtig und dringend – Aufgaben mit hohem Nutzen und kurzer Deadline.
Arbeiten Sie diese vorrangig ab.

B: Wichtig, aber nicht dringend – Aufgaben, die langfristig oder in Notfällen einen hohen Nutzen haben. Gehen Sie diese nach den Aufgaben aus Gruppe A an.

C: Nicht wichtig, aber dringend – Aufgaben mit Deadline, jedoch mit wenig oder ohne Nutzen. Delegieren Sie diese Aufgaben z.B. an Studierende.

D: Weder wichtig noch dringend – nutzlose Aufgaben ohne Deadline. Streichen Sie diese Aufgaben komplett oder sitzen Sie diese aus, bis sie dringend und delegierbar werden.

Grafik "Das Eisenhower-Prinzip" zum Download (jpg, 130 KB)

nach Zach Davis

Manchmal ist es auch einfach an der Zeit, nach Hause zu gehen

Kennen Sie diesen Moment, wenn es schon spät ist, Sie als letztes auf der Station oder in der Praxis zurückgeblieben sind, weil Ihre Liste mit Aufgaben noch lang ist? Wenn Sie ehrlich mit sich selbst sind, dann sind Sie jetzt gar nicht mehr besonders effektiv. Sie brauchen mindestens doppelt so lange für alles, sind verspannt, haben Kopfschmerzen und sind bereits viel zu müde, um Widerstand zu leisten. Genau das ist der Moment, an dem Sie auch einfach mal nach Hause gehen sollten. Wenn wir ausgeschlafen sind, geht uns alles wieder viel leichter von der Hand. Außerdem sind Sie den anderen Kolleginnen und Kollegen damit ein gutes Beispiel und fördern eine gesunde (Selbst-)Führung in Klinik und Praxis. Viel Spaß beim leichteren Selbstmanagement.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Das mach ich! Das lass ich!“ mit Zach Davis als Führungsexperte für Produktivität ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

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Mehr Infos unter www.leaders-academy.com.

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