Ärztinnen und Ärzte können einen Teil ihrer Facharztweiterbildung in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder bei Niedergelassenen ableisten. Allerdings sind diese Arbeitgeber meist nicht tarifgebunden. Sie können frei verhandelte Arbeitsverträge schließen, was einige Risiken und Probleme mit sich bringt.
Der konkrete Fall: Eine Ärztin war innerhalb ihrer fachärztlichen Weiterbildung in einer Gemeinschaftspraxis beschäftigt. Wenig später wurde diese von einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) übernommen, das über eine Weiterbildungsbefugnis von 42 Monaten verfügte. Die Ärztin und das MVZ vereinbarten im Arbeitsvertrag eine Probezeit von fünf Monaten. Während der Probezeit war eine Kündigung innerhalb von zwei Wochen möglich. Nach Ablauf der Probezeit sollte die ordentliche Kündigung für eine Dauer von 42 Monaten für beide Parteien ausgeschlossen und erst nach Ablauf dieses Zeitraums innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfristen wieder möglich sein. Sofern die Arbeitnehmerin den Arbeitsvertrag vor Ende des 42-monatigen Zeitraums kündigen sollte, drohte ihr eine Vertragsstrafe von bis zu drei Monatsgehältern.
Ärztin kündigte wegen familiärer Umstände
Wegen familiärer Umstände kündigte die Ärztin nach zwei Jahren ihr Arbeitsverhältnis ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Das Medizinische Versorgungszentrum behielt daraufhin eine noch fällige Lohnzahlung der Ärztin ein und forderte von ihr, auch den Rest der vereinbarten Vertragsstrafe zu zahlen. Die Ärztin wiederum forderte die Auszahlung des ihr noch zustehenden Lohns.
Was das konkrete Ergebnis angeht, stimmen die mit dem Fall befassten Gerichte, das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg und das Bundesarbeitsgericht (BAG), überein: Das MVZ ist zur Lohnzahlung verpflichtet; die Ärztin muss keine Vertragsstrafe zahlen. Allerdings unterscheiden sich die Argumentationen der beiden Gerichte.
Das LAG Baden-Württemberg gab der Ärztin zunächst Recht und erklärte die Forderung des MVZ für unbegründet, eine Vertragsstrafe zahlen zu müssen. Das Gericht hielt den Ausschluss der ordentlichen Kündigung für eine Dauer von 42 Monaten für unwirksam. Es stünde nicht im Interesse beider Parteien, eine Kündigung über einen so langen Zeitraum auszuschließen. Zwar berücksichtigte das Gericht das Interesse des Medizinischen Versorgungszentrums am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, welches Zeit und personelle Ressourcen in die Weiterbildung der Ärztin investiert hatte. Jedoch stünden diese Interessen sowohl hinter der durch Art. 12 des Grundgesetzes geschützten Berufsfreiheit zurück als auch hinter dem in Art. 6 Grundgesetz geregelten Recht auf Familienleben der Ärztin. Auch führte das LAG Baden-Württemberg an, der Arbeitgeber profitiere ebenso von der Investition anderer Arbeitgeber, wenn er selbst Ärztinnen oder Ärzte in einem fortgeschrittenen Weiterbildungsstadium anstelle.
BAG: Höhe der Vertragsstrafe unwirksam
Gegen dieses Urteil legte das beklagte MVZ Revision ein, sodass das Bundesarbeitsgericht über den Fall zu entscheiden hatte. Auch das BAG gab der Ärztin Recht und schloss sich dem Urteil des LAG im Ergebnis an (BAG-Urteil vom 20. Oktober 2022, 8 AZR 332/21). Jedoch begründeten die Richter das Urteil anders, woraus sich für andere Fälle wichtige Erkenntnisse entnehmen lassen. Während das LAG die Vereinbarung über den Kündigungsausschluss für unwirksam erklärte, weil die Interessenlagen beider Parteien diesen nicht rechtfertigten, ließ das BAG diese Entscheidung ganz offen. Das Gericht stimmte weder der Argumentation des LAG zu noch erklärte es diese für falsch oder nicht vertretbar.
Vielmehr stützt sich das Revisionsgericht darauf, dass die vereinbarte Höhe der Vertragsstrafe die Klägerin bereits unangemessen benachteiligt habe und diese somit unwirksam sei. Die Begründung: Die Vertragsstrafe in Höhe von drei Monatsverdiensten werde im konkreten Fall bereits geschuldet, wenn die Arbeitnehmerin unmittelbar nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt hätte. Zu diesem Zeitpunkt hätte das MVZ im Vergleich zu einem späteren Zeitpunkt einen überschaubaren Aufwand für die Ausbildung der Ärztin betrieben. Nach Ansicht des Gerichts rechtfertigt dies keine Vertragsstrafe in dieser Höhe. Zudem sei es der Ärztin bei einer Vergütung von 4.435 Euro brutto bis zum Ablauf der Probezeit nicht möglich gewesen, Ersparnisse aufzubauen, die die Höhe der Vertragsstrafe auch nur ansatzweise erreicht hätten. Aus diesen Gründen erklärte das BAG die Höhe der Strafe für nicht interessengerecht und daher unwirksam.
Strafe bis zu drei Monatsgehältern möglich
Wenn die beiden Vertragsparteien die Vertragsstrafe angemessen abgestuft hätten, hätte das BAG den Fall auch anders entscheiden können. Sofern man mit einer geringeren Vertragsstrafe beginnen und sich diese im Verhältnis zur fortschreitenden Weiterbildung steigern würde, könnte eine Strafe bis zu drei Monatsgehältern gegebenenfalls gerechtfertigt und angemessen erscheinen.
Zum vereinbarten Kündigungsausschluss führte das BAG an, eine Befristung von Arbeitsverträgen für Ärztinnen und Ärzte, die sich in ihrer Weiterbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt befinden, sei nach dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) grundsätzlich möglich und auch üblich. Solche Arbeitsverträge könnten höchstens für eine Dauer von acht Jahren geschlossen werden. In Verbindung mit den Bestimmungen des Teilzeitbefristungsgesetzes (§ 15 TzBfG aF) wäre eine ordentliche Kündigung nur zulässig, wenn diese explizit vertraglich vereinbart wird. Übertragen auf den konkreten Fall hätte ein längerfristiger Ausschluss einer ordentlichen Kündigung daher durchaus zulässig sein können. Das Bundesarbeitsgericht lässt diese Fragestellung in seinem Urteil jedoch unbeantwortet.
Nicht jeder Kündigungsausschluss ist unwirksam
Ärztinnen und Ärzte sollten daher nicht per se davon ausgehen, dass jeder Kündigungsausschluss über einen längeren Zeitraum automatisch unwirksam ist, wie das LAG entschieden hatte. Was zulässig ist, ist im Einzelfall zu entscheiden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten daher beim Vertragsabschluss neben einer angemessenen Kündigungsfrist insbesondere auf eine angemessene Höhe der Vertragsstrafe achten.
Die Autoren:
Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Lisa-Marie Büchner
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Nölling
Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig
Infos und Kontakt: www.ra-noelling.de
Dtsch Arztebl 2024; 121(11): [2]