Recht: Worauf Weiterbildungsassistenten in Arbeitsverträgen achten sollten

1 Februar, 2022 - 06:58
Dr. iur. Torsten Nölling
Frau unterschreibt Vertrag

Früher waren Ärztinnen und Ärzte froh, wenn sie überhaupt einen Arbeitsvertrag für ihre Weiterbildungszeit bekamen. Der Ärztemangel hat dieses Kräfteverhältnis verändert. Doch wichtig ist, Vertragsbedingungen insbesondere in der ambulanten Versorgung genau zu prüfen.

Immer mehr angehende Fachärztinnen und Fachärzte leisten einen Teil ihrer Weiterbildung in Praxen niedergelassener Ärzte oder in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ab. In den nicht tarifgebundenen Arztpraxen und MVZ sind die Arbeitsbedingungen alles andere als uniform. Dort gibt es Licht und Schatten frei verhandelter Arbeitsverträge.

Im konkreten Fall trat die klagende Ärztin ihre 60-monatige dermatologische Weiterbildung in einer Gemeinschaftspraxis an. Nach einem knappen Jahr übernahm ein MVZ die Praxis, das Arbeitsverhältnis wurde fortgesetzt. Das MVZ verfügte über eine Weiterbildungsbefugnis von 42 Monaten. Die Ärztin hätte also in jedem Fall die Arbeitsstelle wechseln müssen, um ihre Weiterbildung beenden zu können. Im Arbeitsvertrag war eine Probezeit von fünf Monaten vereinbart, während der eine Kündigungsfrist von zwei Wochen galt. Nach dem Ende der Probezeit sollte die ordentliche Kündigung für beide Seiten für die gesamte Dauer der 42-monatigen Weiterbildungsbefugnis ausgeschlossen sein. Im Anschluss daran sollten die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten.

01.06.2023, SRH Kliniken Landkreis Sigmaringen GmbH
Sigmaringen
01.06.2023, SRH Kliniken Landkreis Sigmaringen GmbH
Sigmaringen

Beim Verstoß gegen diesen Kündigungsausschluss sollte die Ärztin eine Vertragsstrafe bis zu drei Monatsgehältern zahlen. Das Gehalt betrug unterdurchschnittliche 4.435 Euro brutto im Monat. Nach zwei Jahren kündigte die Ärztin das Arbeitsverhältnis ordentlich, sie hielt die gesetzlich vorgesehene Kündigungsfrist ein und begründete dies mit einem familiär bedingten Umzug. Das MVZ wiederum behielt das noch ausstehende Gehalt ein und verlangte vor Gericht den Fehlbetrag auf die vereinbarte Vertragsstrafe. Die Ärztin verlangte die ausstehende Gehaltszahlung.

Grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit

Der rechtliche Hintergrund: Die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit garantiert jedem und jeder, Beruf und Arbeitsstätte frei zu wählen. Auch hat jeder das Recht, die einmal gewählte Arbeitsstätte oder auch den einmal gewählten Beruf zu verlassen. Daher ist es verfassungswidrig, eine ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers dauerhaft auszuschließen. Hingegen gilt bei befristeten Arbeitsverhältnissen der Grundsatz, dass eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist. Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) kann ein ordentliche Kündigung für den Arbeitnehmer höchstens für fünf Jahre wirksam ausgeschlossen werden (§ 15 Abs. 4 TzBfG).

Davon abgesehen sind Kündigungsfristen in Arbeitsverträgen zulässig und absolut üblich. Sie sollen beiden Vertragsparteien einen Schutz davor bieten, dass das Arbeitsverhältnis überraschend beendet wird. Der Arbeitgeber verlässt sich auf die Arbeitsleistung und richtet seinen Betrieb danach aus, der Arbeitnehmer ist für seinen Lebensunterhalt auf die regelmäßigen Gehaltszahlungen angewiesen. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber in § 622 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Kündigungsfristen normiert, von denen man jedoch abweichen kann.

Gerichte prüfen Angemessenheit im Einzelfall

Den Gerichten kommt die Aufgabe zu, im Einzelfall zu prüfen, wo die Grenze verläuft zwischen einer sachgerechten Verlängerung der Kündigungsfrist oder einem zulässigen, temporären Ausschluss des Kündigungsrechts einerseits und einer unzulässigen Einschränkung der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers andererseits. Dabei sind auch spezialgesetzliche Regelungen zu beachten. Das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG), das im konkreten Fall gilt, umfasst keine besonderen Regelungen zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Grundsätzlich gelten also die Regelungen des § 15 Abs. 3 TzBfG, wonach das Recht zur ordentlichen Kündigung explizit vereinbart werden muss.

Vereinbarungen in Arbeitsverträgen werden regelmäßig vom Arbeitgeber vorgegeben. Gerichte können diese auf Angemessenheit überprüfen. Dabei prüfen die Richter, ob das Benachteiligen des Arbeitnehmers durch den temporären Ausschluss der ordentlichen Kündigung noch angemessen ist. Es geht nicht nur um die Interessen der konkreten Vertragsparteien. Vielmehr legen die Gerichte einen generellen, typisierenden, vom Einzelfall losgelösten Maßstab an. Das führt dazu, dass die Rechtsprechung auf andere Arbeitsverhältnisse übertragen werden kann.

01.06.2023, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH
Villingen-Schwenningen
01.06.2023, SRH Kliniken Landkreis Sigmaringen GmbH
Sigmaringen

Landesarbeitsgericht gab der Ärztin Recht

Im konkreten Fall gaben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht der Ärztin Recht. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg kam mit guten Argumenten zum Ergebnis, dass es die Interessen der Parteien eines ärztlichen Weiterbildungsarbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen können, eine ordentliche Kündigung über einen Zeitraum von 42 Monaten auszuschließen (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 2021, Az.: 1 Sa 12/21). Das Gericht berücksichtigte zugunsten der Ärztin ihre grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit und das sich aus Art. 6 des Grundgesetzes ergebende Recht auf Familienleben, da die Familiengründung typischerweise in die gleiche Lebensphase wie die ärztliche Weiterbildung falle.

Zugunsten des Arbeitgebers und dessen Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses berücksichtigten die Richter dessen Investition in die Weiterbildung. Andererseits erkannte das Gericht die Möglichkeit des MVZ, selbst Assistenten im fortgeschrittenen Weiterbildungsstadium anzustellen und somit von den Investitionen anderer Arbeitgeber zu profitieren. Auch zog es tarifvertragliche Regelungen des Marburger Bundes und einen Musterarbeitsvertrag der KV Sachsen-Anhalt hinzu. Ein Bedürfnis, sich längerfristig zu binden als die üblichen beiderseitigen Kündigungsfristen, erkannte das LAG nicht.

Bundesarbeitsgericht entscheidet über Revision

Wichtig für das Beurteilen der Wirksamkeit eines temporären Ausschlusses der ordentlichen Kündigung ist, dass es nicht um einen befristeten Arbeitsvertrag im Rechtssinne ging. Im konkreten Fall sollte der Vertrag nach Ablauf der 42 Monate Mindestlaufzeit als unbefristeter Vertrag weiterlaufen. Das LAG-Urteil ist gut begründet. Doch muss die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) noch abgewartet werden, das über die Revision zu entscheiden hat.

Dtsch Arztebl 2022; 119(5): [2]

Der Autor

Dr. iur. Torsten Nölling
Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig

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