Arzt-Patienten-Kommunikation: Wie Ärztinnen und Ärzte wertschätzend kommunizieren

17 November, 2020 - 08:04
Dr. med. Dipl. Mus. Charlotte Kinateder und Dr. med. Tilman Rentel
Kommunikation, grafische Darstellung: Zwei Sprechblasen

Mit einer offenen Gesprächshaltung, aufmerksamem Zuhören und einfachen Fragen können Ärzte in kurzer Zeit Informationen von diagnostischem und therapeutischem Wert erhalten.

In vielen Situationen des klinischen Alltags erweist sich eine elegante und wertschätzende Kommunikation von unschätzbarem Wert. Dabei kommt es auf die Zugewandtheit und das Sich-Einlassen an sowie auf das Gefühl der Betroffenen, gesehen und gehört zu werden. Deren Einzigartigkeit drückt sich in ihrer individuellen Sprache aus. Ärztinnen und Ärzte können dies in ihrer Kommunikation hervorragend nutzen, um rasch einen guten Draht und Vertrauen herzustellen, die für eine Kooperation bedeutend sind.

Patienten in ihrer Sprache ernst nehmen

Für den Aufbau von Vertrauen in der Arzt-Patienten-Beziehung ist entscheidend, kranke Menschen mit ihren eigenen Worten und Bildern zu ihren Symptomen ernst zu nehmen. Dies gelingt durch Zuhören und Aufgreifen der Schlüsselworte mit einfachen, offenen Fragen. Das Eingehen auf die Bildhaftigkeit der individuellen Sprache ermöglicht es, das implizite Wissen eines Menschen um psychische und somatische Prozesse zum Vorschein zu bringen.

Auf diese Weise können Ärztinnen und Ärzte vermeiden, Symptome vorschnell zu deuten. Mit einer geschickten Gesprächsführung kann ihnen eine effiziente Kommunikation gelingen, die relevante Informationen liefert. Ein Beispiel:

  • Ein Arzt fragt einen Patienten mit Rückenschmerzen, ob er die Schmerzen mit eigenen Worten näher beschreiben könne. Er schildert die Schmerzen als „stechend“. Der Arzt fordert ihn auf, dieses „Stechen“ bildhaft zu beschreiben. Der Patient erklärt, dass es ein „Stechen wie mit einem Messer“ sei. Auf Nachfrage, welche Art von Messer solche Schmerzen verursachen können, erzählt der Patient von einem „langen Messer mit Wellenschliff, das ihm „von hinten in den unteren Rücken gestochen“ und dann „langsam umgedreht wird“. An dieser Stelle transportiert sich auf vegetativer Ebene die volle Wucht der subjektiv erlebten Schmerzen. Der Patient erklärt, dass solche Messer „beim Kämpfen“ verwendet würden. Auf Nachfrage nach einem Beispiel, wo es solche Kämpfe gebe, überlegt der Patient und schildert seine Arbeitssituation, in der er erlebe, dass Kollegen ihn seit einigen Wochen „schneiden“, nicht mehr mit ihm reden, sondern „hinter seinem Rücken“ über ihn verletzende Dinge tuschelten. Ihm wird der psychosoziale Kontext und die Entstehungsdynamik der Rückenschmerzen klar. Diese Erkenntnis ermöglicht es ihm, sich für eine psychosomatische Beratung und Behandlung zu öffnen.

Es geht beim Zuhören um eine Art der Absichtslosigkeit, die Individualität einschließt. Es geht darum, um die „guten Gründe“ zu wissen, die in all dem stecken, was Menschen tun. Diesen "guten Gründen“ auf die Spur zu kommen, gelingt, indem Ärztinnen und Ärzte sich bemühen, in den Schuhen der Betroffenen zu laufen. Dabei geht es um Austausch und um das Erfahren an sich, und zwar in den Worten der Menschen, die erkrankt sind.

Offene Fragen zu den Themen der Patientin

Ein weiteres Beispiel aus dem Klinikalltag veranschaulicht, wie offene Fragen zu Schlüsselthemen der Betroffenen auch den Umgang mit Situationen erleichtern, in denen es keine unmittelbare medizinisch machbare Lösung gibt:

  • Eine Patientin stellt sich mit rechtsseitigen okzipitalen Kopfschmerzen vor. Nach der körperlich neurologischen Untersuchung berichtet sie, dass sich in ihrem Leben „alles übereinander stapele“ und sie sich „wie in einem Rad fühlt“. Auf das Nachfragen der Ärztin, was sie in ihrem Leben gerne mache, beginnt sie von ihrem Garten zu sprechen, in dem sie täglich eine Stunde verbringe. Auf die Frage, wie es sei, dort zu sein, berichtet sie, dort sei es „sehr schön, bunt, ruhig und frisch“. Erneut erzählt sie von all dem Stress in ihrem Leben, in der Firma, mit der sie selbstständig sei, und in ihrem Privatleben. Sie spricht von ihrer Verantwortung und davon, dass sich kürzlich einer ihrer Mitarbeiter den Daumen abgesägt habe, als er unachtsam mit der Kreissäge umgegangen sei: „Wir haben den Sanitätern den Stumpf mitgegeben, aber man konnte nichts mehr machen. Der Finger konnte nicht mehr angenäht werden.“ Auf die würdigende Rückmeldung, dass sich ihre berufliche Situation und dieses konkrete Erlebnis sehr belastend anhörten, bestätigt sie, wie viel Verantwortung sie trage und auf die Nachfrage nach Positivem gibt sie an, es sei „gar nichts gut“. Das Gespräch wendet sich auf die Frage hin, was ein erster Schritt sein könnte, damit sich etwas ändere. Darauf antwortet sie: „Ich bräuchte einen Menschen, der mir hilft.“ Auf konkreteres Nachfragen, wie man sich diesen Mensch vorstellen könne, erklärt sie, er müsse „zumindest die Telefontermine übernehmen und ein paar Verwaltungsaufgaben“. Dann könne sie anstatt einer Stunde bald wieder zwei bis drei Stunden am Tag in ihrem Garten sein. Sie überlegt einen Moment und nach einer kurzen Pause sagt sie, es gehe ihr nun schon besser: „Ja, eigentlich weiß ich, was ich brauche!“

Menschliche Präsenz verwirklichen

Die Kunst liegt darin, im Zuhören wertfrei und unvoreingenommen zu sein, nicht belehrend oder allwissend. Vielmehr geht es um eine Haltung, die davon ausgeht, dass jeder Mensch einen guten Grund für das „Sosein“ in diesem Moment hat. Gemeinsame Aufgabe ist es, diese „guten Gründe“ zu entdecken und einen Umgang damit zu finden, zum Beispiel durch Akzeptanz des Nichtänderbaren, Erfüllen eines Wunsches nach Beratung sowie lindernder oder kurativer Maßnahmen. Auf diese Weise kann Veränderung geschehen, ohne dass sie „gemacht“ wird. Das medizinisch Machbare wird ergänzt durch menschliche Präsenz.
 

Zusätzlich zu den auf Machbarkeit fokussierenden Fragen des klassischen medizinischen Behandlungsmodells wie: „Was fehlt Ihnen?“ und „Was kann ich für Sie tun?“, helfen kurze, offene Fragen zu den Themen, die Betroffene in ihrer eigenen Sprache benennen, um ihre persönlichen Kontexte zu würdigen und Präsenz zu verwirklichen. Ärztinnen und Ärzte können zum Beispiel fokussieren auf: „Was tut Ihnen gut?“, um Ressourcen zu entdecken. „Wo möchten Sie hinkommen?“ und: „Was ist Ihnen wichtig?“, um Ziele und Bedürfnisse zu klären sowie: „Was brauchen Sie, um Ihrem Ziel einen kleinen Schritt näher zu kommen?“, um gemeinsame Handlungswege zu planen.

Dtsch Arztebl 2020; 117(47): [2]
 


Die Autoren

Dr. med. Dipl. Mus. Charlotte Kinateder,
Ärztin, Gestalttherapeutin
Dr. med. Tilman Rentel,
Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Ausbilder in Idiolektik
91054 Erlangen

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