Recht: Placebobehandlung - So klären Ärzte richtig auf

9 September, 2021 - 17:22
Dr. iur. Torsten Nölling
Ärztin hält Placebotablette zwischen den Fingern

Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin ist die Placebobehandlung eine Besonderheit. So setzen Ärzte den klinisch relevanten, hirnphysiologisch und anatomisch messbaren Placeboeffekt ohne pharmakologische Wirkung therapeutisch ein.

Der Einsatz von Placebo in der therapeutischen Praxis ist für die anwendenden Ärzte mit größeren Risiken verbunden. Es geht insbesondere um die Frage, ob und wenn ja wie die Ärzte ihre Patienten aufzuklären haben. Dabei bezieht sich dieser Beitrag auf „echte“ Placebos und nicht auf sogenannte Pseudoplacebos, also Medikamente mit biologisch aktiven Substanzen, die unterhalb der Wirksamkeitsschwelle oder außerhalb ihres Indikationsgebietes eingesetzt werden. Dies führt zu zusätzlichen Problemen, zum Beispiel den Off-Label-Einsatz.

Grundsätze ärztlichen Handelns

Zunächst gilt, ärztlich-therapeutisches Handeln muss drei Voraussetzungen erfüllen:

  • Zunächst muss eine medizinische Indikation vorliegen,
  • das ärztlich-therapeutische Handeln muss den fachlichen Regeln, der Lex artis, entsprechen und
  • schließlich verlangt die Rechtsordnung das informierte Einverständnis des aufgeklärten Patienten.

Im Hinblick auf das therapeutische Potenzial des Placeboeffekts kann es eine Indikation für eine Placebobehandlung zwar nicht generell, jedoch im Einzelfall geben. Doch im Hinblick auf die naturwissenschaftliche Ausrichtung der modernen Medizin erscheint eine Placebobehandlung als Standardtherapie derzeit nicht möglich. Aus rechtlicher Sicht bewegt sich die Gabe von Placebos somit im Bereich des Heilversuchs. Ist eine Standardmethode verfügbar, muss die Placebobehandlung im Vergleich dazu bestehen. Daher kann sie regelmäßig erst nach der Standardtherapie eingesetzt werden. In diesen Fällen und in Fällen, in denen es keine Standardtherapie gibt, kann man den Einsatz von Placebos durchaus als lege artis ansehen. 

Informierte Einwilligung des Patienten

Voraussetzung für legales ärztliches Handeln ist die informierte Einwilligung des Patienten. Um in eine medizinische Maßnahme einwilligen zu können, muss der Arzt den Patienten über das Ob und Wie der geplanten Maßnahme so informieren, dass er die wesentlichen Vor- und Nachteile und die damit verbundenen Risiken einschätzen kann. Auf den ersten Blick schließen sich eine Placebobehandlung und eine wahrheitsgemäße Information des Patienten aus. Denn traditionell beruht der Placeboansatz darauf, dass der Patient nichts von der fehlenden pharmakologischen Wirkung der verabreichten Therapie weiß. Der Suggestionseffekt droht mit der Information über die Placeboeigenschaft der Therapiemethode verloren zu gehen.

Drei Aufklärungsansätze bei Placebobehandlung

Tatsächlich bietet der strenge rechtliche Rahmen keine Möglichkeit, eine Placebobehandlung gänzlich ohne das Wissen des Patienten durchzuführen. Ohne Aufklärung, jedenfalls über die grundlegenden Chancen und Risiken, ist selbst der im Gesetz (§ 630 e Abs. 3 BGB) vorgesehene mögliche Verzicht des Patien-ten auf eine detaillierte Aufklärung unzulässig. Um dieses Dilemma zu lösen, gibt es verschiedene Ansätze: 

  1. Infrage kommt eine „antizipierte Einwilligung“. Der Patient willigt im Vorfeld ein, dass der Arzt zu einem späteren, noch nicht näher bestimmten Zeitpunkt, eine Placebobehandlung durchführen darf. Dieser Ansatz ist in gewisser Weise vergleichbar mit der Situation klinischer Prüfungen, in denen der Studienteilnehmende einwilligt, sowohl in den Verum- als auch in den Placeboarm eingeschleust zu werden. Beim therapeutischen Einsatz von Placebo ist dieser Lösungsansatz nur bei langfristig angelegten Behandlungsverhältnissen denkbar. In Fällen akuter Beschwerden scheidet er aus.
  2. Auch könnte die gesamte homöopathische Medizin als Placebotherapie charakterisiert werden. Denn die eingesetzten Hochpotenzen sind aus pharmakologischer Sicht reine Placebos. Auch beim Einsatz von Homöopathie muss der Arzt zunächst darüber aufklären, dass er die Schulmedizin verlässt. Jedoch wird in der Homöopathie gerade nicht über einen Placeboeffekt aufgeklärt. Vielmehr gibt es besondere Erklärungsansätze über die Wirkweise homöopathischer Medizin.
  3. Eine vielversprechende Lösung bietet die jüngere Forschung. Danach wird die Wirkung einer Placebobehandlung nicht gemindert, wenn der Patient zuvor darüber aufgeklärt wird, dass er ein Placebo erhält. Dies gilt allerdings nur, wenn er auch über die Existenz des Placebo-Effekts aufgeklärt wurde. Dieser Weg ist rechtlich zulässig, da er das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahrt. Er ist wohl auch medizinisch sinnvoll, da er den Placeboeffekt durch die umfassende Aufklärung gerade nicht neutralisiert. Interessant ist der Ansatz insbesondere, da ein partnerschaftlicher Weg mittels Aufklärung gewählt wird. Dies ist ohnehin die klare Vorgabe des Gesetzgebers (§§ 630 a ff. BGB).

Anspruch auf Schadensersatz

Sollten Ärzte trotz dieser Erkenntnisse eine Placebobehandlung ohne entsprechende Aufklärung und damit ohne wirksame Einwilligung des Patienten vornehmen, hat der Patient grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz. Allerdings dürfte in der Realität nur in Ausnahmefällen ein Schaden eintreten oder auf die Placebobehandlung rückführbar sein. Die bloße Gabe eines Placebos kann wohl nur in Ausnahmefällen, beispielsweise eine allergische Reaktion auf eine Trägersubstanz, zu einem Schaden führen.

Anderes könnte bei Pseudoplacebos oder dem Noceboeffekt gelten oder wenn anstelle des Placebos eine Verumgabe als Standardtherapie infrage gekommen wäre. Einen groben Behandlungsfehler ausgeschlossen, müsste der Patient allerdings auch in diesem Fall den Beweis führen für die Kausalität des Schadens, also das Abweichen vom hypothetischen, für den Patienten günstigeren Verlauf bei Anwendung der Standardtherapie.

Nach der Rechtsprechung führt allein eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten durch die Täuschung bei Placebogabe noch nicht zu einem Schadensersatzanspruch. Rechtssicher einsetzbar sind Placebos damit in allen Fällen, in denen eine Standardtherapie nicht oder nicht mehr verfügbar ist und der Patient informiert eingewilligt hat.

Dtsch Arztebl 2021; 118(37): [2]

Der Autor:

Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig

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