Raus aus der Burn-out-Falle: So behalten Sie die Freude am Arztberuf

3 August, 2020 - 07:32
Stefanie Hanke
Dr. Jan Wulff
Dr. med. Jan Christian Wulff ist Facharzt für Innere Medizin und praktiziert seit 35 Jahren in einer eigenen Hausarztpraxis in Sülfeld bei Hamburg. Seit 2007 arbeitet er außerdem als Mentaltrainer und US-zertifizierter Life Coach.

Ärztinnen und Ärzte stoßen in ihrem Arbeitsalltag manchmal an die Grenzen ihrer Belastbarkeit: Die Notaufnahmen und Wartezimmer sind voll, die Mittagspause muss mal wieder ausfallen und am Wochenende steht „Bereitschaftsdienst“ im Kalender. Was kann man tun, um sich trotzdem langfristig die Freude am Arztberuf zu erhalten?

„Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“ Dieser Satz ist Teil des Ärztlichen Gelöbnisses in der aktuellen Fassung, die 2017 vom Weltärztebund verabschiedet wurde. Doch das mit der Selbstfürsorge ist in der Realität gar nicht so einfach: So warnte Prof. Dr. Leonid Eidelman, ehemaliger Präsident des Weltärztebundes, vor einer „Burn-out-Pandemie unter Ärzten“ – fast die Hälfte der Ärzte weltweit zeige Symptome eines Burn-outs: Dazu gehören emotionale Erschöpfung, Energiemangel und Schlafstörungen, aber auch Probleme in der Partnerschaft oder Familie.

Und auch im Medscape-Report zum Thema Burn-out und Depressionen bei Ärzten, für den 20.000 Ärzte aus verschiedenen Ländern befragt wurden, zeigt sich das gleiche Ergebnis: Fast jeder zweite Teilnehmer berichtet von psychischen Problemen. Bei der Frage nach den Ursachen nannten 52 Prozent der Betroffenen „zu viel Verwaltung und Dokumentation“. Darauf folgten „verbringe zu viele Stunden in der Arbeit“ mit 50 Prozent und „fehlender Respekt von Arbeitgebern, Kollegen oder Angestellten“ mit 36 Prozent.

Burn-out bei Ärzten: Die Ursachen

In den vergangenen Jahren ist das Thema zunehmend in den Fokus der Ärzteschaft selbst gerückt: So hatte sich beispielsweise der 122. Deutsche Ärztetag in Münster 2019 das Thema „Wenn die Arbeit Ärzte krank macht“ als Schwerpunkt gesetzt. Ist der Arztberuf für viele am Anfang ihrer Karriere noch ein Traumjob, machen sich später in vielen Fällen Frust und Erschöpfung breit. Die Frage ist nur: Was kann man als Arzt oder Ärztin dagegen tun?

Für Dr. Jan Christian Wulff hat das nicht nur etwas mit den äußeren Umständen zu tun, sondern auch mit der eigenen Einstellung: „Wenn es Anfang Juli nur 17 Grad warm ist, kann ich mich über das schlechte Wetter im Sommer ärgern,“ erklärt der Internist und Life Coach, „ich kann mich aber auch freuen, dass ich bei diesen Temperaturen aktiver sein kann als bei 30 Grad“. Ähnlich sei es im Arztberuf: Während die einen ein volles Wartezimmer mit Stress in Verbindung bringen, sei es für andere ein Zeichen für eine gut laufende Praxis – und für die Möglichkeit, vielen Menschen helfen zu können, verdeutlicht Wulff seine Argumentation. „Bei der Interpretation unserer Situation haben wir immer eine Wahl“, erklärt er.

Wulff weiß, wovon er spricht: Er hat selbst eine Hausarzt-Praxis in der Nähe von Hamburg. Zusätzlich hat er sich in den USA zum Mentaltrainer ausbilden lassen – nun berät er andere Ärzte und hilft ihnen dabei, den Stress zu überwinden und die Freude an ihrem Beruf zurückzugewinnen. Für ihn selbst führen diese beiden anspruchsvollen Aufgaben nicht zu mehr Stress – ganz im Gegenteil: „Wenn man sich für das begeistert, was man tut, führt das ja nicht zu Stress – dann fällt man zwar nach 14 Stunden Arbeit auch erschöpft ins Bett, aber das ist eine andere Art Erschöpfung. Es ist sehr befriedigend, in einem Bereich etwas geleistet zu haben, der einem am Herzen liegt.“

Viele Mediziner wählen diesen Beruf aus Idealismus: Am Anfang der Laufbahn ist häufig die Vorstellung wichtig, Menschen helfen zu können – gepaart vielleicht auch mit einem wissenschaftlichen Interesse. Doch im Laufe des Berufslebens treten diese Faktoren oft in den Hintergrund. Neben der Verdichtung des Klinikalltags durch äußere Faktoren wie administrative Aufgaben und Ärztemangel macht Wulff dafür auch bestimmte Denkgewohnheiten verantwortlich, die viele Ärzte gemeinsam haben.

Warum sich Leistungsträger selbst überfordern

„Ärztinnen und Ärzte gehören zu den Leistungsträgern in unserer Gesellschaft“, erklärt er. „Das ist einerseits natürlich gut und mit viel Prestige verbunden. Andererseits kann das aber auch zur Gefahr werden, weil man von sich selbst immer mehr Leistung fordert, ohne die eigenen Grenzen zu erkennen.“ Bei vielen sei dieser Leistungsanspruch als negative Denkgewohnheit tief im eigenen Selbstverständnis verankert: „Das reicht bis in die frühe Kindheit zurück – bis zu der Urangst, verlassen zu werden. Unterbewusst wollen wir dieser Angst entgegenwirken, indem wir immer mehr leisten und so Anerkennung zu bekommen – so entsteht der Anspruch ‚höher, schneller, weiter‘, der letztendlich der Gesundheit schaden kann“.

Für Wulff ist Leistung an sich natürlich nichts Schlechtes. Aber: Ihm geht es um die Motivation, aus der die Leistung entsteht. Wenn man nach der Facharzt-Anerkennung beispielsweise noch Zeit und Energie in eine Zusatzqualifikation investieren wolle, weil einen das Thema reize und man neugierig auf das Fach sei, gebe es dagegen nichts einzuwenden. „Anders sieht es aus, wenn jemand befürchtet, ohne diese Zusatzqualifikation fachlich abgehängt zu werden – das führt dann ganz schnell zu ungesundem Stress und Druck.“ Langfristig zufriedener werde man übrigens auch nicht, wenn das Ziel dann am Ende erreicht sei, verrät der Hausarzt und Coach: „Das hält nur ein paar Wochen an. Danach wird dann bald das nächste Ziel angepeilt – und immer so weiter.“

"Ich fühle mich gut und mag mich gern"

Aber wie lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen? „Diese Denkgewohnheiten sind tief in uns gespeichert und lassen sich nicht so einfach ändern. Aber es geht – wenn man Zeit und Energie investiert“, erklärt Wulff, „das ist, wie als Erwachsener nochmal eine neue Fremdsprache zu lernen“. Als Coach arbeitet er mit seinen Klienten beispielsweise mit der ständigen Wiederholung von positiven Affirmationen: „Wenn man 10.000 Mal einen Satz wie ‚Ich fühle mich gut und mag mich gern‘ wiederholt, kann man damit die alte Denkgewohnheit, dass man nicht gut genug ist, im Unterbewusstsein überschreiben. Das klingt erstmal nach viel Aufwand. Aber wenn man sich wirklich Zeit dafür nimmt, schafft man so einen Satz 30 Mal pro Minute und 1.800 Mal pro Stunde“. Die Methode hat Wulff in den USA gelernt – dort sei Coaching deutlich stärker verbreitet als hierzulande, sagt er.

Und, funktioniert das auch? Ein bisschen Geduld brauche man dafür schon, so Wulff, und man müsse auch dranbleiben – daher sei ein Gegenüber wichtig: ein Coach oder ein Therapeut, in einigen Fällen reiche auch der Partner oder ein Freund. Wer seine Einstellung im Alleingang ändern wolle, scheitere damit oft. Bei Wulff selbst scheint die Methode zu wirken: Seine Begeisterung für den Arztberuf ist deutlich spürbar. „Meine Freunde in England nennen mich manchmal ‚Dr. Joy‘“, verrät der 73-Jährige. Er ist seit mehr als 40 Jahren Arzt – und hat die Freude am Beruf dabei nie verloren.
 


Der Experte:

Dr. med. Jan Christian Wulff ist Facharzt für Innere Medizin und praktiziert seit 35 Jahren in einer eigenen Hausarztpraxis in Sülfeld bei Hamburg. Seit 2007 arbeitet er außerdem als Mentaltrainer und US-zertifizierter Life Coach.

Mehr Infos: www.braintuningfordoctors.de

 

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