Arzthaftungsprozess: Vorsicht, wenn es um die Hygiene geht

2 März, 2021 - 08:04
Dr. iur Torsten Nölling
Hände mit blauen Gummihandschuhen

Im Prozess muss ein Kläger einen behaupteten Hygieneverstoß nur grob darstellen. Der Arzt indes muss beweisen, dass es keine Mängel gab oder diese den Schaden nicht verursacht haben.

Im Zivilprozess gilt, dass jede Partei ihre Behauptungen darlegen und beweisen muss. Ein Beweis gilt als erbracht, wenn die behauptete Tatsache nach Überzeugung des Gerichts wahr ist. Mitunter ist es für Kläger jedoch schwierig bis unmöglich, Umstände zu beweisen, die in der Sphäre des Beklagten liegen. Patienten haben keinen Einblick in die organisatorischen Abläufe eines Krankenhauses, Hygienepläne sind nicht öffentlich verfügbar. Dies und das Fehlen medizinischer Kenntnisse macht es ihnen unmöglich, einen Fehler konkret benennen oder gar beweisen zu können. Daher sind im Arzthaftungsprozess Erleichterungen vorgesehen, um Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen. Dazu zählen die Beweislastumkehr, eine stärker ausgeprägte Amtsermittlung des Gerichts und die sekundäre Darlegungslast.

Beweislastumkehr und Amtsermittlung

Eine Beweislastumkehr kommt zum Tragen, wenn es zum Beispiel um grobe Behandlungsfehler, einen Dokumentationsmangel oder ein voll beherrschbares Risiko geht. Hat ein Patient im Krankenhaus aus unbestimmter Ursache eine Infektion erworben, kommt die Beweislastumkehr regelmäßig nicht in Betracht. Da es in Kliniken unmöglich ist, Keimfreiheit herzustellen, geht es normalerweise eben nicht um ein voll beherrschbares Risiko.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) ist es jedoch auch in diesen Fällen nur möglich, Waffengleichheit herzustellen, wenn es dem Patienten erleichtert wird, Hygienemängel zu beweisen (BGH-Beschluss vom 25. Juni 2019, Az.: VI ZR 12/17). Konkret soll dem Patienten eine verstärkte Amtsermittlung zugutekommen. Der Patient habe medizinische Vorgänge nicht genau zu kennen. Ihm fehle die Einsicht in die internen Abläufe. Auch sei er nicht verpflichtet, sich medizinisches Fachwissen anzueignen. In Fällen von etwaigen Hygienemängeln braucht der Patient die behaupteten Umstände also nicht zu beweisen. Es genügt, diese auf Basis der Folgen für ihn vorzutragen, wenn sie einen Fehler des Arztes vermuten lassen. Das Gericht muss den Sachverhalt aufklären, gegebenenfalls indem es ein Sachverständigengutachten einholt.

Sekundäre Darlegungslast

Darüber hinaus kann es erforderlich sein, die Darlegungslast des Patienten zu reduzieren und sie dem Arzt aufzuerlegen, wenn der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihm eine nähere Substanziierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH-Beschluss vom 18. Februar 2020, Az.: VI ZR 280/19). Für eine solche sogenannte sekundäre Darlegungslast reicht es, wenn sich der Arzt sachlich mit den Verdachtsgründen auseinandersetzen kann. Er muss darlegen, dass es den behaupteten Verstoß, zum Beispiel gegen Hygieneregeln, entweder nicht gab oder für den Schaden nicht ursächlich war.

Im aktuellen Fall ging es um eine Patientin, die unter anderem wegen einer Magenspiegelung im Krankenhaus behandelt wurde. Drei Tage nach ihrer Entlassung wurde sie wegen Schmerzen und weiterer Symptome erneut vorstellig und stationär aufgenommen. Weitere sechs Tage später verstarb sie an einer schweren Sepsis. Im Nachgang wurde in einer Blutkultur Staphylococcus aureus nachgewiesen. Die Erbinnen der Patientin klagten gegen die behandelnden Ärzte auf Schmerzensgeld. Die Klägerinnen behaupteten, die Patientin sei im Krankenhaus durchgängig Hygieneverstößen struktureller Art und individueller Versäumnisse, wie dem Nichtbenutzen von Händedesinfektion oder dem Berühren ohne Handschuhe, ausgesetzt gewesen. Vor dem Land- und Oberlandesgericht erzielten die Klägerinnen einen Teilerfolg. Mit einem weitergehenden Anspruch jedoch wurde die Klage abgewiesen. Nach Ansicht der Gerichte legten die Klägerinnen die Behauptung, die Patientin sei durch einen Hygienemangel der Ärzte mit einem Keim infiziert worden, nicht schlüssig dar. Vor dem BGH hatten die Klägerinnen jedoch Erfolg: Ihr Vortrag zu Hygienemängeln reichte nach Ansicht der Richter aus, eine sekundäre Darlegungslast der Ärzte auszulösen. Die Klägerinnen seien in ihrem grundrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

Gebot des rechtlichen Gehörs

Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht die Fehlerfreiheit des Verfahrens sichern. Es gebietet, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen. Eine verfahrensfehlerhafte Nichtberücksichtigung liegt unter anderem dann vor, wenn das Gericht überspannte, also übertriebene Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat. An die Pflicht des Patienten, den Sachvortrag zu konkretisieren, sind im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß muss der Patient nicht vortragen. Es genügt, wenn er in groben Zügen erkennen lässt, welches Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden daraus entstanden ist.

Ist das gegeben, haben Ärzte nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substanziiert einzugehen, das heißt mit genaueren Angaben. Pauschale Angaben, die Hygiene eingehalten zu haben, reichen nicht aus. Ein solches nicht substanziiertes Bestreiten gilt als Zugestehen des klägerischen Vortrags nach § 138 der Zivilprozessordnung. Die Anforderungen an die Darlegungslast der Ärzte richten sich dabei nach der Art des im Raum stehenden Vorwurfs und stehen im Wechselspiel zur Vortragstiefe des Patienten.

Hygienemaßnahmen dokumentieren

Auch wenn die sekundäre Darlegungslast nicht unmittelbar das Beweismaß erleichtert, verschiebt sie die Gewichte im Prozess erheblich. Ärzte können sich nicht einfach zurücklehnen und abwarten, ob es dem Patienten gelingt, die Vorwürfe zu beweisen. Zudem gilt: Wird ein gravierender Verstoß gegen Hygienestandards festgestellt, kann es letztlich auch zu einer Beweislastumkehr kommen.

Daher sollten Ärzte alle Maßnahmen dokumentieren, die sie einsetzen, um die Hygiene und den Infektionsschutz sicherzustellen. Auch sollten sie Desinfektions- und Reinigungspläne führen. Gelingt es ihnen nicht, das Geschehen im Prozess aufzuklären, gilt die Behauptung eines Hygieneverstoßes des Klägers nach § 138 ZPO als zugestanden. Dies kann zum Unterliegen im Prozess führen.

Dtsch Arztebl 2021; 118(9): [2]
 


Der Autor:

Dr. iur Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig

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