Die Beförderung von der Assistenz- zur Oberärztin sollte gefeiert werden. Doch der Karrieresprung geht auch mit einigen Stolpersteinen einher, insbesondere wenn man aus den eigenen Reihen kommt. Dr. Karin Greiner-Simank, Chirurgin und Coachin, gibt Auskunft, was für den gelungenen Start wichtig ist.
Frau Dr. Greiner-Simank: Haben viele Kolleginnen mit diesem Rollenwechsel Probleme?
Dr. Karin Greiner-Simank: Ja. Zu mir kommen sehr oft frisch berufene Oberärztinnen, die sich nicht so richtig mit ihrer neuen Führungsposition identifizieren und daher auch nicht gut durchsetzen können. Das gilt insbesondere, wenn sie aus dem bestehenden Team generiert werden. Man hat vielleicht als PJ‘lerin oder Famulantin in einer Klinik angefangen, ist aufgestiegen und muss jetzt plötzlich der befreundeten Kollegin mitteilen, dass sie einen Dienst übernehmen muss. Und das ist nur eine der Tücken.
Was sind denn häufige Schwierigkeiten?
Dr. Karin Greiner-Simank: Typisch ist, dass Tätigkeiten, die man vorher als Assistenzärztin erledigt hat, in die höhere Position mitgenommen werden – und eine neue Oberärztin beispielsweise die Arztbriefe weiterschreibt. Formell sind die jetzigen Aufgaben zwar genau vorgegeben, dennoch schaffen es viele nicht, einen klaren Cut zu vollziehen. Einfach, weil sie nett sein möchten und den überlasteten Kolleginnen und Kollegen nicht so viel Arbeit hinterlassen wollen. Sie glauben dann, dass die alten Aufgaben durch die neuen sukzessive abgelöst werden, was meist aber nicht der Fall ist. Das ist eine große Gefahr und leider ein Frauenthema.
Warum ein Frauenthema?
Dr. Karin Greiner-Simank: Mit diesem Aufstieg verlassen die häufig noch jungen Kolleginnen eine untere Hierarchieebene, die sie über viele Jahre gewohnt waren. Dort dominiert in der Regel das sogenannte horizontale Kommunikationssystem, das über Zugehörigkeitsbotschaften funktioniert. Dieses wird zumeist von Frauen benutzt, denen die Beziehung untereinander wichtig ist. Nun findet ein Sprung auf eine obere Ebene statt. Hier herrscht die vertikale Struktur vor, die über Rang- und Revierbotschaften funktioniert, nach denen die meisten Männer ticken.
Was ist also wichtig für den Start?
Dr. Karin Greiner-Simank: Der wichtigste Schritt ist, sich die neue Rolle selbst erst einmal zu erlauben. Zu reflektieren, was die Inhalte und Anforderungen der neuen Position sind; Informationen einholen und mit einem Mentor oder dem personalleitenden Oberarzt abstimmen. Und das nach Außen auch entsprechend zu kommunizieren.
Was muss für Letzteres genau passieren?
Dr. Karin Greiner-Simank: Der erste Schritt ist, dass der oder die zuständige Vorgesetzte, also kein anderer Oberarzt, Sie dem Team offiziell vorstellt. Es ist wichtig, dass Sie das nicht selbst übernehmen oder die anderen es „zufällig“ erfahren. Dafür braucht es keinen Festakt. Das kann in die Alltagsroutine eingebaut sein, wie bei der Morgenbesprechung. Am besten sagen Sie anschließend noch ein, zwei Sätze, in dem Sinne, dass Sie sich auf die neue Aufgabe und die weitere Zusammenarbeit freuen. Es ist zudem wichtig, dies zeitnah allen anderen mitzuteilen. Das kann man auch gut bei einem Stationsfrühstück oder der Visite erledigen.
Was sind die folgenden Schritte?
Dr. Karin Greiner-Simank: Beachten Sie einige Formalitäten. Lassen Sie die Namensschilder ändern und passen Sie die Signatur in Ihren E-Mails für die Repräsentation nach außen an. Und, woran viele nicht denken: Auch das Büro sollte geeignet sein. Eine frisch ernannte Oberärztin berichtete in einem meiner Workshops, dass alle anderen Oberärzte auf demselben Stockwerk untergebracht waren. Sie blieb in ihrem Assistentenzimmer auf einer anderen Etage, weil sie dachte, das sei egal. Allerdings holte der Chef seine Oberärzte beim Gang zur Frühbesprechung immer ab, sie dann aber nicht.
Wird das nicht von der Klinik geregelt?
Dr. Karin Greiner-Simank: Oft. Häufig ergibt es sich sogar von selbst, dass Sie bei einer Nachfolge den Platz des Vorgängers erhalten. Manchmal kommt es aber auch zu einer Art Rochade. Sie sollten auf alle Fälle ein Auge darauf haben und das auch einfordern. Ist aktuell nichts frei, bestehen Sie darauf, dass Ihnen zeitnah ein passendes Büro zugeteilt wird.
Was gibt’s noch zu beachten?
Dr. Karin Greiner-Simank: Achten Sie aufs Finanzielle. Laut Tarif verdient ein fortgeschrittener Assistenzarzt momentan ein paar Euro mehr als ein Oberarzt im ersten Jahr. Das kann man im Vorfeld mit dem Chef besprechen und gegebenenfalls verhandeln. Die Regularien sind zwar einzuhalten, aber es ist beispielsweise möglich, über die Zeitschiene und die Aufgabenbereiche Konditionen zu verbessern oder Einfluss auf die Gehaltsstufe zu nehmen.
Wie gehe ich mit Kollegen und Kolleginnen um, die sich ebenfalls beworben haben?
Dr. Karin Greiner-Simank: Hier würde ich strikt trennen, um wen es sich handelt. Auf einen horizontal kommunizierenden Typus, zu dem die meisten Frauen zählen, würde ich persönlich zugehen in dem Sinne „ich weiß, dass du dich auch darauf beworben hast. Nun ist die Wahl auf mich gefallen, aber ich bin definitiv weiter an einer kollegialen und konstruktiven Zusammenarbeit interessiert“. Einen vertikal-kommunizierenden Typus würde ich gar nicht darauf ansprechen. Und falls ich das müsste, würde ich ihn dafür in mein Büro, also mein Revier, bitten.
Wie finde ich die Balance zwischen altem Kumpel und neuer Autorität?
Dr. Karin Greiner-Simank: Dafür visualisiere ich in meinen Seminaren immer das Bild zweier Theaterbühnen. Sie sind die Hauptdarstellerin im Rampenlicht. Mit dem Rollenwechsel treten Sie aktiv wie eine Schauspielerin von der einen Bühne ab, gehen in die Garderobe, ziehen sich um und betreten in einer neuen Rolle die zweite Bühne – vom Puck im Shakespeare‘schen Sommernachts-Traum zu Macbeth. Dabei haben Sie die erste Bühne aber noch im Blick.
Wie gehe ich mit befreundeten Kollegen/Kolleginnen um? Darf ich mich weiter privat treffen?
Dr. Karin Greiner-Simank: Natürlich und das würde ich auch dringend empfehlen! Bei einem privaten Treffen mit der Kollegin ist es vollkommen in Ordnung, wenn Sie sich so verhalten wie bisher. Aber ab dem Moment, in dem Sie die Klinik betreten, sind Sie die Oberärztin. Und da wären wir bei der berühmten Frage „wo bleibt denn da die Authentizität?“, die in meinen Workshops immer gestellt wird. Meine Antwort lautet: Auf der beruflichen Bühne ist es Ihr Job, den professionellen Kontext zu bedienen, wobei Sie der befreundeten Kollegin innerlich weiterhin verbunden bleiben – was für Andere aber kein merkbarer Unterschied sein sollte.
Und wenn ich ihr sagen muss, dass sie einen unbeliebten Dienst zu übernehmen hat?
Dr. Karin Greiner-Simank: Bei einem horizontalen „Typ“ würde ich sagen: „Ich weiß, dass das jetzt schwierig ist. Aber ich spreche jetzt nicht als Freundin zu dir, dann würde ich dir das ersparen, sondern als Oberärztin – und muss deswegen bestimmen, dass du diesen Dienst übernimmst.“
Was sollte ich mir von vornherein bei diesem Karrieresprung bewusst machen?
Dr. Karin Greiner-Simank: Dass es anspruchsvoll wird, nicht nur fachlich. Die Aufgabenpalette verändert sich in vielerlei Hinsicht, dessen sind sich viele nicht bewusst. So verlagert sich das Arbeitsspektrum von den ärztlichen zu Führungsaufgaben. Man hat mehr Verantwortung und sollte die auch gern tragen. Und Sie bilden jetzt aus und sind zum Beispiel in der Chirurgie die Hauptverantwortliche am Tisch.
Wie kann ich mich vorbereiten?
Dr. Karin Greiner-Simank: Gerade weil Frauen viel intensivere Beziehungen zu allen Berufsgruppen unterhalten, wie der Pflege, müssen sie ihre Führungsposition auch aushalten. Ich würde jeder zum Coaching raten. Am besten im Vorfeld. Dafür braucht es bei mir im Durchschnitt fünf Einzelstunden. In diesen wird gegenübergestellt, was war ich bisher, was kommt auf mich zu und was ist der Unterschied? Und was kann ich aktiv tun? Typische Konfliktszenen bearbeiten wir oft im Rollenspiel.
Ein Beispiel dafür?
Dr. Karin Greiner-Simank: Etwa, dass Assistenzärzte ihrer neuen Chefin bei der Visite ins Wort fallen. Oder dass Doktoranden die Deadline nicht einhalten. Gerade, wer vorher Assistentin war, wird oft nicht ernst genommen. Hier spielen wir durch, wie man reagieren kann – und wechseln dabei durchaus auch die Rollen.
Und wie kann man reagieren?
Dr. Karin Greiner-Simank: Indem Sie beim ersten Beispiel das Wort wieder an sich nehmen und laut und bestimmt sagen: „Danke Herr Kollege. Ihre Meinung später...“ oder beim letzten klarstellen, „Deadline ist dann und dann. Punkt“. Nun eine Pause machen und diesen Satz gegebenenfalls mehrfach wiederholen.
Ihr Fazit?
Dr. Karin Greiner-Simank: Der Titel allein macht Sie nicht schon zur Oberärztin. Es geht auch nicht nur um die medizinische Kompetenz, sondern um den aktiven Wechsel der Tätigkeiten: sprich, jetzt korrigiere ich die Arztbriefe und gebe sie frei. Ich bin nicht mehr für die direkte Patientenversorgung zuständig, sondern delegiere und supervidiere den Dienst auf Station. Ich ziehe mich nicht mehr im Assistentenbüro um, sondern in meinem Zimmer. Solche Dinge muss man aktiv umsetzen. Gerade in der Übergangsphase ist es notwendig, dafür über die eigenen inneren Widerstände und natürlichen Impulse zu springen.