Management: Wie Kliniken die Attraktivität ihrer Oberarztpositionen steigern

14 November, 2023 - 08:49
Thomas Röhrßen
Arzt hält Schild "Oberarzt"

Im Vergleich zur exponierten Chefarztposition werden Oberärzte in der öffentlichen Wahrnehmung zwar in ihrer Fachkompetenz gesehen, aber weniger in ihrer Schlüsselrolle im Klinikmanagement. In einigen Kliniken bleiben sie stille Leistungsträger, in vielen sind sie längst Dreh- und Angelpunkt im Tagesgeschäft.

Immer noch bestimmen viele Kliniken die Oberarztposition einseitig nur über die Bewertungskriterien einschlägiger Tarifverträge in zwei Dimensionen: einer erfolgreich abgeschlossenen Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung sowie einer damit verbundenen besonderen medizinischen Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik, die Verantwortung für fachliche Spezialisierungen oder Spezialfunktionen.

Fachexperten ohne klares Führungsprofil

Aus dieser Verantwortung heraus überwachen Oberärzte die Assistenzärzte oder die Ärzte in Weiterbildung und stehen vor allem für fachliche Rückfragen zur Verfügung. Sie sichern die klinische Qualität in der Regel auch im Nacht- und Wochenenddienst als „Hintergrundärzte“ ab. Aber: Als klinische Fachexperten ohne klares Führungsprofil geraten Oberärzte in die typische Sandwich-Position. Sie leiden unter den Ansprüchen der Chefärzte einerseits sowie den wachsenden Bedürfnissen und Erwartungen junger Assistenzärzte der Generationen Y und Z andererseits.

In einer zeitgemäßen Klinikorganisation profilieren sich Oberärzte nicht nur über ihre Fachlichkeit und eigene Leistungsschwerpunkte. Sie nehmen darüber hinaus entscheidenden Einfluss auf die klinische Prozessqualität, sind Ansprechpartner für die Einweiser, unterstützen die Chefposition in der Personalarbeit und sorgen für Zusammenhalt im ärztlichen Team. In ihrem Selbst- und Rollenverständnis sehen sie sich in der Führungsverantwortung an der Seite des Chefarztes oder der Chefärztin, unterstützen die Klinikziele und pflegen eine vertrauensvolle Kommunikation mit den Assistenzärzten. Im Spannungsfeld dieser unterschiedlichen Anforderungen benötigen sie eine hohe Ambiguitätstoleranz sowie Konflikt- und Integrationsfähigkeit.

Vielfältige Funktionen der Oberärzte

In einer professionellen Führungsorganisation sollten folgende Funktionen der Oberärzte klar definiert sowie nach innen und außen für alle transparent sein:

  • Spezialisten mit öffentlichkeitswirksamem Expertenprofil: Nach abgeschlossener Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung bauen profilierte Oberärzte ihre Fachexpertise aus und stehen für klinische Schwerpunkte. Dazu gehören Spezialsprechstunden und spezialisierte Behandlungsmaßnahmen, die sie in Abstimmung mit den Chefärzten in der Öffentlichkeit persönlich vertreten.
     
  • Supervisions- und Qualitätssicherungsfunktion: Oberärzte unterstützten Chefärzte, die medizinische Qualität zu sichern. Sie übernehmen zudem zentrale Verantwortung bei der fachlichen Überwachung und Qualifizierung der Assistenzärzte Sie gestalten die ärztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Klinik entscheidend mit.
     
  • Strategiepartner und medizinökonomische Controller: Oberärzte sind strategische Sparringspartner der Chefärzte. Sie unterstützen bei der Analyse und Weiterentwicklung des klinischen Leistungs-, Qualitäts- und Markenprofils sowie der medizinischen Konzeption der Klinik. Sie überwachen mit dem Klinikchef die Leistungs-, Qualitäts-, Erlös- und Kostenentwicklung in ihren Schwerpunkten.
     
  • Networker und Ansprechpartner in der Einweiserkommunikation: Oberärzte unterstützen die Chefärzte durch loyale Beziehungs- und Netzwerkarbeit zu anderen Berufsgruppen und Kliniken im Haus, zu niedergelassenen Ärzten und anderen Krankenhäusern sowie zu regionalen Kooperationspartnern. Aus den Ambulanzen und Spezialsprechstunden heraus, aber auch in den ihnen zugewiesenen Stationseinheiten übernehmen sie eine zentrale Rolle in der fallbezogenen Einweiserkommunikation.
     
  • Prozessmanager mit Organisations- und Compliance-Funktion: Oberärzte leiten in der Regel einen klar zugewiesenen Klinik-, Funktions- oder Stationsbereich. Dort sind sie meist zuständig für die Planung und Steuerung der Kapazitäten. Sie analysieren die klinischen Prozesse und entwickeln Vorschläge zur Organisationsentwicklung. Auch überwachen sie das Einhalten betrieblicher und gesetzlicher Bestimmungen.
     
  • Personalmanagement und Leadership: Oberärzte unterstützen die Chefärzte bei der Entwicklung der Personalstrukturen und der Personaleinsatzplanung. Sie unterstützen die leitenden Ärzte bei der Vorbereitung und Durchführung von Weiterbildungs- und Entwicklungsgesprächen. Oberärzte werden auch in gezielte Maßnahmen zur Personalakquisition und in die Personalauswahl eingebunden. Sie übernehmen in der Personalführung Verantwortung für niedrigschwellige Führungsmaßnahmen wie Anweisung und Anleitung, Feedback- und Fördergespräche, Kritikgespräche bei Abweichungen.
     
  • Neue Rollendifferenzierung im Klinikmanagement: Leitende Oberärzte übernehmen in der Regel nicht nur die Vertretung des Chefarztes bei Abwesenheit, sondern auch eine übergreifende organisatorische und personelle Steuerungsfunktion. In mittleren und größeren Kliniken ergibt sich mit der Etablierung nur einer leitenden Oberarztfunktion eine problematische hierarchische Zuspitzung in der Verantwortungsstruktur. Es bietet sich an, einzelne klinische Einheiten zusätzlich von „bereichsleitenden Oberärzten“ eigenverantwortlich führen zu lassen.

02.11.2024, Vivantes Klinikum Kaulsdorf
Berlin
02.11.2024, Vitos Klinik Bamberger Hof
Frankfurt am Main

Aus den genannten Funktionen und Aufgabenschwerpunkten der Oberärzte sollten Kliniken ein differenziertes Anforderungsprofil erstellen. In Feedback-, Potenzial- und Entwicklungsgesprächen mit Oberärzten müssen die Verantwortlichen diese Führungsanforderungen neben den fachlichen Bewertungen viel stärker fördern.

Karriereentwicklung in die Oberarztposition

Viele Kliniken unterstützen die Karriereentwicklung in die Oberarztposition immer noch nicht durch eine Qualifizierung. Die meisten Oberärzte wachsen eher unbegleitet in ihre Führungsrolle hinein. Krankenhausleitungen und Chefärzte haben die Oberarztposition zwar schon lange als wichtige Führungsrolle erkannt. In Zukunft sollten sie allerdings noch mehr in die gezielte Leadership-Qualifizierung investieren, um die Attraktivität und Performance dieser Schlüsselposition zu verbessern.

Dtsch Arztebl 2023; 120(46): [2]

Der Autor:

Thomas Röhrßen
Diplom- Psychologe
Coach und Unternehmensberater
roehrssen consult GmbH
49074 Osnabrück

Das könnte Sie auch interessieren: