Das Gezeiten Haus: Wenn der eigene Körper die Notbremse zieht

27 Februar, 2025 - 07:32
Miriam Mirza
Gezeiten Haus Bonn

Stress, Burnout, Depression: Darunter leiden auch viele Ärztinnen und Ärzte. In einer Klinik wie dem Gezeiten Haus in Bonn können sie zur Ruhe kommen, gesund werden und neue Lebensstrategien entwickeln. Wir haben uns dort umgesehen.

Es ist ein kalter, aber sonniger Tag im Februar. Zwischen den Tannen bricht sich die Sonne ihren Weg und scheint tapfer gegen die Kälte des Tages an. Das Haus mit den bodentiefen Fenstern und der roten Backsteinfassade macht einen freundlichen Eindruck. Wir befinden uns am Rande des Bonner Stadtteils Bad Godesberg. Hier steht umgeben von der ruhigen Natur des Naturschutzgebiets Kottenforst das Gezeiten Haus Bonn.

Die Klinik für Psychosomatik und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) bietet einen Ort der Ruhe und Heilung für Menschen, die unter Stressfolgeerkrankungen, Burnout oder Depressionen leiden. Hier finden Patientinnen und Patienten die notwendige Zeit und den Raum, um sich mit neuen Lebensstrategien vertraut zu machen und Zugang zu ihren inneren Ressourcen zu erlangen.

Das Gezeiten Haus ist jedoch nicht nur auf Bonn beschränkt. Die Klinikgruppe umfasst mehrere Standorte, darunter Kliniken in Oberhausen und Wesseling. Jeder Standort hat seine eigenen Schwerpunkte, verfolgt jedoch das gleiche ganzheitliche Therapiekonzept. Die Einrichtungen bieten Patientinnen und Patienten je nach Standort spezifische Behandlungsangebote, von psychosomatischen Erkrankungen bis hin zu speziellen Programmen für berufliche Belastungsstörungen. Diese Vielfalt ermöglicht eine individuell abgestimmte Therapie, die auf die jeweiligen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zugeschnitten ist.

Die Klinik legt besonderen Wert auf einen achtsamen Umgang und menschliche Begegnungen auf Augenhöhe. Respekt, Verständnis und ein wertschätzendes Miteinander stehen dabei an erster Stelle, um den Genesungsprozess nachhaltig zu unterstützen. Neben der naturnahen Lage bietet die Klinik ein breites Spektrum an Behandlungsfeldern für Erwachsene an, darunter Depressionen, Burnout und Stressfolgeerkrankungen, Essstörungen sowie somatoforme Störungen und chronische Schmerzen. Die Therapieansätze sind dabei individuell auf das Beschwerdebild der Patientinnen und Patienten abgestimmt und verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychische Aspekte berücksichtigt.

Leistungsbereitschaft als Risiko

Burnout ist längst nicht mehr nur ein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Eine Gruppe, die besonders betroffen ist, sind Ärztinnen und Ärzte. Ihr Arbeitsalltag ist häufig geprägt von hohem Druck. Was sie mit anderen Betroffenen gemeinsam haben? Oft suchen sie erst Hilfe, wenn sie bereits tief in der Erschöpfungsspirale stecken. Wie können Medizinerinnen und Mediziner frühzeitig gegensteuern? Welche strukturellen Veränderungen sind nötig? Und warum fällt es gerade in diesem Beruf so schwer, auf die eigenen Grenzen zu achten?

Die meisten Ärztinnen und Ärzte haben eines gemeinsam: hohe Leistungsbereitschaft. „Viele unserer Patientinnen und Patienten sind extrem pflichtbewusst und setzen sich enorm unter Druck“, erklärt Dr. André Kümmel, leitender Oberarzt im Gezeiten Haus Bonn. Besonders in den ersten Berufsjahren haben junge Ärztinnen und Ärzte nicht selten das Gefühl, sich beweisen zu müssen. „Die Angst, nicht gut genug zu sein oder im Wettbewerb um Weiterbildungsstellen zu unterliegen, ist groß.“ Wer nicht mithält, riskiert, dass die Karriere ins Stocken gerät.

Hinzu kommt der Wunsch, den eigenen Patientinnen und Patienten bestmöglich zu helfen. „Viele sagen: Ich kann doch nicht einfach weggehen. Wer soll sich sonst kümmern?“, berichtet Ulf Bernhard Krause, ebenfalls leitender Oberarzt. Dieser Verantwortungsdruck führt dazu, dass die eigenen Bedürfnisse oft jahrelang ignoriert werden. Doch das hat Folgen: „Wir sehen Ärztinnen und Ärzte, die körperliche Symptome entwickeln, Bluthochdruck bekommen oder unter chronischer Erschöpfung leiden“, so Krause. Viele Betroffene kommen erst ins Gezeiten Haus, wenn der Körper sie endgültig zur Pause zwingt.

Wenn Urlaub keine Erholung mehr bringt

Ein besonders alarmierendes Zeichen für Burnout ist die fehlende Erholungsfähigkeit. Krause erklärt: „Viele unserer Patientinnen und Patienten merken erst im Urlaub, dass sie sich gar nicht mehr regenerieren können“. Der Stresslevel bleibt hoch, Schlafstörungen verstärken sich, und das Gefühl der Überforderung nimmt nicht ab. „Das ist ein typisches Muster. Wenn Erholung nicht mehr möglich ist, dann ist das kein vorübergehendes Problem mehr – sondern ein ernstzunehmender Zustand.“

Burnout entwickelt sich schleichend. Die ersten Anzeichen sind oft subtil: Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen oder ein Gefühl der Entfremdung vom eigenen Beruf. Doch je länger Betroffene Signale ignorieren, desto schwerwiegender werden die Folgen. „Viele warten zu lange, weil sie das Gefühl haben, durchhalten zu müssen“, sagt Kümmel. Studien zeigen, dass Betroffene meist über Jahre leiden, sich bereits körperliche Beschwerden eingestellt haben oder das persönliche Umfeld negative Rückmeldungen gibt, bevor sie sich professionelle Hilfe suchen.

Ein weiteres Problem: Burnout wird noch immer stigmatisiert. "Viele Ärztinnen und Ärzte haben Angst, als schwach zu gelten. Dabei wissen wir längst, dass chronischer Stress nicht nur die individuelle Gesundheit gefährdet, sondern auch die Patientensicherheit", fährt Kümmel fort. Fehler passieren häufiger, wenn Medizinerinnen und Mediziner müde und erschöpft sind. „Es gibt eine klare Verbindung zwischen der psychischen Verfassung der Behandelnden und der Qualität der Versorgung.“

Strukturelle Probleme: Ein System, das krank macht

Die Bedingungen in Krankenhäusern und Praxen verschärfen das Problem. „Die Arbeitsverdichtung hat massiv zugenommen“, berichtet Krause. „Es gibt kaum noch Zeit für Pausen. Digitalisierung sollte eigentlich entlasten, führt aber oft zu mehr Bürokratie.“ Wer sich eine Auszeit nimmt, steht vor strukturellen Hürden. Kümmel mahnt an, dass es noch immer zu wenig Konzepte für flexible Arbeitszeiten oder Präventionsprogramme gibt und verweist auf andere Länder, in denen Frühwarnsysteme existieren, wie zum Beispiel Stressampeln, um Burnout bei Ärztinnen und Ärzten frühzeitig zu erkennen. In Deutschland sind solche Konzepte jedoch noch kaum verbreitet.

Besonders betroffen sind Ärztinnen. „Frauen in der Medizin stehen vor einer doppelten Herausforderung: Sie sollen empathisch, engagiert und leistungsstark sein – und gleichzeitig ihre Familie managen“, stellt Krause fest. Die Erwartung, in allen Bereichen perfekt zu funktionieren, sei hoch. Die Folge: „Wir sehen viele Frauen, die sich zwischen Karriere und Familie aufreiben. Es fehlt an flexiblen Modellen und echter Unterstützung.“

Was muss sich ändern?

Im Gezeiten Haus wird nicht nur die akute Krise behandelt, sondern auch langfristige Resilienz aufgebaut – und das ist gar nicht so leicht, denn wer lange genug Kreise im Hamsterrad gedreht hat, weiß oft gar nicht mehr, was ihm eigentlich guttut. „Der erste Schritt ist oft, wieder Zugang zu den eigenen Bedürfnissen zu finden“, erklärt Kümmel den Therapieansatz. Dazu gehören Achtsamkeitstraining, Bewegungstherapie und eine klare Rhythmisierung des Alltags. „Wir bringen Menschen bei, sich wieder selbst zu spüren.“

Doch der Weg zur Heilung ist nicht linear. Viele Patientinnen und Patienten erleben nach ihrer Ankunft im Gezeiten Haus zunächst eine deutliche Besserung. Die Struktur, die Ruhe und die therapeutische Begleitung geben ihnen Sicherheit. „Gerade am Anfang sind viele sehr dankbar und erleichtert, weil sie endlich Raum für sich selbst haben“, erklärt Kümmel. Doch der Weg zur Genesung verläuft nicht geradlinig.

„Nach den ersten Fortschritten kommen oft Rückfälle, vor allem bei stressbedingten Erkrankungen“, erläutert er. „Eine kleine Belastung im Klinikalltag kann ausreichen, um alte Muster zu reaktivieren.“ Besonders in den ersten Wochen sind viele noch instabil und reagieren empfindlich auf Herausforderungen. Das ist normal und gehört zum Genesungsprozess. „Wir müssen den Betroffenen immer wieder klarmachen, dass Heilung ein Prozess ist und es auch Rückschläge gibt. Entscheidend ist, wie sie lernen, damit umzugehen.“

Aus diesem Grund ist die Rückkehr in den Alltag ein sensibler Punkt, denn Burnout ist nicht mit einem Klinikaufenthalt geheilt. Betroffene brauchen Strategien für den Berufsalltag. Um Rückfälle zu verhindern, müssen sie sich besser abgrenzen lernen. Eine bewusste Zeitplanung hilft auch und der Mut, auch mal Nein zu sagen.

Auf lange Sicht müssen sich jedoch auch die Strukturen ändern. „Es reicht nicht, wenn wir Betroffene auffangen. Wir müssen das System so gestalten, dass Ärztinnen und Ärzte gesund arbeiten können“, findet Krause. Das bedeutet: realistische Arbeitszeiten, mehr Unterstützung durch die Teams und eine offenere Kultur im Umgang mit psychischer Gesundheit. Nur so lässt sich verhindern, dass die Menschen, die unser Gesundheitssystem tragen, daran zerbrechen.

Ein neuer Blick auf sich selbst

Am Ende eines Aufenthalts im Gezeiten Haus nehmen Patientinnen und Patienten bestenfalls nicht nur neue Strategien für den Alltag mit, sondern auch eine veränderte Perspektive auf sich selbst. Die größte Herausforderung ist nicht die Therapie – es ist die Umsetzung im eigenen Leben. Nur wer gelernt hat, sich selbst wahrzunehmen, dem fällt es leichter, Grenzen zu setzen.

Denn letztlich ist Burnout nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch eine Frage der Strukturen. Solange das System Leistung über Gesundheit stellt, bleibt die Gefahr bestehen. Doch ein Wandel beginnt oft im Kleinen – mit jedem Menschen, der sich entscheidet, anders mit sich selbst umzugehen.

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