Die Fachsprachprüfung Medizin – darauf kommt es an

16 November, 2022 - 06:09
Stefanie Hanke
Dunkelhäutiger Arzt mit Prüfer, Fachsprachprüfung

Für Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland, die in Deutschland arbeiten möchten, ist die Sprache oft die größte Hürde. Wer eine Approbation beantragen möchte, muss dafür neben allgemeinen Kenntnissen der deutschen Sprache auf dem Niveau B2 auch Kenntnisse in der medizinischen Fachsprache nachweisen. Nina Colette ist Inhaberin der Sprachschule „ärztesprech“ in Köln und bereitet Ärztinnen und Ärzte auf diese Prüfung vor.

Frau Colette, was genau ist ärztliche Fachsprache und wie unterscheidet sie sich von der deutschen Umgangssprache?

Nina Colette: Im Deutschen unterscheidet sich die medizinische Fachsprache stark von der Umgangssprache: Beispielsweise sprechen Ärztinnen und Ärzte von einer Cholezystitis, die umgangssprachlich Gallenblasenentzündung heißt. Viele dieser Fachbegriffe stammen aus dem Lateinischen und sind im „normalen“ Deutsch nicht gebräuchlich. Ärztinnen und Ärzte müssen also einmal die lateinischen Fachbegriffe kennen, aber auch die deutschen Wörter für Gespräche mit Patientinnen und Patienten. Einige Begriffe sind sehr alt, werden aber speziell von älteren Menschen immer noch verwendet: beispielsweise „Wundstarrkrampf“ oder „Ziegenpeter“. Für die Ärztinnen und Ärzte ist beides wichtig. Das ist beispielsweise im Englischen anders: Dort wird der lateinische Begriff auch in der Umgangssprache verwendet.

Viele Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland haben in englischer Sprache studiert. Fällt ihnen die Fachsprache dann leichter?

Nina Colette: Viele Begriffe sind ähnlich, es gibt aber feine Unterschiede. So heißt ein Karzinom auf Englisch „carcinoma“. Auch das muss man trainieren, dass hier aus dem C entweder ein K oder ein Z wird.

Was ist besonders schwierig zu lernen?

Nina Colette: Besonders schwierig sind die langen Begriffe, die wir im Deutschen haben. So etwas wie Protonenpumpeninhibitor – das geht sogar noch, weil es im Englischen ähnlich ist. Es gibt in der medizinischen Sprache sehr viele sehr lange Begriffe. Aber auch die Grammatik ist schwierig – Genitiv, Dativ, Akkusativ, Präposition und so weiter. Das ist für viele schwierig, vor allem, weil manche Muttersprachen völlig anders aufgebaut sind. Und je nachdem, woher jemand kommt, müssen manche natürlich auch eine völlig neue Schrift lernen.

Woher kommen die Ärztinnen und Ärzte, die sich bei Ihnen auf die Fachsprachprüfung vorbereiten?

Nina Colette: Viele kommen aus Bulgarien, viele auch aus Südamerika, beispielsweise aus Argentinien. Viele sind aus Russland, einige aus der Türkei. Und dann sind immer mal wieder ein paar Menschen aus der EU, beispielsweise aus Belgien oder den Niederlanden. Auch aus den arabischen Ländern sind immer wieder Ärztinnen und Ärzte dabei.

Wie sieht es mit der Motivation aus?

Nina Colette: Die meisten sind total motiviert und haben richtig Lust darauf. Sie sind auch schnell und motiviert, wenn es beispielsweise um schriftliche Aufgaben geht, die sie mir zuschicken. Da fragen viele direkt nach, wann ich das korrigiere – und dann am nächsten Tag nochmal. Mir macht das richtig Spaß, mit diesen Menschen zu arbeiten. Die haben ein Ziel und wissen, wofür sie sich die Arbeit mit der Sprache machen.

Kann man denn die medizinische Fachsprache überhaupt getrennt vom umgangssprachlichen Deutsch lernen?

Nina Colette: Nein, es ist ja eine Sprache. Die Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland müssen beides beherrschen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Umgangssprache und Fachsprache. Bei der Alltagssprache geht es eher darum, hier anzukommen und den Alltag zu meistern. Da lernt man generell kaum medizinische Begriffe – weder „Gallenblasenentzündung“ noch „Cholezystitis“. In der medizinischen Fachsprachprüfung sind aber beide Begriffe wichtig, weil es ja sowohl um die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten als auch mit medizinischen Fachleuten geht. Dabei ist es auch wichtig, zu lernen, wann welche Sprache angemessen ist.

Wie gute Deutschkenntnisse muss man den haben, wenn man die medizinische Fachsprache lernen will?

Nina Colette: Es ist auf jeden Fall nicht sinnvoll, sich ganz ohne Deutschkenntnisse mit der Fachsprache zu beschäftigen. Man sollte schon mit einem ganz normalen Deutschkurs anfangen. Die Fachsprachprüfung ist ja letzten Endes auch eine Prüfung auf dem Sprachniveau C1, das ist schon eine hohe Anforderung. Dafür muss man komplexe Sachverhalte verstehen und auch selbst ausdrücken können. Um dieses Niveau zu erreichen, muss man als erstes eine Basis aus dem ganz normalen Alltagsdeutsch schaffen. Wer weiß, dass er in Deutschland als Arzt oder Ärztin arbeiten möchte, kann aber schon während der Grundlagenkurse damit anfangen, die medizinischen Fachvokabeln zu lernen.

Stichwort Vokabeln: Über wie viele spezifisch medizinische Begriffe reden wir da?

Nina Colette: Es gibt in der deutschen medizinischen Fachsprache 170.000 Begriffe. Die muss man natürlich beherrschen, aber nicht im Detail. Wir machen ein Wortschatztraining, für das ich den Ärztinnen und Ärzten erstmal 1.000 Begriffe zum Lernen gebe. Das ist schon viel, aber darauf können sie dann aufbauen.

Was für Tipps haben Sie denn, um die medizinische Fachsprache zu lernen?

Nina Colette: Wer eine Sprache lernen möchte, sollte vor allem viel sprechen. Das ist das A und O. Außerdem hilft es, sich deutsche Filme oder Serien anzusehen. Mein Tipp ist immer, dass die Ärztinnen und Ärzte sich ihren Lieblingsfilm auf Deutsch ansehen sollten. Den haben sie vielleicht sogar schon öfter gesehen, kennen die Dialoge und können sich ganz auf die Sprache konzentrieren, weil sie die Handlung schon kennen. Hilfreich sind auch Hospitationen im Krankenhaus, um die Sprache im Arbeitsalltag zu erleben.

Für die Approbation braucht man „nur“ das Niveau B2 in deutscher Allgemeinsprache, die Fachsprachprüfung ist aber auf dem Niveau C1…

Nina Colette: Wir raten immer dringend dazu, direkt das Level C1 auch bei der Allgemeinsprache anzustreben. Das melden uns auch unsere Prüflinge: Wer sich nur auf B2 verlässt, stößt damit an seine Grenzen – nicht nur in der Prüfung, sondern auch im Berufsalltag. Meiner Meinung nach sollte das auch bei den Voraussetzungen für die Approbation so festgelegt sein. Das klingt erstmal nach einer strengeren Regelung. Aber für die Ärztinnen und Ärzte ist es besser, wenn sie sich von Anfang an möglichst gute Deutschkenntnisse aneignen.

Wie ist denn die Fachsprachprüfung generell aufgebaut? Was muss man dafür alles können?

Nina Colette: Die Prüfung besteht aus drei Teilen: Einem Patientengespräch, der Dokumentation und einem Kollegengespräch. Zumindest ist das die grobe Aufteilung – in einigen Bundesländern kann das ein bisschen anders sein. Ich persönlich finde vor allem den ersten Teil sehr anspruchsvoll. Viele Prüflinge machen sich aber mehr Gedanken über das Kollegengespräch, also den dritten Teil.

Wie können Sie in Ihrer Sprachschule bei der Vorbereitung auf die medizinische Fachsprachprüfung helfen?

Nina Colette: Wir bieten ganz konkret Prüfungssimulationen zur Vorbereitung auf die Fachsprachprüfung an. Für die Vorbereitung schlüpfe ich zunächst in die Rolle einer Patientin oder eines Patienten. Der Arzt oder die Ärztin muss mir dann ganz viele Fragen stellen. Dafür wird ein standardisierter Anamnesebogen genutzt, wie er auch im Medizinstudium unterrichtet wird. Das ist sehr umfassend – man muss viele Details erfragen. So praxisnah ist das leider nicht mehr – im Berufsalltag haben Ärztinnen und Ärzte nur sehr selten 20 Minuten Zeit für so ein Gespräch. In der Prüfung und in unserer Übung ist das aber anders. Hier haben wir diese Zeit und die Patientinnen und Patienten sind auch sehr redselig. Es geht also zu einem großen Teil um Hörverstehen, aber auch um das eigene sprachliche Ausdrucksvermögen und darum, sich zum Sachverhalt Notizen machen zu können. Das alles üben wir. Und natürlich hilft die Übung auch gegen die Nervosität.

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Worauf achten die Prüferinnen und Prüfer am meisten?

Nina Colette: Das allerwichtigste ist natürlich Kommunikation. Dazu gehört, dass man seinen Patienten oder seine Patientin ohne Probleme versteht. Aber natürlich muss man selbst auch flüssig sprechen können und gut verstanden werden. Man muss auch in der Lage sein, einen Sachverhalt auf unterschiedliche Weise zu erklären. Manchmal halten die Prüferinnen und Prüfer aber auch ganz stark an Kleinigkeiten fest. Ein Beispiel ist die Namensschreibung. Wenn der Name eines Patienten oder einer Patientin nicht zu identifizieren ist, kann das dazu führen, dass ein Prüfling durchfällt. Das ist dann davon abhängig, wer die Prüfung abnimmt.

Wie sind denn die Durchfallquoten?

Nina Colette: Leider sehr schlecht. Die Durchfallquote liegt je nach Kammerbezirk zwischen mehr als 50 Prozent und etwa einem Drittel. Zum Glück können die Ärztinnen und Ärzte die Prüfung beliebig oft wiederholen. Langfristig bestehen etwa 80 Prozent die Prüfung irgendwann.

Die Expertin

Nina Colette

Nina Colette ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Sprachschule „ärztesprech“ in Köln. Als Kommunikationstrainerin und Dozentin hat sie sich auf das Thema „Deutsch als Fremdsprache“ spezialisiert und bereitet Ärztinnen und Ärzte auf die Fachsprachprüfung vor.

Bild: © privat

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