Diskriminierung von Ärztinnen in Unikliniken: Ein weit verbreitetes Problem

27 Januar, 2025 - 07:17
Bianca Freitag
Ärztin sieht Arzt unzufrieden an

Von Universitäten erwartet man fortschrittliches Denken und Handeln – doch beim Thema Gleichstellung ist eher das Gegenteil der Fall. Denn genderbasierte Diskriminierung (GBD) ist ein ernstzunehmendes Problem in der medizinischen Ausbildung an deutschen Hochschulen. Eine aktuelle Studie hat das Ausmaß und die Formen von GBD bei Medizinstudentinnen und Ärztinnen an fünf Universitätskliniken in Norddeutschland untersucht. Im Beitrag werfen wir einen Blick auf die Ursachen, Folgen und benötigten Maßnahmen gegen diese Diskriminierung.

„Chirurgie ist doch nichts für Frauen“ oder „Wo ist denn der richtige Arzt?“ – egal, welche Person diese Sätze äußert, die Aussage dahinter ist immer Diskriminierung. Für viele Menschen ist Diskriminierung Teil ihres Alltags, auch für Ärztinnen und Medizinstudentinnen in der medizinischen Ausbildung oder bei der Arbeit. Gleichzeitig wird diesem Problem wenig Beachtung geschenkt. Aus diesem Grund hat eine Studie der Georg-August-Universität Göttingen untersucht, welches Ausmaß GBD in der medizinischen Ausbildung und Tätigkeit in Deutschland hat.

Dabei definiert sie GBD als systematisch unterschiedliche Behandlung, vorurteilsbehaftete Einstellungen und Erwartungen an geschlechtsspezifisches Verhalten aufgrund der gelesenen Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. GBD beinhaltet also nicht nur sexuelle Belästigung, sondern auch nicht-sexuelle unterschiedliche Behandlung und herabwürdigenden Umgang.

Formen und Häufigkeit der Diskriminierung

Das erschreckende Ergebnis: Rund drei Viertel der Befragten geben an, dass sie persönliche Erfahrungen mit GBD haben. Dabei kann sich GBD in verschiedenen Formen äußern. In der Studie unterschieden die Forschenden fünf Kategorien, teils mit Unterkategorien:

  1. Sexuelle Belästigung (verbale Belästigung und/oder körperliche Belästigung)
  2. Diskriminierung aufgrund bestehender/möglicher Mutterschaft (strukturelle oder verbale Diskriminierung)
  3. Unmittelbare Bevorzugung von Männern
  4. Unmittelbare Vernachlässigung von Frauen
  5. Herabwürdigender Umgang aufgrund des Geschlechts

Am häufigsten nannten die Befragten sexuelle Belästigung als Form der Diskriminierung (Studentinnen 32,11 Prozent, Ärztinnen 37,36 Prozent). Dabei beschreiben sie mehr verbale Belästigung (Studentinnen 28,44 Prozent, Ärztinnen 34,07 Prozent) als körperliche Belästigung (Studentinnen 2,75 Prozent, Ärztinnen 3,3 Prozent).

An zweiter Stelle der häufigsten GBD steht die Diskriminierung aufgrund einer bestehenden oder möglichen Mutterschaft. Dabei ist auffällig, dass mehr Ärztinnen (28,57 Prozent) davon betroffen sind als Studentinnen (13,76 Prozent). Während Studentinnen häufiger in diesem Kontext eine verbale Diskriminierung erfahren haben (10 Prozent), kam es bei Ärztinnen sowohl zu struktureller (15,38 Prozent) als auch zu verbaler Diskriminierung (13,19 Prozent). Die Forschenden begründen diese Ergebnisse damit, dass Krankenhäuser einem wirtschaftlichen Druck unterliegen und Mütter aufgrund von Mutterschutz und Elternzeit am Arbeitsplatz weniger zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund würden Mütter als weniger verwertbare Arbeitskräfte gelten und entsprechend keine Beförderung erhalten.

Insgesamt sind in allen Kategorien – außer beim herabwürdigenden Umgang aufgrund des Geschlechts – Ärztinnen stärker betroffen als Studentinnen. Mögliche Gründe könnten sein, dass Ärztinnen bereits länger im medizinischen System sind und arbeiten und deswegen die Wahrscheinlichkeit einer GBD steigt. Hier seien jedoch weitere Untersuchungen erforderlich.

Ursachen und Folgen

Die Ursachen von GBD sind vielschichtig und können auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden. Auf der einen Seite spielen kulturelle Vorstellungen und patriarchale Strukturen eine Rolle, die Männer in der Gesellschaft bevorzugen. Gleichzeitig beeinflussen organisationale Strukturen und implizite Normen in den Krankenhäusern das Auftreten von GBD. Das zeigt sich beispielsweise in Form von Meetings zu familienunfreundlichen Zeiten oder dadurch, dass Männer in Führungspositionen in der Medizin bevorzugt werden. In diesem Zusammenhang können durch steile Hierarchien und ungleiche Machtverteilung Stereotype beibehalten werden.

Die Folgen von GBD können immens sein: Sie beeinträchtigen die psychische Gesundheit der Betroffenen, führen zu Stress und Depressionen und verringern die Karriereziele. Dies habe laut Studie nicht nur persönliche, sondern auch ökonomische und akademische Konsequenzen.

Maßnahmen gegen genderbasierte Diskriminierung

Um GBD wirksam zu bekämpfen, sind gezielte Interventionen notwendig. Eine Möglichkeit ist die Sensibilisierung für implizite Normen durch Aufklärung und Schulungen. Programme wie das DETECT-Programm der Universität Freiburg haben gezeigt, dass solche Maßnahmen positive Effekte haben können. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Einführung von Frauenquoten in Abteilungen und Komitees, um die Bevorzugung von Männern zu reduzieren. Auch strukturelle Veränderungen, wie die Anpassung von Meeting-Zeiten an familienfreundliche Uhrzeiten, können dazu beitragen, die Diskriminierung von Müttern zu verringern.

Die Forschenden der Studie sehen ganz klar die Arbeitgeber und Ausbildenden in der Medizin in der Verantwortung, GBD zu bekämpfen. Sie müssten das Problem als prävalent und komplex anerkennen und gezielte Maßnahmen ergreifen, um es zu bekämpfen. Dafür sollten sie die verfügbaren empirisch evaluierten Interventionen nutzen, die in den Krankenhäusern umgesetzt werden können. Langfristige und umfassende Strategien sind notwendig, um eine nachhaltige Veränderung zu erreichen und die Arbeitsbedingungen für Medizinstudentinnen und Ärztinnen zu verbessern.

Zum Hintergrund

Die Studie wurde im Jahr 2019 mittels einer Online-Umfrage durchgeführt. Insgesamt nahmen 392 Frauen teil, davon 235 Medizinstudentinnen und 157 Ärztinnen, die an fünf Universitätskliniken in Norddeutschland tätig waren. Die Ansprache der Ärztinnen erfolgte über die Newsletter ihrer jeweiligen Klinik, die der Studentinnen über soziale Netzwerke sowie Flyer und Aushänge in den Kliniken und Universitäten. Die Fragen umfassten standardisierte Fragen zum „Glasdeckeneffekt“ und zur persönlich erlebten GBD. Die Forschenden weisen darauf hin, dass in künftigen Studien trans Frauen, trans Männer und nicht-binäre Menschen ausdrücklich einbeziehen sollten, was in der vorliegenden Studie nicht explizit geschehen ist. Denn auch diese Personen können von GBD betroffen sein.

Quelle: Tameling et al.: Ausmaß und Formen genderbasierter Diskriminierung von Studentinnen und Ärztinnen an fünf Universitätskliniken in Deutschland – Ergebnisse einer Online-Umfrage. GMS Zeitschrift für medizinische Ausbildung 2023 Nov 15; 40 (6): 1-14    

 

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