Dr. Moritz Völker, Hartmannbund: „Zwischen Frustration und Hoffnung“

26 August, 2024 - 07:17
Miriam Mirza
Dr. Moritz Völker
Dr. Moritz Völker ist Vorsitzender der jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund.

Dr. Moritz Völker ist Vorsitzender der jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund. Wenn es darum geht, was junge Medizinerinnen und Mediziner beschäftigt, ist er ganz nah dran. Im Interview spricht er über die verbreitete Unzufriedenheit, die Digitalisierung und die politischen Themen, die dem medizinischen Nachwuchs wichtig sind.

Herr Dr. Völker, was sind die Hauptthemen, die Ihre Kolleginnen und Kollegen aktuell beschäftigen?

Dr. Moritz Völker: Es gibt eine breite Palette von Themen, die junge Ärztinnen und Ärzte bewegen. Ein zentrales Thema ist die Frage, wie es in der Medizin weitergeht. Viele sehen den aktuellen Zustand im Gesundheitswesen und fragen sich, wie lange dieser Zustand noch tragbar ist. Die Unzufriedenheit ist weit verbreitet, sei es konkret durch bestimmte Prozesse oder diffus durch das Gefühl, dass alles den Bach runtergeht, ohne dass man genau benennen kann, warum.

Wie äußert sich diese Unzufriedenheit konkret?

Dr. Moritz Völker: Einige Kolleginnen und Kollegen versuchen, sich ein Verständnis über die komplexen Strukturen im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Doch das ist sehr schwierig, weil das System extrem kompliziert und oft historisch gewachsen ist. Nur wenige in Deutschland können wirklich behaupten, das Gesundheitssystem vollständig zu verstehen. Andere reagieren mit Resignation und suchen nach alternativen Wegen, wie etwa reduzierten Arbeitszeiten oder einem generellen Umdenken bezüglich ihrer beruflichen Zukunft.

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Können Sie ein Beispiel für solch alternative Wege geben?

Dr. Moritz Völker: Viele junge Ärztinnen und Ärzte engagieren sich international, zum Beispiel in der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer oder in anderen Projekten, wo sie das Gefühl haben, dass ihr medizinisches Wissen besser aufgehoben ist. Auch das Planen einer frühen beruflichen Auszeit oder ein kompletter Berufswechsel sind Überlegungen, die häufig angestellt werden. Einige denken sogar darüber nach, in den nächsten 15 Jahren so viel wie möglich zu sparen, um dann etwas zu machen, das ihnen wirklich Freude bereitet.

Sie erwähnten auch politische Themen. Wie stark ist das Interesse der jungen Ärztinnen und Ärzte daran?

Dr. Moritz Völker: Das Interesse ist durchaus da, aber es ist nicht flächendeckend. Während einige sich intensiv mit politischen und gesundheitspolitischen Themen auseinandersetzen, sind andere eher desinteressiert. Es hängt stark von der individuellen Persönlichkeit ab. Aber generell lässt sich sagen, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte das Gefühl haben, dass sie als Teil des Gesundheitssystems auch eine Verantwortung haben, sich politisch zu engagieren.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wie ist hier die Stimmung?

Dr. Moritz Völker: Die Digitalisierung wird oft als notwendiges Übel betrachtet, das nur dann voranschreitet, wenn nichts anderes mehr geht. Es gibt viel Frustration darüber, dass Fortschritte oft nur schleppend gemacht werden und dass viele Probleme, die schon lange bekannt sind, einfach nicht angegangen werden. Das führt zu dem Gefühl, sehenden Auges ins Unglück zu rennen – ähnlich wie beim Thema Klimawandel.

Stichwort Klimawandel – wie wirkt sich das auf den medizinischen Bereich aus?

Dr. Moritz Völker: Viele Ärztinnen und Ärzte sind sich der Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit noch nicht vollständig bewusst. Dabei sieht man die Folgen schon jetzt, etwa in Form von hitzebedingten Erkrankungen. Es gibt auch ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass das Gesundheitswesen selbst einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten muss, zum Beispiel durch den Einsatz umweltfreundlicherer Narkosemittel oder eine effizientere Energienutzung in Krankenhäusern.

Was könnte die Situation verbessern und mehr Zufriedenheit im Beruf bringen?

Dr. Moritz Völker: Mehr Aufklärung und konkrete Maßnahmen könnten helfen. Wenn Ärztinnen und Ärzte das Gefühl haben, dass sie aktiv etwas tun können, um das System zu verbessern, anstatt nur passiv Teil davon zu sein, würde das sicherlich zu mehr Zufriedenheit führen. Beispielsweise könnten Projekte zur Reduktion des Gesundheitskonsums oder zur Nutzung nachhaltigerer Technologien in Krankenhäusern ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Sie arbeiten in der Notaufnahme, einem Bereich, der oft mit hoher Belastung und Stress verbunden ist. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, denen junge Ärztinnen und Ärzte in diesem Umfeld begegnen?

Dr. Moritz Völker: Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich das Gefühl des Kontrollverlustes. Immanent im System haben viele das Gefühl, nicht wirklich Kontrolle zu haben – weder über ihre Arbeit noch über die größeren Strukturen, in denen sie arbeiten. Das betrifft nicht nur die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, sondern auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen und sogar das Management. Das kann sehr frustrierend und erschreckend sein.

Wie gehen Sie persönlich mit diesem Gefühl des Kontrollverlustes um?

Dr. Moritz Völker: Es hilft, sich auf kleine Bereiche zu konzentrieren, in denen man tatsächlich Einfluss nehmen kann. Ein Beispiel aus meinem Arbeitsalltag: Wir haben eine kleine Liste erstellt, auf der praktische Tipps stehen, wie wir bestimmte Dinge anders und besser machen können – inspiriert von Initiativen wie "Klug entscheiden". Diese Liste wurde sehr gut angenommen und gibt uns das Gefühl, aktiv etwas beitragen zu können, was letztendlich das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärkt.

Wie beurteilen Sie das Gesundheitssystem im Kontext des Kapitalismus? Glauben Sie, dass hier Reformen nötig sind?

Dr. Moritz Völker: Ja, definitiv. Die Vorstellung, dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen, halte ich für absurd. Gesundheit sollte kein Geschäftsmodell sein. Es führt zwangsläufig dazu, dass Menschen nicht optimal versorgt werden, weil der Fokus auf finanziellen Aspekten liegt und nicht auf der bestmöglichen Patientenversorgung. Es braucht ein Umdenken hin zu mehr Gemeinwohlorientierung.

Zum Abschluss: Haben Sie einen Wunsch oder eine Vision für die Zukunft des Gesundheitssystems?

Dr. Moritz Völker: Mein Wunsch wäre, dass das Gesundheitssystem stärker auf Nachhaltigkeit und Patientenzentrierung ausgerichtet wird. Es sollte nicht darum gehen, wer die meisten Gewinne macht, sondern darum, wer die beste Versorgung bietet. Auch die Pharmaindustrie sollte ihre Verantwortung ernster nehmen und nachhaltiger arbeiten. Wir müssen weg von einem Überflussdenken hin zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen – sowohl menschlichen als auch materiellen.

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