
Viele junge Medizinerinnen und Mediziner wollen keine eigene Praxis führen. Vor allem in ländlichen Regionen rückt zu wenig Nachwuchs nach. Anders ist das bei Dr. Sebastian Hartmann. Der junge Mediziner wagte den Schritt in die Niederlassung und wurde Landarzt.
Täglich pendelt Sebastian Hartmann über 20 Kilometer mit dem Auto von Erding, wo er noch mit seiner Familie lebt, in seine Landarztpraxis nach Taufkirchen in der Nähe von München. Als der 35-jährige Internist vor zwei Jahren startete, waren Vorfreude, Spannung und Zweifel groß. Er fragte sich: „Ist das Wartezimmer von Anfang an voll? Sitzt man die ersten Tage nur mit einem Patienten da? Und überhaupt: Schaffe ich das alles?" Seine Sorgen erwiesen sich als unbegründet, denn die Patientinnen und Patienten kamen und blieben. Derzeit ist seine Praxis so gut besucht, dass es einen Aufnahmestopp gibt.
Zeit für Patientinnen und Patienten
Mittlerweile kennt Hartmann viele seiner Patientinnen und Patienten so gut, dass er ihre Vorerkrankungen und Medikationen sogar im Kopf hat. Seine Begeisterung für seine Arbeit ist spürbar, ebenso wie die Wertschätzung seiner Patienten: „Die Menschen machen es einem aber auch angenehm. Oft höre ich Sätze wie: 'Wir sind so froh, dass Sie da sind'. Oder: 'Mit Ihnen werde ich alt'." Solche positiven Erfahrungen stehen im Kontrast zu seiner Zeit in der Klinik während der Facharztausbildung. Dort empfand er die klinische Routine zunehmend als ernüchternd: „Der Zeitdruck, das Gefühl, alles gleichzeitig machen zu müssen – das war auf Dauer unbefriedigend. Ich wollte mehr Zeit für meine Patienten haben."
Nun kann er selbst entscheiden, wie viel Zeit er sich für eine Behandlung nimmt und es haben sich vertrauensvolle Beziehungen zu seinen Patientinnen und Patienten entwickelt. Bei Hausbesuchen nimmt er sich gelegentlich sogar die Zeit für einen Tee. Dennoch betont er: „Wir haben einen engen Zeitplan und auch viel Stress, vor allem in der Infektsaison." Gemütlich geht es in seiner Landarztpraxis also keineswegs zu, vielmehr ist alles gut organisiert.
Drohende medizinische Unterversorgung auf dem Land
In Taufkirchen mit rund 12.000 Einwohnern gibt es im Umkreis von fünf Kilometern vier Hausarztpraxen. Unter den ansässigen Hausärzten ist Hartmann der Jüngste. Erst im vergangenen Jahr schloss eine Praxis und wurde nicht nachbesetzt. Diese Entwicklung spiegelt einen bundesweiten Trend wider: In Deutschland sind rund 4.800 Hausarztstellen unbesetzt, und die Prognose ist düster: Durch die Pensionierungswelle werden im Jahr 2035 etwa 11.000 Hausärztinnen und -ärzte fehlen. Rund 40 Prozent der Landkreise werden dann unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein. Das ist das Ergebnis einer Studie der gemeinnützigen Robert-Bosch-Stiftung.
Die Gründe für diesen Mangel sind vielfältig. Viele junge Ärztinnen und Ärzte scheuen die Verantwortung einer eigenen Praxis und bevorzugen stattdessen angestellte Positionen oder Teilzeitarbeit. Gleichzeitig steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung, weil es immer mehr ältere, chronisch und mehrfach erkranke Menschen geben wird.
Auch für Hartmann war der Weg in die Landarzttätigkeit keineswegs zwingend. Als Sohn eines Landarztes in der Oberpfalz hatte er zwar einen positiven Einblick in diese Arbeit, erwog aber während seiner Facharztausbildung durchaus eine Anstellung als Spezialist für Gastroenterologie. Wegen der wachsenden Unzufriedenheit mit den Abläufen in der Klinik suchte er jedoch parallel nach etwas anderem. In dieser Phase vor drei Jahren kam der Kontakt zur Gemeinde Taufkirchen gerade recht. Die Gemeinde plante ein Neubauprojekt mit einer neu gegründeten Arztpraxis, um die hausärztliche Versorgung langfristig zu sichern. „Die Aussicht, von Anfang an alles selbst mitgestalten zu können, hat mich absolut gereizt", erzählt er.
Neben dieser Perspektive sprachen auch weitere Gründe für die Niederlassung: Etwa die erschwinglichere Miete im Vergleich zu Großstädten wie München und vor allem die Tatsache, dass seine Frau aus Taufkirchen stammt. „Letztendlich war es das Gesamtpaket, das perfekt passte", sagt er rückblickend. Und mit der Geburt seiner Tochter hat sich diese Entscheidung fürs Dasein als Landarzt für ihn noch einmal bestätigt. „Denn mit einem Kind wäre ein Leben in der Großstadt nicht das Richtige für uns", sagt der frischgebackene Vater. Hinzu kommt, er schätzt die vielfältigen Freizeitmöglichkeiten, die die Natur bietet.
Bessere Vergütung, weniger Bürokratie
Dass junge Ärzte und Ärztinnen zögern sich niederzulassen, kann Hartmann dennoch nachvollziehen. Er betont, dass die Rahmenbedingungen dringend verbessert werden müssen, da die laufenden Kosten, steigenden Tarifabschlüsse und explodierenden Nebenkosten erhebliche finanzielle Herausforderungen darstellen. Besonders kritisch sieht der Landarzt die Vergütung für Hausbesuche, die seiner Meinung nach reformiert werden muss, um junge Ärzte gezielt fürs ländliche Regionen zu gewinnen. Mit nur 24 Euro plus Fahrtkosten pro Hausbesuch steht die Vergütung in keinem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlichen Aufwendungen. „Dabei sind die Wege auf dem Land weiter und die Nebenkosten höher, weil die Preise für Benzin und Autoversicherung steigen, die Honorare aber nicht", erklärt er die Problematik.
Ein weiterer Punkt, den Hartmann bemängelt, ist die längst überfällige Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). „Letztlich sind es Preise aus den 80er Jahren, die wir bei Privatpatienten abrechnen können", kritisiert er die veraltete Preisstruktur. Die grundlegende Finanzierungsstruktur auf dem Land ist nicht anders als in der Stadt: Die meisten Praxen finanzieren sich über eine Mischkalkulation aus der Vergütung für gesetzlich und privat Versicherte. Neben den finanziellen Aspekten kämpft der Landarzt, wie viele seiner niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, mit einem Übermaß an Bürokratie. Er ist überzeugt: „Wenn ich weniger Bürozeit hätte, könnte ich mehr Präsenzstunden anbieten, was den Patienten zugute käme."
Ende 2025 am Ziel
Der junge Landarzt hat nun bereits zwei arbeitsreiche Jahre hinter sich, doch trotz Stressphasen und eines hohen Arbeitspensums überwiegt die die Freude an der Arbeit. Allerdings steht ihm noch ein großer Schritt bevor, denn seine aktuelle Praxis ist nur eine Übergangslösung. Erst wenn das Bauvorhaben der Gemeinde umgesetzt ist, wird er mit seinem Team in die endgültigen Räumlichkeiten umziehen. Der anvisierte Umzugstermin ist Ende 2025.
In der Zwischenzeit gibt es für Hartmann noch viel zu planen und organisieren. Die Einrichtung der neuen Praxis, zahlreiche Gespräche mit Dienstleistern wie Handwerkern, stehen auf der Agenda. Mindestens bis zum Umzug arbeitet er eigentlich die ganze Woche durch, denn auch an den Wochenenden ist er mit dem, was an Bürokratie liegen geblieben ist, oder mit der künftigen Praxis beschäftigt. Allerdings betrachtet er diese arbeitsintensive Gründungsphase als Investition in die Zukunft und ist zuversichtlich: „Alles, was ich jetzt investiere, macht es später einfacher und entspannter."
Im Arbeitsalltag legt der Hausarzt großen Wert auf eine gutes Arbeitsklima. Aus diesem Grund hat er einen befreundeten Internisten in die Landarztpraxis geholt. „Wir verstehen uns sehr gut, ich kann mich auf ihn verlassen, sowohl medizinisch als auch privat. Das macht den Praxisalltag oft leichter. Und wenn es nur die kleine Frage ist: 'Wie geht es dir heute?'", erklärt er. Ein weiterer Vorteil: Sie können sich gegenseitig vertreten, wenn zum Beispiel einer ein paar freie Stunden wegen eines wichtigen Termins braucht oder krank ist.
In Zukunft wird Hartmann das medizinische Team noch verstärken. Sobald der Umzug in die neuen, größeren Räumlichkeiten abgeschlossen ist, wird ein weiterer Freund aus seiner Ausbildungszeit als dritter Arzt mitarbeiten. Spätestens dann, so hofft Hartmann, bleibt ihm mehr Zeit für seine Frau und Tochter. Und wenn die Familie dann noch eine passende Wohnung in Taufkirchen findet, wird endlich auch sein Weg zur Praxis kürzer.