Experimentelle Medizin – eine Alternative zum Klinikalltag?

13 Mai, 2024 - 07:09
Michael Fehrenschild
Forscherteam im Labor am Mikroskop

Ein weites Feld: In der Experimentellen Medizin wird versucht, die Zukunft aller Menschen durch neue Erkenntnisse, Therapien und Prognosen zu verbessern. Ohne Idealismus geht es dabei nicht, wie Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger erzählt. Sie forscht und lehrt am Hamburger UKE und ist Ko-Leiterin des Institutes für Zelluläre und Integrative Physiologie.  

Frau Professor Dr. Meyer-Schwesinger, was ist Experimentelle Medizin eigentlich?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Spannende Grundlagenforschung unter ganz speziellen Aspekten und Fragen. Ziel ist meistens, die pathophysiologischen Hintergründe von Krankheiten aufzuklären, um diese über das bessere Verständnis auch gezielter therapieren zu können. Die große Bandbreite der Institute, die sich mit solchen Fragestellungen befassen, kann man im UKE gut sehen. Das Zentrum für Experimentelle Medizin setzt sich aus Grundlagen-Instituten wie Anatomie, Experimentelle Morphologie, angewandte Medizin, Informatik, Biochemie und molekulare Biologie zusammen. Und sie alle versuchen, verschiedene pathophysiologische Aspekte von Krankheiten zu ergründen.

Woran forschen Sie persönlich?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Hauptsächlich befasse ich mich mit den grundlegenden Mechanismen, wie Zellen mit fehlerhaften Bausteinen – in dem Fall geht es vor allem um Proteine – umgehen. Diese können bei Erkrankungen entstehen und deren Ansteigen kann letztendlich zu Erkrankungen führen oder den Verlauf beeinflussen. Wir wollen verstehen, über welche Prinzipien Zellen diese fehlerhaften Proteine entfernen. Dabei unterscheiden sich die Prinzipien je nach betroffener Zelle / Organ. Um sich das bildlich vorzustellen, könnte man salopp sagen, dass wir verstehen möchten, wie die Mülleimer unterschiedlicher Häuser arbeiten, und was passiert, wenn diese nicht mehr funktionieren.

Wer kann bei Ihnen mitmachen?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Nachwuchs ist sehr willkommen! Wir sind ein sehr buntes Team, das sich aus verschiedenen Berufsgruppen zusammensetzt: aus biologisch-technischer Assistenz, Naturwissenschaftlern und Medizinern der unterschiedlichsten Reifegrade. Medizinstudierende pausieren für ein halbes oder ganzes Jahr mit dem Studium, um in dieser Zeit bei uns an einem Projekt mitzuwirken. Über dieses Projekt schreiben sie ihre Promotion. Zudem arbeiten bei uns Naturwissenschaftler aus Pharmazie, Biologie, Biochemie oder aus der Tiermedizin, die ebenfalls bei uns promovieren, allerdings für drei bis vier Jahre. Dazu kommen noch erfahrene promovierte Experten, die in Richtung Habilitation unterwegs sind. Sie forschen weiterhin in Projekten, aber übernehmen auch die Betreuung von jüngeren Teammitgliedern. Das ist wichtig, um den jungen Leuten den Spaß an der Forschung zu erhalten. Forschende müssen Idealisten sein. Der Verdienst und die Karrierechancen sind oft nicht optimal. Zumal es immer das Risiko gibt, nach Jahren des Experimentierens einen Fehlschlag zu erleiden. Zudem ist das Image, wenn man an die wenigen, aber unvermeidlichen Tierversuche denkt, auch nicht überall gut.

Wie sieht Ihr Alltag aus? Womit verbringen Sie den größten Teil der Arbeitszeit?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Sehr bunt. Mein Job basiert auf zwei Grundpfeilern. Der erste ist, die Forschung voranzutreiben. Die eigene Gruppe zu pushen, bedeutet tägliche Besprechungen mit den Studierenden, mit den jungen sowie auch den schon erfahreneren, um Projekte zu planen, aktuelle Probleme zu lösen und insgesamt weiterzukommen. Der zweite Pfeiler ist die Lehre. Hier geht es darum, dem Nachwuchs die integrative Physiologie näherzubringen und sie auf die Prüfungen vorzubereiten. Das betrifft Studierende der Medizin, der Pharmazie, der Zahnmedizin sowie Hebammen. Leider bekomme ich außerdem sehr viel bürokratische Arbeit auf den Tisch, wie Anträge schreiben. Dazu kommen Begutachtungen, Vorträge, Kongresse und vieles mehr. Ich bin zudem in der Leitung des Institutes involviert. Wenn mir dann noch Zeit übrigbleibt, versuche ich selber zu forschen. Das ist dann sehr viel Mikroskopie, weil mir das liegt.  

Klappt das alles in 40 Stunden?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Ich fange um 7:30 Uhr an und arbeite bis 23 Uhr abends. Das mache ich fünf Tage in der Woche, in der Regel auch am Wochenende. Mein Pensum ist in einem acht Stundentag nicht zu schaffen. Forschung ist ein sehr kreativer Beruf, extrem vielfältig, hat aber im Prinzip auch kein Limit. Ich weiß, dass ich eine bessere Work-Life-Balance finden sollte. Aber natürlich geht das auch als 40-Stunden-Job. Das hängt davon ab, in welcher Liga man arbeiten möchte, wie das Team aufgebaut und wie man selber gestrickt ist.

Hatten Sie schon früh Interesse an der Forschung?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Ursprünglich wollte ich Goldschmiedin werden. Dann hätte ich mit meinem Schmuck Geld verdienen müssen, doch ich wusste, dass mir das Verkaufen nicht liegt. Und so bin ich meiner zweiten Begeisterung, den Naturwissenschaften, nachgegangen und wurde Ärztin. Mir war aber als Studentin schon klar, dass ich auch forschen wollte, bereits in der Schule mochte ich Biologie und Chemie. Und ich komme aus einem akademischen Haushalt, mein Vater war theoretischer Physiker. Der hat mich gern angestachelt mit der Aussage, dass die Medizin eigentlich nur eine Pseudo-Wissenschaft sei... Diese Herausforderung nahm ich an, weil ich zeigen wollte, dass hier ernsthaft geforscht wird.  

Wie kamen Sie zur Experimentellen Medizin?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Ich habe drei Kinder, mein Mann ist ebenfalls Arzt und viel beschäftigt. Um alles unter einen Hut zu bringen, musste ich mich zwischen Forschung und Lehre oder der Arbeit in der Klinik als Ärztin entscheiden. Mein Herz schlug für beides, aber wegen den Kindern wählte ich die Experimentelle Medizin, denn dabei konnte ich meine Arbeitszeit freier gestalten und vor allem auch zu Hause arbeiten. Das ist ein ganz klarer Vorteil. In der Klinik arbeiten Sie zwar auch im Team, aber dort hängen trotzdem oft Patientinnen und Patienten von Ihnen ab. Und wenn dann Ihr eigenes Kind krank wird, können Sie nicht so einfach nach Hause gehen. In der Forschung ist das eher möglich, dann ist vielleicht ein Experiment gescheitert, doch das lässt sich wiederholen.   

Vermissen Sie den Kontakt zu Patientinnen und Patienten?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Ja, schon. Ich war sehr gerne Ärztin. Und ausschließlich in Forschung und Lehre zu arbeiten, ist eine völlig andere emotionale Ebene, als Menschen direkt zu helfen. Auf dem Niveau, auf dem ich forsche, geht leider einfach nicht mehr beides. Ich versuche aber mit meinen Fragestellungen eng an der Klinik zu bleiben. Wir arbeiten zudem sehr viel mit Patientenproben, und dafür brauchen wir auch den Draht zur Praxis. Und der ist zum Glück noch da, weil ich aus der wirklichen Krankenversorgung gekommen bin und noch engen Kontakt zu meinen klinischen Kolleginnen und Kollegen habe. Und da mein Mann ebenfalls Arzt ist, wird sogar am Abendbrottisch über Krankheiten diskutiert.

Was sind Ihre Ziele?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Ich ging mit dem Traum in die Forschung in einem Gebiet der Medizin oder der Biologie etwas zu verstehen, also einen diagnostischen oder auch therapeutischen Aspekt hinzuzufügen, der den Patientinnen und Patienten am Ende auch wirklich zu Gute kommt. Mittlerweile bin ich oft mit kleineren Brötchen zufrieden, wenn wir Steinchen für Steinchen vorankommen. Für mich ist es auch ein Erfolg, wenn meine Studierenden und Naturwissenschaftler Freude an ihren Projekten haben, diese gut vorangehen und sie stolz auf ihre Entdeckungen sind. Wenn uns dann tatsächlich ein neuer Weg gelingt, der in die Diagnostik kommt und auch prognostische Voraussagen ermöglicht, könnte es bedeutend werden. Tatsächlich habe ich aktuell das Gefühl, dass der Kampf der letzten 15 Jahre sich gelohnt hat.

Wie meinen Sie das?

Prof. Dr. med. Catherine Meyer-Schwesinger: Meines Erachtens haben wir gerade einen Durchbruch in einem Projekt geschafft, das ein großes Potential hat und von dem ich mir erhoffe, dass es in die Klinik kommt. Darüber kann ich aber leider noch nicht mehr verraten.

Die Expertin:

Prof. Dr. Catherine Meyer-Schwesinger

Prof. Dr. Catherine Meyer-Schwesinger arbeitet als Ko-Institutsdirektorin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie leitet dort das Institut für Zelluläre und Integrative Physiologie im Zentrum für Experimentelle Medizin.

Bild: © privat

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