
Die Humangenetik ist eine relativ junge Facharztrichtung, die sich aber rasant entwickelt. Wie sieht die Facharzt-Weiterbildung in diesem Bereich aus und wie lange dauert sie? Das erfahren Sie im Beitrag.
Auf einen Blick: Weiterbildung (Facharztausbildung) Humangenetik
- Definition: Die Humangenetik ist ein medizinisches Fachgebiet, das sich speziell mit dem Erbgut des Menschen beschäftigt. Humangenetiker erkennen und behandeln genetisch bedingte Erkrankungen. Sie sind auch in der Forschung tätig. Außerdem beraten sie Patienten und ihre Familie sowie andere Ärzte auf diesem Gebiet.
- Dauer: Die Facharzt-Weiterbildung in der Humangenetik dauert 60 Monate. Davon müssen 6 Monate in einem zytogenetischen Labor, 12 Monate in einem molekulargenetischen Labor und 12 Monate in anderen Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung abgeleistet werden.
- Anzahl der Fachärzte: In Deutschland gibt es 498 Fachärzte für Humangenetik. Davon sind 400 berufstätig. 249 arbeiten ambulant, 119 stationär in einer Klinik.
"The language in which God created life" – also, die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat: So bezeichnete der damals amtierende US-Präsident Bill Clinton im April 2000 die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Für die Humangenetik war das ein wissenschaftlicher Meilenstein. Heute wissen wir: Das menschliche Genom umfasst mehr als 20.000 Gene. Doch die Größe des Genoms hat nichts mit der Komplexität eines Lebewesens zu tun: So kommt der Fadenwurm Caenorhabditis elegans auf etwa genauso viele Gene wie ein Mensch, bei Weizen sind es fünfmal so viele.
Das Wort Genetik stammt aus dem Griechischen und bedeutet Abstammung. Fachärzte und Fachärztinnen für Humangenetik beschäftigen sich also mit der Abstammung des Menschen – und mit erblich bedingten Erkrankungen. Viele Humangenetiker sind in der Forschung tätig. Hier gibt es viele Fragen zu beantworten, die auch für Ärzte anderer Fachrichtungen entscheidend sind: Welche genetischen Ursachen haben verschiedene seltene Erkrankungen? Wie entsteht Krebs und wie lässt er sich heilen? Und wie laufen natürliche Alterungsprozesse im Körper ab? Das sind nur einige der Fragen, mit denen sich Humangenetiker und Humangenetikerinnen beschäftigen.
Doch auch, wenn die Forschung in der Humangenetik eine große Rolle spielt: Fachärztinnen und Fachärzte dieses Fachgebiets haben meist auch direkt mit Patienten zu tun. So bieten vor allem größere Kliniken häufig genetische Beratungen an. Dieses Angebot wird beispielsweise von Familien in Anspruch genommen, in denen es erblich bedingte Erkrankungen (z.B. Krebs- oder Stoffwechselerkrankungen) gibt. Hier informieren die Ärzte beispielsweise Paare mit Kinderwunsch über das Risiko, dass diese Krankheiten auch in der nächsten Generation wieder auftauchen. Doch auch Schwangere, die bei einer gynäkologischen Untersuchung einen auffälligen Befund bekommen haben, nehmen die Beratungsangebote der Humangenetiker in Anspruch. Hier geht es häufig auch um ethisch schwierige Fragen – beispielsweise ob eine Schwangerschaft angesichts eines vermuteten späteren Krankheitsbildes beim Baby fortgesetzt oder abgebrochen wird.
Damit sich die Fachärzte und Fachärztinnen ein umfassendes Bild machen können, greifen sie nicht nur auf herkömmliche medizinische Methoden wie die körperliche Untersuchung und eine genetische Blutuntersuchung zurück. Humangenetiker erstellen auch einen Familienstammbaum ihrer Patienten, der über mehrere Generationen zurückreicht. Dabei werden alle Familienmitglieder erfasst – auch Fehl- und Todgeburten werden aufgeführt.
Durch die Fortschritte im Bereich der Genforschung können inzwischen mehr als 1.000 Erkrankungen mit genetischen Ursachen in Verbindung gebracht werden. Damit hat die Humangenetik in allen Fachbereichen der Medizin heute große Bedeutung gewonnen.
Humangenetiker werden: Die Weiterbildung (Facharztausbildung) im Überblick:
Die Dauer der Weiterbildung
Die Weiterbildungszeit in Humangenetik beträgt 60 Monate bei einem Weiterbildungsbefugten an einer Weiterbildungsstätte, davon
- 30 Monate in der humangenetischen Patientenversorgung
- 6 Monate in einem zytogenetischen Labor
- 12 Monate in einem molekulargenetischen Labor
- 12 Monate in anderen Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung
Die Inhalte der Weiterbildung
Übergreifende Inhalte der Facharzt-Weiterbildung Humangenetik
- Wesentliche Gesetze, Verordnungen und Richtlinien
- Ursache von Mutationen und Epimutationen sowie deren somatische Auswirkungen oder in der Keimbahn
- Bedeutung von Polymorphismen, Kopienzahlveränderungen und Mosaiken
- Numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen sowie Symptomatik und Nosologie der wichtigsten angeborenen und erworbenen Chromosomenstörungen
- Populationsgenetik
- Prinzipien der Therapie genetisch bedingter Erkrankungen
Humangenetische Beratung
- Besonderheiten humangenetischer Beratungsabläufe bei Risikopersonen mit spät manifestierenden nicht heilbaren Erkrankungen
- Berechnung von Erkrankungs- und Vererbungswahrscheinlichkeiten
- Indikationsstellung zur genetischen Diagnostik
- bei unerfülltem Kinderwunsch und bei Aborten
- bei genetisch bedingten bzw. mitbedingten Gesundheitsrisiken und Erkrankungen
- bei angeborenen Fehlbildungen und Krankheiten
- in der Schwangerschaft (Pränataldiagnostik, nicht invasive pränatale Testung, Präimplantationsdiagnostik)
- zu prädiktiven Gentests
- Humangenetische Beratung einschließlich der Erhebung der Familienanamnese in drei Generationen, Beurteilung und Erstellung einer Epikrise bei 50 verschiedenen Krankheitsbildern in Fällen (Richtzahl: 400), davon
- mit Manifestation in mehreren Systemen (syndromale Krankheitsbilder) bzw. bei angeborenen Fehlbildungen (Richtzahl: 150)
- monogene und komplexe Erbgänge (Richtzahl: 50)
- zytogenetische (numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen) und molekularzytogenetische Befunde (Richtzahl: 50)
- molekulargenetische Befunde (Richtzahl: 30)
- prädiktive molekulargenetische Befunde (Richtzahl: 20)
Beratung bei invasiver und nicht invasiver pränataler Diagnostik einschließlich Präimplantationsdiagnostik
- Psychosoziale Betreuung von Schwangeren und ihren Partnern
- Invasive und nicht invasive Verfahren der Pränatal- und der Präimplantationsdiagnostik
- Teratogene Potentiale von physikalischen, infektiösen und chemischen Noxen
- Beurteilung und Beratung bei auffälligen Befunden in der Pränataldiagnostik (Richtzahl: 30)
Syndromologie
- Phänotypanalyse, Terminologie und Bedeutung von Fehlbildungen und kleinen Anomalien einschließlich Dysmorphiezeichen
- Syndrom-Datenbanken
- Klinisch-genetische Abklärung und Beratung bei 25 verschiedenen a priori unklaren Syndromen in Fällen, davon mit
- Skelettfehlbildungen, Kraniosynostosen, Groß-/Kleinwuchs (Richtzahl: 10)
- syndromalen und nicht syndromalen Entwicklungsverzögerungen bei Kindern (Richtzahl: 30)
- chromosomal bedingten Syndromen (Richtzahl: 10)
- teratogenen Syndromen, Sequenzen und Assoziationen (Richtzahl: 5)
Stoffwechselkrankheiten und endokrine Störungen
- Klinische Merkmale genetisch bedingter bzw. mitbedingter Stoffwechselkrankheiten und endokriner Störungen
- Möglichkeiten und Grenzen der biochemischen Diagnostik
- Neugeborenenscreening
- Differentialdiagnostische Abklärung, humangenetische Beratung und ggf. Koordination der Betreuung von Patienten bzw. Familien mit genetisch bedingter bzw. mitbedingter Stoffwechselkrankheit oder endokriner Störung (Richtzahl: 10)
Erkrankungen von Haut, Haaren, Zähnen und Bindegewebe
- Klinische Merkmale genetisch bedingter bzw. mitbedingter Krankheiten an Haut, Haaren, Zähnen und Bindegewebe
- Differentialdiagnostische Abklärung, humangenetische Beratung und Indikationsstellung zur weiterführenden Diagnostik von Patienten mit genetisch bedingten bzw. mitbedingten Erkrankungen des Bindegewebes sowie des ektodermalen Gewebes (Richtzahl: 10)
Neurologische und neuromuskuläre Erkrankungen sowie Muskelerkrankungen
- Genetische Grundlagen von Fehlbildungen des zentralen Nervensystems
- Genetisch bedingte bzw. mitbedingte Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems sowie der Muskulatur
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei
- angeborenen Fehlbildungen des Nervensystems (Richtzahl: 5)
- neurologischen Erkrankungen (Richtzahl: 10)
- neurodegenerativen Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems (Richtzahl: 10)
- neuromuskulären und muskulären Erkrankungen (Richtzahl: 5)
Krankheiten der Niere und der ableitenden Harnwege
- Genetische Grundlagen von Erkrankungen und Fehlbildungen der Niere und der ableitenden Harnwege
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei genetisch bedingten bzw. mitbedingten Erkrankungen mit Nierenbeteiligung (Richtzahl: 5)
Krankheiten von Auge und Ohr
- Grundlagen und genetische Ursachen von syndromaler und nicht syndromaler Blindheit und Taubheit
- Grundlagen und genetische Ursachen von angeborenen Fehlbildungen von Auge und Ohr
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei genetisch bedingten bzw. mitbedingten Formen von Blindheit und/oder Taubheit (Richtzahl: 10)
Erkrankungen des Herzens und der Gefäße
- Genetische Grundlagen von Fehlbildungen des Herzens
- Genetische Grundlagen von Gefäßerkrankungen
- Genetische Grundlagen von Kardiomyopathien und Ionenkanalerkrankungen
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei isolierten und syndromalen Fehlbildungen des Herzens und der Gefäße (Richtzahl: 5)
- Differentialdiagnostische Abklärung und interdisziplinäre Betreuung von Kardiomyopathien und Arrhythmien (Richtzahl: 5)
Erkrankungen des Blutes
- Genetische Grundlagen von Blutgerinnungsstörungen
- Genetische Grundlagen von Störungen der Hämatopoese und Hämoglobinopathien
- Genetische Grundlagen der Erkrankungen des Immunsystems
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei Blutgerinnungsstörungen, Störungen der Hämatopoese, Hämoglobinopathien sowie von Erkrankungen des Immunsystems (Richtzahl: 10)
Tumorerkrankungen
- Genetische Grundlagen von Tumordisposition, insbesondere Charakteristika monogener Tumordispositionssyndrome
- Grundlagen der somatischen Tumorgenetik und Tumorepigenetik einschließlich deren diagnostischer und therapeutischer Relevanz
- Differentialdiagnostische Abklärung, individuelle Risikoberechnung und humangenetische Beratung bei genetisch bedingter bzw. mitbedingter Tumordisposition, insbesondere bei monogenen Formen (Richtzahl: 50)
- Humangenetische Beratung zur diagnostischen und therapeutischen Relevanz genetischer und epigenetischer Veränderungen von Tumorzellen (Richtzahl: 10)
Infertilität/Aborte
- Genetische Grundlagen des unerfüllten Kinderwunsches sowie rekurrierender Aborte
- Grundlagen der assistierten Reproduktion
- Differentialdiagnostische Abklärung und humangenetische Beratung bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch oder rekurrierenden Aborten (Richtwert: 20)
Pharmakogenomik
- Grundlagen der Bedeutung genetischer und epigenetischer Varianten für die Pharmakotherapie einschließlich der Companion Diagnostik
Diagnostische zytogenetische Verfahren
- Grundlagen zytogenetischer, molekularzytogenetischer, Array-basierter und sequenzierungsbasierter Methoden zur Detektion struktureller chromosomaler Varianten, deren Aussagewert und Limitierung sowie Besonderheiten bei pränatalen, postnatalen und tumorgenetischen Fragestellungen
- Durchführung, Auswertung und Befunderstellung von Chromosomenanalysen (Richtzahl: 100), davon
- mit allen Kultivierungs- und Präparationsschritten (Richtzahl: 30), davon
- pränatal (Richtzahl: 10)
- FISH-Analysen an Interphasekernen sowie an Metaphasechromosomen (Richtzahl: 25)
- Mikroarray-Analysen einschließlich Datenbankrecherchen (Richtzahl: 25)
Diagnostische molekulargenetische Verfahren
- Molekulargenetische Techniken, deren Aussagewert und Limitierung sowie Besonderheiten bei pränatalen, postnatalen und tumorgenetischen Fragestellungen
- Besonderheiten von Repeatexpansions-Erkrankungen und epigenetischen Aberrationen
- Durchführung, Auswertung und Befunderstellung von molekulargenetischen Untersuchungen bei monogenen, mitochondrialen, polygenen und multifaktoriell bedingten Krankheiten sowie bei somatischen Aberrationen bei mindestens 10 verschiedenen Krankheitsbildern und Genorten in Fällen (Richtzahl: 200), davon
- mit allen Laborschritten (Richtzahl: 40)
- Sequenzierung (Richtzahl: 100), davon Next Generation Sequenzierung (Richtzahl: 50)
- Kopienzahlbestimmung (z. B. mittels multiplex ligationsabhängiger Sondenamplifikation (MLPA) oder quantitativer Echtzeit PCR (qPCR)) Richtzahl: 5
- instabile Repeatexpansionen (Richtzahl: 5)
- epigenetische Analysen
- Durchführung von Analysen und Befunderstellung zum Nachweis somatischer Mutationen in verschiedenen Geweben, insbesondere Knochenmark, Tumorgewebe, peripheren Blutzellen und zellfreien Nukleinsäuren
Klinische Genomanalytik
- Pathogenität von genetischen und epigenetischen Veränderungen und deren klinische Bedeutung
- Anwendung von Softwaretools zur Wertung von genetischen bzw. epigenetischen Varianten (Richtzahl: 50)
- Anwendung von Datenbanken zur klinischen Interpretation genetischer bzw. epigenetischer Varianten (Richtzahl: 50)
Quelle: (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2018, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2022, Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V.