
Führung im Krankenhaus stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Kombination aus komplexen Entscheidungsstrukturen, dem multidisziplinären Teamansatz und der Notwendigkeit, sich in einem sich schnell wandelnden Umfeld zurechtzufinden, erfordert von Führungskräften einzigartige Fähigkeiten und Anpassungsvermögen. Im Interview beleuchtet Vera Starker, Wirtschaftspsychologin und Autorin, die spezifischen Herausforderungen und Lösungen für Führungskräfte im medizinischen Bereich, und wie richtige Führungskompetenz nicht nur das Arbeitsumfeld verbessern kann, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Mitarbeiterzufriedenheit und Patientenversorgung leistet.
Entscheidungshierarchie vs. Führungshierarchie
Frau Starker, was sind Ihrer Meinung nach die spezifischen Herausforderungen für medizinisch-ärztliche Führungskräfte im Krankenhausbetrieb?
Vera Starker: Die Herausforderungen für Führungskräfte im Krankenhaus sind vielfältig. Zunächst einmal haben wir es mit zwei unterschiedlichen Hierarchien zu tun: der Entscheidungshierarchie und der Führungshierarchie. Medizinische Fachkräfte, die in der Entscheidungshierarchie aufsteigen, werden oft automatisch auch in Führungspositionen katapultiert, obwohl sie dafür meist nicht ausgebildet wurden. Die Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern umfasst oft nur grundlegende Kommunikation, aber die psychologischen Aspekte von Führung werden häufig nicht ausreichend vermittelt.
Außerdem kommen die spezifischen Herausforderungen des Krankenhausbetriebs hinzu. Schichtdienste und wechselnde Teams machen es schwierig, eine konstante Weiterentwicklung der Mitarbeitenden zu gewährleisten. Die multidisziplinäre Zusammenarbeit ist ebenfalls eine Herausforderung, da Führungskräfte unterschiedliche Professionen koordinieren müssen, was sowohl eine zusätzliche Belastung als auch eine spannende Chance darstellen kann.
Interessanter Punkt. Es wird oft gesagt, dass Führungskräfte entweder „geboren“ werden oder nicht. Was halten Sie von dieser Vorstellung? Ist Führung Ihrer Meinung nach eine angeborene Fähigkeit oder kann man sie erlernen?
Vera Starker: Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Führung ist keine angeborene Fähigkeit, sondern eine Kompetenz, die man erwerben kann. Natürlich gibt es Menschen, die von Natur aus einige Vorteile haben, wie zum Beispiel eine höhere Empathie. Aber Führungskompetenz ist vor allem eine Frage der Selbstkompetenz und des Umgangs mit sich selbst. Es ist wichtig, nicht auf jeden Impuls sofort zu reagieren, sondern überlegte Entscheidungen zu treffen und zuzuhören. Die Effektivität von Führung hängt dabei auch stark vom Kontext und dem Team ab. Es gibt keine universell gute Führung. Sie muss vielmehr an die jeweilige Situation und die spezifischen Bedürfnisse des Teams angepasst werden. Was in einem Kontext funktioniert, kann in einem anderen völlig fehl am Platz sein.
Wie stehen Sie zu den aktuellen Bemühungen der Krankenhäuser, Führungskräfte zu fördern? Gibt es Bereiche, in denen Krankenhäuser Ihrer Meinung nach noch Verbesserungen vornehmen sollten?
Vera Starker: Die Bemühungen, Führungskräfte im Krankenhaus zu fördern, sind wichtig, aber oft nicht ausreichend effektiv. Ein Problem ist, dass evidenzbasierte psychologische Erkenntnisse zur Arbeitsgestaltung und zum Führungsverhalten immer noch selten in die Praxis umgesetzt werden. Beispielsweise zeigen Studien, dass junge Ärztinnen und Ärzte oft andere Erwartungen und Bedürfnisse haben als ältere Generationen. Shared Leadership, psychologisches Empowerment und flexible Arbeitszeitmodelle sind Konzepte, die den aktuellen Anforderungen besser entsprechen würden, aber oft nur langsam implementiert werden.
Krankenhäuser sollten aktiver auf diese wissenschaftlichen Erkenntnisse reagieren und innovative Führungsmodelle wie Shared Leadership, Empowerment oder fokussiertes Arbeiten anbieten. Diese Modelle könnten helfen, die Work-Life-Balance zu verbessern und die Attraktivität der Führungspositionen zu steigern.
Vom Shared Leadership bis zur systemischen Reform
Wie sehen Sie die Entwicklung der Ansprüche und Erwartungen an die Arbeit im Krankenhaus? Hat sich hier etwas verändert?
Vera Starker: Ja, die Ansprüche an die Arbeit haben sich erheblich verändert. Mitarbeitende wollen eine sinnvolle Tätigkeit, die auch mit ihren persönlichen Werten und Bedürfnissen in Einklang steht. Diese Verschiebung führt dazu, dass die Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden zunehmend wichtiger wird. Rein hierarchische Führung hat wenig Zukunft.
Führungskräfte müssen sich dieser Veränderung bewusst sein und lernen, wie sie ein unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen können, das sowohl die beruflichen als auch die persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden, zum Beispiel nach Flexibilität und Vereinbarkeit, berücksichtigt.
Sie haben erwähnt, dass die Führung in Kliniken oft nicht genügend auf die Wirksamkeit fokussiert ist. Was kann getan werden, um diese Situation zu verbessern?
Vera Starker: Führungskräfte sollten nicht nur lernen, wie man führt, sondern auch zu reflektieren, welche Wirkung ihre Führung im Alltag hat. Oft wird zu viel Wert auf die Durchführung von Aufgaben gelegt, während die tatsächliche Wirkung und die Ergebnisse der Zusammenarbeit und der Umsetzung der Aufgaben nicht ausreichend überprüft werden. Ein wichtiger Schritt wäre, dass Führungskräfte sich regelmäßig Feedback von ihren Teams einholen. Durch ein echtes Verständnis sowohl für die eigenen Bedürfnisse und Herausforderungen als auch für die ihrer Mitarbeitenden können Führungskräfte gezieltere und effektivere Maßnahmen ergreifen.