Mitarbeitende können mit negativer Kritik schlechter umgehen, wenn sie von weiblichen Vorgesetzten geübt wird. Derartiges Verhalten kann die Führungsambitionen von Frauen konterkarieren. So könnten Chefinnen versucht sein, einen weniger effektiven Führungsstil zu pflegen. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine aktuelle Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Über eine Online-Plattform bot der Ökonom Martin Abel vom Middlebury College im US-Staat Vermont 2 700 Arbeitskräften Aufträge eines fiktiven Unternehmens an. Er teilte ihnen fiktive männliche oder weibliche Vorgesetzte zu, die den Arbeitskräften im Verlauf ihrer Tätigkeit schriftliches Feedback zur Qualität ihrer Arbeit gaben. Ergebnis: Die Jobzufriedenheit der Arbeitskräfte ging nach negativer Kritik an der Arbeitsleistung zurück. Allerdings fiel dieser Rückgang um 70 Prozent höher aus, wenn die Kritik von einer weiblichen Vorgesetzten kam. Zudem waren dann doppelt so viele Arbeitskräfte nicht mehr an einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmen interessiert.
Entscheidend für die Überreaktionen sind dem Forscher zufolge geschlechtsspezifische Erwartungen an den Führungsstil. Während Lob dreimal häufiger mit weiblichen Vorgesetzten in Verbindung gebracht werde, werde Kritik doppelt so oft männlichen Chefs zugeschrieben. Werden Chefinnen diesen Erwartungen nicht gerecht, folgert er, könne das die beobachteten negativen Reaktionen auslösen. Diese Erkenntnisse ließen sich zwar nicht zwingend auf klassischere Arbeitsumgebungen übertragen. Doch seien sie aufschlussreich, weil moderne Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens vor allem Frauen zugutekommen könnten.
Um Abhilfe zu schaffen, bieten manche Unternehmen mittlerweile Feedback-Coachings an, in denen Beschäftigte lernen, Kritik nicht persönlich zu nehmen, sondern sich auf den Inhalt zu konzentrieren. „Dennoch“, betont Abel, „bleibt Geschlechterdiskriminierung gerade in hoch qualifizierten Berufen ein ernst zu nehmendes Problem, etwa unter Medizinern oder Ökonomen.“
Dtsch Arztebl 2020; 117(4): [4]