Von fehlgeschlagenen Therapien über mangelnde Compliance bis hin zum Suizid von Patientinnen und Patienten: Rückschläge bringt der Arztberuf schlichtweg mit sich. Kann man lernen, besser damit umzugehen? Professor Dr. Peter Zwanzger, langjähriger Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychosomatik im bayerischen Wasserburg am Inn, gibt Tipps und berichtet aus der Praxis.
Herr Prof. Zwanzger, welche Rückschläge sind typisch im Medizinerleben?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Da fällt mir leider ganz viel ein. Beispielsweise die Enttäuschung, wenn eine Therapie nicht so wirksam ist, wie erhofft – recht häufig muss man daher mit der Ohnmacht gegenüber einer medizinischen Entwicklung zurechtkommen. Wenn alles, was man als Arzt oder Ärztin versucht, nicht greift – egal, ob ein Medikament nicht wirkt oder eine Operation schief geht. Dazu gesellen sich die Rückschläge, weil Krankheiten oftmals tückisch sind. Du denkst, du hast es im Griff und ein halbes Jahr später kommt doch ein Rezidiv. Und natürlich existiert auch die Patientenvariable. Da gibt man sich viel Mühe, aber der Patient oder die Patientin trifft, statt dem ärztlichen Rat zu folgen, eine andere Entscheidung, zum Beispiel gegen eine bestimmte Therapie.
Kann man sich schon im Vorfeld gegen herbe Enttäuschungen wappnen?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Oftmals ja. Hilfreich ist beispielsweise, sich von vornherein bewusst zu machen: Der Arztberuf bringt einfach belastende Situationen mit sich – und zwar nicht nur, weil medizinische Entscheidungen einen großen Impact haben. Es geht auch um das, was man mit ansehen und erleben muss. Der Umgang mit schwierigen und sterbenden Patientinnen und Patienten, die Machtlosigkeit. Das muss man sich bewusst machen, bereits in der Ausbildung. Man muss das annehmen. Mein Eindruck ist, dass solche Aspekte im Studium mittlerweile zu wenig vermittelt werden.
Wie kann man mit einem Rückschlag umgehen, wenn sofort der nächste Termin ansteht?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Diese Situation ist immanent im ärztlichen Alltag. Junge Ärztinnen und Ärzte müssen lernen, dass hoher Zeitdruck mit vielen aufeinanderfolgenden Aufgaben ein Stück weit Normalität ist. Daher mein Rat: Es ist hilfreich, das „Umschalten“ zu trainieren, also den Rückschlag für den Moment abzuhaken und sich auf die nächste Herausforderung zu konzentrieren. Dennoch darf man das belastende Ereignis nicht verdrängen. Es sollte quasi in eine Schublade kommen, um zu einem späteren Zeitpunkt besprochen zu werden.
Welchen Rat können Sie Einsteigern geben?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Es ist wichtig, sich bereits zu Beginn jemanden zu suchen, zu dem man Vertrauen hat, einen Mentor oder eine Mentorin, mit dem oder der unter anderem auch solche Rückschläge besprochen werden können. Das mag ein erfahrener Assistent sein oder eine Oberärztin. Ich persönlich wurde als Berufsanfänger auch von unserer Stationsschwester sehr gut unterstützt. Zudem versuche ich, unseren jungen Kolleginnen und Kollegen näherzubringen, dass sie nicht das Leid der Welt tragen müssen.
Inwiefern?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Ich beobachte bei der jüngeren Ärztegeneration häufig, dass sie sich sehr große Sorgen um das große Ganze machen und oftmals verunsichert sind – doch das müssen sie gar nicht. Assistenzärzte und -ärztinnen sollten sich stets vergegenwärtigen, dass sie einerseits zwar eine gewisse Verantwortung haben in ihrem Tun, die Endverantwortung aber eben bei den Fach-, Ober- und Chefärztinnen und -ärzten liegt. Das kann entlasten.
Darf man sich denn keine Sorgen machen?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Doch, selbstverständlich. Aber auf der anderen Seite ist auch ein gewisser Abstand notwendig. Dass man sich nicht zu sehr vereinnahmen lässt durch den Berufsalltag, einzelne Schicksale und Ereignisse. Das klingt im ersten Moment vielleicht befremdlich, ist aber sehr wichtig. Wer zu wenig Distanz hat, zu sehr emotional involviert ist, kann auch keinen kühlen Kopf bewahren und keine rationalen Entscheidungen treffen. In der Facharzt-Weiterbildung für Psychiatrie und Psychotherapie ist das ein wichtiger Bestandteil. Supervision, Selbsterfahrung und Balintarbeit, all das gehört dazu. Da werden genau diese Aspekte vermittelt, wie: Warum nimmt mich die Geschichte dieses Patienten so mit? Wie lerne ich Abschalten? Hier haben andere Disziplinen meiner Ansicht nach noch Nachholbedarf. Selbstfürsorge sollte ebenso erlernt werden, vor allem im Arztberuf – auch im Flugzeug musst du dir im Notfall zuerst selbst die Sauerstoffmaske anlegen und dann dem anderen. Sonst erstickt man.
Kamen Sie auch schon an Ihre Grenzen?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Ich glaube, solche Erfahrungen machen alle Ärztinnen und Ärzte. Insbesondere, wenn Dinge nicht so gut laufen fragt man sich: Hättest du das besser machen können? Das gilt im Bereich Psychiatrie gerade beim Thema Suizidalität. Ich erläutere meinen jungen Kolleginnen und Kollegen immer wieder, dass ein Suizid eben kein Indikator dafür ist, dass wir schlechte Arbeit geleistet haben. Es gibt immer ein Restrisiko. Und doch glaube ich, dass auch Enttäuschungen und Niederlagen wichtig sind für die persönliche Entwicklung und Reifung im Arztberuf.
Welcher Fall hat Ihnen mal besonders zugesetzt?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Das war ein junger Student, den ich zu Beginn meiner Laufbahn behandelte. Er galt als schwer zugänglich, ich aber fand einen guten Kontakt. Wir führten viele Gespräche, er war gut eingestellt. Dann entließen wir ihn zum ersten Mal über das Wochenende nach Hause. Bei der Visite am Montag sah alles noch gut aus – und dann nahm er sich in der Nacht zu Mittwoch doch das Leben. Wenn man sich in einem Fall besonders engagiert hat, trifft einen eine solche Entwicklung besonders hart.
Was hilft im Alltag?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Da gibt es viele Möglichkeiten. Ärztinnen und Ärzte sollten sich immer wieder vor Augen führen, welche Erfolge sie in den letzten Tagen erzielt haben. Was ist gut gelaufen? Was hat gut geklappt? Hier sind auch die kleinen Dinge wichtig. So sollten auch in Teambesprechungen nicht nur die aktuellen Probleme und Herausforderungen, sondern auch Positives, Erfolge und gute Nachrichten zur Sprache kommen. Und da gibt es Vieles im klinischen Alltag. Ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit hier an der Klinik ist unter anderem die Behandlung therapieresistenter Depressionen. Und da sind wir natürlich stolz, wenn wir zum Beispiel einen schwierigen Patienten, der schon viele Therapieversuche hinter sich hat, gesund entlassen können. Das ist dann ebenfalls Gegenstand unserer Besprechungen – und motiviert das ganze Team.
Noch ein Rat zum Schluss?
Prof. Dr. Peter Zwanzger: Ich persönlich freue mich immer, wenn ich nach der Entlassung aus der Klinik von unseren Patientinnen und Patienten noch einmal höre. Ich sage dann beispielsweise: „Ich würde mich freuen, wenn Sie mir in ein paar Wochen schreiben, eine Karte, kurze E-Mail oder SMS.“ Und wenn wir dann lesen, dem geht's jetzt wieder gut, dann freuen wir uns.