Außertarifliche Verträge für Oberärzte: Welches Gehalt ist möglich?

23 April, 2020 - 07:29
Gerti Keller und Michael Fehrenschild
Ältere Ärzt mit verschränkten Armen
Das Gehalt ist bei außertariflichen Verträgen Verhandlungssache. Aber: Arbeitgeber erwarten dafür auch eine überdurchschnittliche Leistung.

Außertarifliche Verträge: Welches Gehalt kann man als Oberarzt fordern? Welche Vorteile sind sonst noch verhandelbar? Und was sollte ganz allgemein beachtet werden? Oliver Heitz, Experte mit langjähriger Erfahrung im Tarifwesen der Gesundheitsbranche, gibt Auskunft. 

Für Oberärzte ist ein außertariflicher Arbeitsvertrag (AT-Vertrag) längst keine Seltenheit mehr – und zwar bei allen Trägern. „In vielen Krankenhäuser wird mittlerweile jeder neue Oberarzt damit vom ersten Tag an ausgestattet“, erklärt Oliver Heitz, Partner bei Rochus Mummert Healthcare Consulting. Fürs Portemonnaie bedeutet das: Dadurch sind Vergütungen von 130.000 bis 150.000 Euro beziehungsweise 170.000 für leitende Oberärzte bereits „locker“ zu bekommen, verrät der ehemalige Personalchef der SRH Kliniken Heidelberg und der Universitätsmedizin Göttingen.

Gehaltsverhandlung: Besondere Fertigkeiten und Führungsqualität zahlen sich aus

Umsonst gibt’s das aber nicht. Denn mehr Lohn bedeutet auch, es muss mehr Leistung erbracht werden. Die Bandbreite, welche Leistung das genau ist, ist allerdings weitgefächert. Das kann eine besondere Fertigkeit sein oder Führungsqualität. „Die Palette reicht von Spezialwissen, das jemand mitbringt über die Fähigkeit zu konzeptioneller Projektarbeit bis zur Übernahme einer Bereichsleitung oder der Verantwortung für ein MVZ“, erläutert Heitz.

Darüber hinaus existieren weitere „Gehaltsausreißer“ nach oben. So gehen die Vergütungen bei ganz ausgewählten Fachbereichen schon mal bis an die 200.000 Euro. Dabei stehen Spezialisierungen, wie Neuroradiologie, interventionelle Kardiologie in der Elektrophysiologie oder Wirbelsäulenchirurgie derzeit besonders hoch im Kurs. Das Ende der Fahnenstange sind Gesamtvergütungen von bis zu 230.000 Euro. „Die setzen sich dann aus Zielvereinbarungen, Gutachten, Boni, Poolbeteiligungen und Nebentätigkeiten zusammen,“, sagt Heitz und ergänzt: „Gerade Letzteres kann sich dermaßen auszahlen, wenn beispielsweise ein Oberarzt in einem Brustzentrum zusätzlich ambulant arbeitet und damit sein Gehalt fast verdoppelt.“

Auch Fortbildungen sind verhandelbar

Neben höherer Vergütung kann in einem AT-Vertrag aber noch wesentlich mehr „rausgeholt“ werden. Dazu zählt ein Plus an Urlaubstagen sowie jede Menge anderer Benefits: So ist es möglich, Fortbildungsbudgets zu vereinbaren, über die man selbst verfügen darf. Eine andere Option: zwei Tage Training pro Monat an anderen Standorten, um dort bestimmte OP-Techniken zu erlernen. Weitere Möglichkeiten sind die Erlaubnis zur Kooperation mit Industriepartnern, KV-Ermächtigungen oder sogar ein MBA-Studium, um nur einige zu nennen.

Aber das alles zu verhandeln, ist natürlich aufwendiger, als nur einen Tarifvertrag zu unterschreiben. Zumal der auch Vorteile hat. So sieht dieser eine automatische Gehaltssteigerung vor, ein AT-Vertrag dagegen im Allgemeinen nicht. „Also ist zu überlegen: Sollte ich eine Tarifbindung mitaufnehmen oder will ich Steigerungen immer wieder neu verhandeln? Meine Empfehlung an jeden Oberarzt ist: Sprechen Sie das Thema auf jeden Fall an, sobald sich das Aufgabenspektrum maßgeblich ändert und dadurch mehr Verantwortung und Aufwand drinsteckt“, so Heitz. Ein weiterer Pluspunkt des „normalen“ Tarifvertrags: Ist eine Eingruppierung erst erreicht, behält man sie auch. Bei einem AT-Vertrag lässt sich diese aber befristen. Dort kann zum Beispiel abgemacht werden, dass ein Oberarzt die Palliativmedizin aufbaut, sie nach einem Jahr wieder abgibt, worauf sich sein Gehalt reduziert – es ist aber auch möglich, dafür dann als Ausgleich beispielsweise drei Monate Sabbatical zu bekommen. „Solche außertariflichen Regelungen können wirklich höchst individuell gestaltet werden, je nachdem, welche Interessen vom Haus und vom Oberarzt zusammentreffen“, betont Heitz.

Keine Angst vor Haustürgeschäften

Fallstricke lauern dabei aber in der Regel nicht mehr. Denn hier hat sich die Rechtsprechung zugunsten der Mediziner in den letzten zehn Jahren verändert. Wer zum Beispiel in einem außertariflichen Vertrag etwas pauschaliert, muss genau bestimmen, wofür. Heitz: „Jemanden zu übervorteilen, das funktioniert heute nicht mehr. Sprich: Wenn Sie 20.000 Euro für Überstunden bekommen, muss genau definiert sein, wie viele damit abgegolten sind. Alles, was darüber liegt, ist zusätzlich zu bezahlen.“ Auch Verklausulierungen, die man nicht versteht und trotzdem unterschreibt, kommen so gut wie nicht mehr vor.

Denn, so der Diplomkaufmann, die Vertragsverhandlungen seien keine „Haustürgeschäfte“ mehr, im Gegensatz zu früher, wo es schon mal hieß: Sie müssen jetzt sofort unterzeichnen. Heute ist es üblich, den Vertrag arbeitsrechtlich prüfen zu lassen: zum Beispiel vom Marburger Bund oder der juristischen Abteilung einer Fachgesellschaft. Ein Prozedere, das auch jeder Personaler inzwischen erwartet, und das heute aus anderen Gründen sinnvoll ist. Denn es kann durchaus passieren, dass Formulierungen nicht das abdecken, was besprochen wurde. Im Gegensatz zum Tarifvertrag, an dem Heerscharen von Juristen beteiligt waren, ist es schon eine gewisse Herausforderung, individuelle Absprachen in justiziable Form zu bringen.

Ist ein Wechsel aus dem Tarifmodell heraus möglich?

Können auch Oberärzte, die schon länger nach Tarif arbeiten, das Modell wechseln? In der Praxis wird das unterschiedlich gehandhabt. Manche Arbeitgeber sehen einen Tarifvertrag mit drei Stufen vor, auf denen man auch „hängen“ bleiben kann. Bei anderen bekommt man ab der sechsten Stufe automatisch eine außertarifliche Regelung. Als Faustregel in der Branche gilt generell: Nach zwei bis drei Jahren weiß ein Arbeitgeber, ob jemand ein Leistungsträger mit Potenzial ist und wird ihn fördern. Eine Gehaltsteigerung beim selben Träger ist in der Regel trotzdem immer langwieriger und begrenzter. „Wer es schafft, vom Assistenzarzt zum Chefarzt im gleichen Haus aufzusteigen, wird deutlich weniger verdienen als marktüblich. Wenn ich bewusst mein Gehalt steigern möchte, komme ich häufig an einem Arbeitgeberwechsel nicht herum“, weiß Heitz. Wobei das zumeist auch eine Know-how-Erweiterung sowie eine Persönlichkeitsentwicklung mit sich bringt.

AT-Vertrag: Leistung oder Komfortzone?

Aber aufgepasst: Ein außertariflicher Vertrag ist nicht für jeden geeignet. Das hängt von der Persönlichkeit ab. „Voraussetzung ist einfach überdurchschnittliches Engagement. Man sollte sehr genau hingucken, für was man mit einem AT-Vertrag mehr Geld bekommt. Wenn ich überzeugt bin, das traue ich mir zu, ich werde alle Leistungen erbringen und bin deswegen meinen Preis zu 100 Prozent wert, dann sollte diese Chance auf jeden Fall genutzt werden“, sagt der Fachmann. Wer dagegen einen 9-to-5-Job möchte, dem rät er: „Lassen Sie besser die Finger davon, sonst werden Sie nicht glücklich.“

Dabei gibt er allen Karrierehungrigen noch einen wohlmeinenden Extratipp mit auf den Weg: „Übertreiben Sie es aber nicht. Wenn jemand alle zwei Jahre wechselt und jedes Mal sein Gehalt um 20 bis 30 Prozent steigert, bekommt das etwas von zu ausgeprägter Geldgier.“ Die interessanten Kandidaten für Arbeitgeber seien die, die sagen: Ich will etwas bewirken, bringe mich hochengagiert ein und wenn das dann angemessen vergütet wird, freue ich mich. Und wenn ich fortlaufend respektvoll gefördert werde, steht einer langfristigen Zusammenarbeit erst einmal nichts im Weg.

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Der Experte:

Oliver Heitz ist seit 2010 bei Rochus Mummert Healthcare Consulting, seit sechs Jahren als Partner. Zuvor war er 15 Jahre für konfessionelle, kommunale und private Krankenhausträger als Personalleiter und Controller tätig.

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