In immer mehr Fachgebieten bleiben Oberarztpositionen länger als ein Jahr vakant, bevor sie besetzt werden. Besonders dünn ist die Bewerberdecke in der Gastroenterologie.
Welche Chancen haben Krankenhäuser, eine Oberarztposition mit einem nachrückenden Facharzt oder einer nachrückenden Fachärztin von außen zu besetzen? Und in welchen Fachgebieten ist die Nachwuchssituation auf Ebene der Oberärztinnen und Oberärzte besonders angespannt? Antworten auf diese Fragen gibt der von der Personalberatung mainmedico erstellte Oberarztindex (siehe Grafik).
Oberarztindex 2018: Fachgebiete mit besonders wenigen Bewerbern
Der Oberarztindex setzt die Zahl der im Deutschen Ärzteblatt von Krankenhäusern ausgeschriebenen Oberarztpositionen ins Verhältnis zur Zahl der im jeweiligen Fachgebiet unterhalb der Oberarztebene tätigen Fachärztinnen und Fachärzte. Jedes Fachgebiet erhält so einen spezifischen Indexwert. Dieser gibt an, wie viele Fachärzte rein rechnerisch auf eine Oberarztausschreibung entfallen. Je niedriger der Wert, desto geringer ist für Fachärztinnen und Fachärzte die Zahl potenzieller Mitbewerber, das heißt, desto weniger Bewerbungen werden aller Voraussicht nach auf eine Stellenausschreibung eingehen. 2018 betrug der Durchschnittsindex aller Fachgebiete 26,9. Basis für die Auswertung waren 1.510 Oberarztausschreibungen.
Gastroenterologie auf Platz 1
Wie schon im Vorjahr belegt die Gastroenterologie im Oberarztindex den Spitzenplatz, dicht gefolgt von der Pneumologie und der Gefäßchirurgie. Unter den Top Ten, deren Indexwerte deutlich unter dem Durchschnitt liegen, befinden sich insgesamt acht Teilgebiete der Inneren Medizin und der Chirurgie. Oberarztpositionen sind in diesen Teilgebieten besonders schwer zu besetzen, mit teils weitreichenden Konsequenzen für die Krankenhäuser: Die einen können das Leistungsspektrum der Abteilungen nicht wie geplant ausbauen, bei anderen gerät die Etablierung neuer Abteilungen ins Stocken. Spürbar wird, dass die Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses nicht mit der Dynamik der fachlichen Spezialisierung in den Krankenhäusern Schritt hält.
Sicher wird es auch in den Fachgebieten, die einen einstelligen Indexwert aufweisen, immer noch Oberarztausschreibungen geben, auf die sich mehrere nachgeordnete Fachärzte bewerben. Dies dürfte in erster Linie auf Krankenhäuser der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung sowie Häuser in städtischen Regionen zutreffen, die von ihren Standortvorteilen profitieren. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich tatsächlich niemand aus dieser Zielgruppe bewirbt.
Zahl der Oberärzte enorm gestiegen
Doch was sind die Ursachen für die oftmals spärliche Resonanz auf Oberarztausschreibungen? Stehen generell zu wenig potenzielle Bewerber zur Verfügung, oder sind die Oberarztpositionen nicht attraktiv genug? Ein Blick in die Ärztestatistik des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass sich die Nachwuchssituation in den vergangenen Jahren grundlegend verändert hat: Demnach ist die Zahl der Oberärzte zwischen 2007 und 2017 um 61 Prozent gestiegen, doppelt so stark wie die der nachgeordneten Fachärzte. Waren 2007 noch mehr Fach- als Oberärzte in den Krankenhäusern beschäftigt, ist es inzwischen umgekehrt.
Als Konsequenz stehen heute einer Oberarztposition deutlich weniger Fachärzte als potenzielle Bewerber gegenüber als noch vor zehn Jahren. Besonders unausgewogen ist die Situation in der Gefäßchirurgie: Dort kommt inzwischen nur noch ein Facharzt auf drei Oberärzte. In den Fachgebieten Pneumologie und Kardiologie ist das Verhältnis immerhin noch 1:2. Hauptursache der enormen Ausweitung der zweiten Führungsebene liegt sicherlich in der fortschreitenden Ausdifferenzierung des medizinischen Leistungsspektrums in den Krankenhäusern. Damit ist auch der Bedarf an Spezialisten gestiegen, und dadurch haben die Kliniken wiederum in großem Umfang zusätzliche Oberarztpositionen geschaffen.
Doch der Kreis potenzieller Bewerber hat sich nicht allein aus statistischen Gründen verringert. Auch der Anteil der Fachärztinnen und Fachärzte, die sich überhaupt für eine klinische Karriere entscheiden, wird immer kleiner, was nicht zuletzt mit veränderten Vorstellungen von Work-Life-Balance und dem Phänomen der Feminisierung der Medizin zu tun hat.
Ökonomischer Druck und Personalmangel
Die potenziellen Oberarztkandidaten bekommen hautnah mit, wie der klinische Alltag den Führungskräften zunehmend das Leben schwer macht: Ökonomischer Druck und Personalmangel führen in den Abteilungen zu einer immer stärkeren Leistungsverdichtung, die gerade den Oberärztinnen und Oberärzten einen regelrechten Spagat abverlangt: Einerseits sollen sie zunehmend mehr Führungsaufgaben übernehmen, andererseits aber auch in die Bresche springen, wenn es personelle Engpässe auf der Fach- oder Assistenzarztebene gibt.
Sie sind als Führungskräfte gefordert, erhalten oftmals aber kaum die Möglichkeit, langsam in diese Rolle hineinzuwachsen und sich Schritt für Schritt dafür zu qualifizieren. Die nachrückenden Ärztinnen und Ärzte motiviert dies nicht unbedingt, sich für einen solchen Karriereschritt zu entscheiden.
Weiterbildungsanstrengungen forcieren
Die Zahlen des Oberarztindex belegen eindrucksvoll, dass die Krankenhäuser in einer Reihe von Fachgebieten kaum eine Chance haben, eine Oberarztposition mit einem nachrückenden Facharzt oder einer nachrückenden Fachärztin von außen zu besetzen. In dieser Situation bleibt den Häusern kaum etwas anderes übrig, als das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und selbst Fachärzte weiterzubilden. Eindeutig im Nachteil sind natürlich jene Krankenhäuser, die in einem Fachgebiet nicht über die volle Weiterbildungsbefugnis verfügen, also in erster Linie Häuser der Grund- und Regelversorgung. Für diese wird es entscheidend darauf ankommen, Weiterbildungsverbünde mit Maximal- oder Schwerpunktversorgern zu etablieren.
Ob es gelingt, die Ärztinnen und Ärzte nach abgeschlossener Weiterbildung dann tatsächlich im Haus zu halten, wird nicht zuletzt von den Perspektiven abhängen, die die Klinik ihnen vor Ort bieten kann. Dies betrifft nicht nur die weitere fachliche Qualifizierung, sondern auch die Entwicklung zur Führungskraft. Aber selbst wenn die Krankenhäuser aus ureigenstem Interesse ihre Weiterbildungsanstrengungen enorm verstärken: Wo sollen die dafür benötigten zusätzlichen Ärztinnen und Ärzte herkommen? Unerlässlich scheint, die Zahl der Medizinstudienplätze aufzustocken. Und die Zeit drängt, denn vom Studienbeginn bis zur Oberarztreife vergehen weit mehr als zehn Jahre.
Dtsch Arztebl 2019; 116(31-32): [2]
Der Autor:
Dr. Wolfgang Martin
mainmedico GmbH
consulting & coaching
60322 Frankfurt am Main