Klinik, Praxis oder was ganz anderes? Entscheidungs-Hilfen für Ärztinnen und Ärzte

30 Juni, 2022 - 08:11
Gerti Keller
Junge Ärztin denkt nach

Will ich mich auf eine Klinikkarriere einlassen oder doch lieber die eigene Praxis aufmachen? Oder sollte ich vielleicht noch mal die Fachrichtung wechseln? Carolin von Cube unterstützt Ärztinnen und Ärzte bei Problemen mit der Entscheidungsfindung. Wie? Indem der „Innere Kompass“ reaktiviert wird und erneut den Kurs bestimmt.

Haben Medizinerinnen und Mediziner manchmal Probleme, die richtigen Weichen in ihrer Laufbahn zu stellen? Sie sind doch so gut sortiert…

Carolin von Cube: Sogar oft! Dieses berufliche Umfeld ist geradezu prädestiniert für Sinnkrisen. Das beginnt schon früh. Wenn junge Ärztinnen und Ärzte sich nach so langem Studium mit hohem Leistungsanspruch auf einmal in einer Klinik wiederfinden, werden sie, vor allem durch die Arbeitsbedingungen, mit enormem Druck konfrontiert. Das bringt es aber mit sich, dass auch die Entscheidungsfindung durch äußere Umstände stark beeinflusst wird. Dabei sollten wichtige Fragen wie „wohin soll mich mein weiterer Weg führen“ nach dem eigenen inneren Anspruch beantwortet werden. Hier geht es eigentlich um: Was sind meine Talente? Was mache ich gern? Und womit will ich meine Lebenszeit verbringen? Die Verbindung zu diesen Themen aus den Augen zu verlieren kann, langfristig zu Konflikten führen.

Betrifft das auch ältere, erfahrene Ärzte?

Carolin von Cube: Natürlich! Der Druck lässt ja nicht nach. Im Verlauf kommen dann Prestige- und Konkurrenzthemen oder finanzielle Ansprüche, die vielleicht auch aus dem Umfeld geschürt werden, hinzu. Lange und unregelmäßige Schichten mit wenig Ruhepausen erlauben es zudem kaum, eine gesunde Routine zu entwickeln. Da kann ein Klinikarzt froh sein, wenn er noch ein Familien- und Sozialleben sowie ein bisschen Sport untergebracht bekommt. Im Gegensatz zu vielen Nine-to-Five-Jobs, in denen man den Start in den Tag mit einem gemütlichen Tee zelebrieren kann.

Um welche konkreten Entscheidungen ringen Ärztinnen und Ärzte in Ihren Coachings?

Carolin von Cube: Der Klassiker ist: Wo soll die Reise hingehen? Will ich Oberärztin werden oder doch lieber die eigene Praxis aufmachen? Andere überlegen, ob sie nach Jahren noch die Fachrichtung wechseln sollten. „Surft“ man da ein wenig in die Tiefe, tauchen dahinter oft ganz andere Fragen auf: Warum habe ich mich eigentlich für die Medizin entschieden? Was ist meine Aufgabe auf diesem Planeten? Wie finde ich Erfüllung?

Geht es also manchmal gar nicht um den Karriereschritt nach oben?

Carolin von Cube: Oft nur vordergründig. Immer, wenn man beginnt, an inneren Themen zu arbeiten, melden sich plötzlich Ängste, manifestierte Muster und alte Glaubenssätze. Dabei zeigt sich auch, dass wir Menschen aus ganz verschiedenen Anteilen bestehen. Es lohnt sich da genau hinzuschauen: Welcher Anteil wird besonders laut und welcher braucht vielleicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit?

Wie kann man sich Ihre Sessions vorstellen?

Carolin von Cube: So individuell wie die Menschen. Der Einstieg hängt davon ab, wie mein Gegenüber „funktioniert“. Da braucht zum Beispiel ein gestandener Herzchirurg einfach mal Raum, um seinen Ballast an einem sicheren Ort abzuladen. Danach schauen wir gemeinsam auf Berufs- und Privatleben, um den Status Quo genau zu verstehen. Dann besprechen wir die Möglichkeiten, wie der weitere Weg aussehen kann. Ein anderer muss zunächst ein bisschen zur Ruhe kommen, etwa durch eine Atemübung. Es kommt immer drauf an, wie dieser Mensch strukturiert ist und in welcher Verfassung er sich gerade befindet. Anschließend schleichen wir mit Fragen in kleinen Kreisen immer ein bisschen dichter ans Thema heran. Und dann wird es meist ziemlich interessant.

Inwiefern?

Carolin von Cube: Gerade bei Ärztinnen und Ärzten hat man es häufig mit analytisch starken Menschen zu tun. Sie denken, sie wüssten sehr genau, warum sie etwas tun. Doch es gibt diverse Methoden, um auch sie raus aus dem Kopf und rein ins Fühlen zu bekommen. Und dann nimmt so ein Entscheidungsprozess ganz neue Dynamiken und Wendungen an. Es ist wirklich spannend zu sehen, wie sehr sich dann auch der Gesichtsausdruck und die Körperhaltung ändern, wenn die Maske fällt.

Was passiert dann?

Carolin von Cube: Im systemischen Coaching wühlen wir nicht in den dunkelsten Ecken der Vergangenheit. Der Blick ist immer nach vorne gerichtet. Wir gehen auch davon aus, dass die Lösung im Coachee liegt. Als Coach stärke ich die Ressourcen meines Gegenübers. Ich nehme ihn auf der Suche nach den eigenen Stärken und Fähigkeiten an die Hand, um zusammen zu schauen: Wo könnte es lang gehen? Wo ist die Freude? Dazu arbeite ich gern mit Best-Case-Szenarios. Heißt: Wie sieht die ideale Szenerie aus, in der dieser Mensch leben und arbeiten möchte? Und das malen wir dann in den buntesten Farben und kreativsten Ausführungen aus, um anschließend zu schauen, wie das Stück für Stück realisiert werden könnte. Für all das muss man Klarheit über das eigene Wertesystem haben. Das ist der Königsweg.

Können Sie „diese Reise“ anhand einiger konkreter Beispiele beschrieben?

Carolin von Cube: Kürzlich begleitete ich eine Ärztin, die sich zwischen dem Eintritt in eine Gemeinschaftspraxis, einer Oberarztstelle oder dem bisherigen Klinik-Einsatz entscheiden sollte. Das hatte sie bereits in allen Facetten beleuchtet, sich mit Mentoren und Freundinnen in vielen Runden dazu im Kreis gedreht, doch ihr Fragezeichen wurde nur immer größer. Indem wir bei einer Aufstellung ihr ganzes System, inklusive Herkunftsfamilie und Partnerschaft, beleuchteten, fanden wir heraus, worum es ihr wirklich ging. Sie rannte einem alten Idealbild hinterher, das gar nicht ihrem inneren Wunsch entsprach. Am Ende wurde sie Teil einer Praxisgemeinschaft. Ein anderer Arzt litt während seiner Facharztausbildung unter ungerechten Chefarzt-Entscheidungen und „Klüngeleien“, was über die Jahre immer mehr Fahrt aufnahm. Da wurden Versprechen nicht eingehalten und Konkurrenzsituationen unter den Facharztanwärtern angeheizt. In diesem Fall war das vordergründige Ziel, ihn erst einmal aufzubauen, damit er neue Zuversicht und Kraft schöpfen konnte. Das Ergebnis war ein Neustart in einer anderen Klinik, die sich regelrecht um ihn riss. Das reaktivierte seine Freude und er konnte die negativen Erlebnisse loslassen.

Noch ein Beispiel?

Carolin von Cube: Eine junge Ärztin, die vor der Geburt ihres ersten Kindes als Leistungsträgerin ziemlich gepuscht wurde, fühlte sich nach der Elternzeit abgesägt und aufs Abstellgleis geschoben. Sie bekam keine OPs mehr, die sie weiter qualifizierten, und wurde für Schichten eingeplant, die mit einem kleinen Kind unmöglich waren. Recht schnell hatte sie das Gefühl, gegen Windmühlen ankämpfen zu müssen, um beiden Welten gerecht zu werden. Dadurch wurde sie immer unglücklicher, zumal für sie selbst überhaupt kein Raum mehr blieb. Nach dem Aufbau ihres Selbstbewusstseins, der Entwicklung eines Settings, wie ihr optimales Arbeitsumfeld als ambitionierte Ärztin und liebevolle Mutter aussehen kann, ist sie heute sehr glücklich in einer anderen Klinik und bekommt beides gut unter einen Hut.

Inwieweit kann man selbst etwas ändern?

Carolin von Cube: Wer es schafft, kleine Inseln im Alltag einzuräumen, dem ist schon viel geholfen – und zwar für eine Innenschau, bei der man aktiv die Verbindung zu sich selbst aufnimmt. Am besten jeden Tag für ein paar Minuten. Bei der Wahl der Methoden können Sie schauen, was zu Ihnen passt. Hilfreich ist zum Beispiel Journaling. Im Gegensatz zum Tagebuch beantworten Sie hierbei von Ihnen zuvor definierte Fragen. Das hilft, das aktuelle Leben bewusster zu reflektieren. 

Ist keine Entscheidung auch eine?

Carolin von Cube: Eine ziemlich deutliche sogar. Manchmal lautet die beste Frage: Was wäre, wenn alles so bliebe? Wovor würde mich das im Moment schützen? Es kommt vor, dass sich genau an dieser Stelle ein Schlüssel-Thema befindet, mit dem wir gut weiterarbeiten können. Die Lösung ist aber oft genug ein guter Kompromiss. Wir schauen, wo ist ein Weg, der sich leichter anfühlt? Es kann auch sein, dass ein Klient auf ganz neue Ideen kommt, vielleicht für eine besondere Weiterbildung oder ein ehrenamtliches Engagement.

Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern noch mitgeben?

Carolin von Cube: Ärztinnen und Ärzte sind durch ihre Arbeit von früh bis spät damit konfrontiert, dass es viele Menschen gibt, denen es noch schlechter geht. Das lädt sie quasi dazu ein, die eigenen Themen klein zu machen und noch weniger hinzuschauen. Viele stecken ihren „Kram“ deshalb in eine kleine Kiste und verbannen sie in die zweite Reihe. Aber auch in einem medizinischen Beruf sollte man nicht nur für alle anderen sorgen, sondern ebenso für sich selbst. Und wenn man regelmäßig darauf achtet, ob das, was man gerade tut, für sich noch stimmig ist, dann sind auch große Entscheidungen kein so riesiges Ding mehr.

Toolbox

Mit folgenden (Selbst-)Coaching-Fragen können Sie Entscheidungen einfacher und vor allen Dingen „für sich selbst" treffen:

  • Vorab: Sind Sie ganz bei sich und können Meinungen, Strukturen, Tipps, Prestige-Themen von außen für Ihre Entscheidung ausblenden? Nein? Dann nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit für ein kurzes Body-Screening. Suchen Sie sich eine gemütliche Position (sitzend oder stehend) und erden die Füße. Gehen Sie nun gedanklich – angefangen von den Füßen durch die Beine – jeden einzelnen Körperteil durch, fühlen ihn, während Sie tief atmen. Machen Sie sich Ihren Körper und Ihr Sein richtig bewusst, spüren die Auflage zum Fußboden (oder einer Sitzgelegenheit) und verbinden sich tief mit sich selbst.
     
  • Danach stellen Sie sich folgende Fragen:
     
    • Was muss meine Wunsch-Position strukturell und inhaltlich auf jeden Fall erfüllen?
    • Welches Gefühl stellt sich ein, wenn ich an eine konkrete Option A oder Option B denken? Spüre ich einen Impuls?
    • In welchen potenziellen Positionen spüre ich Freude oder Euphorie, wenn ich mich in das entsprechende Setup rein fühle?
    • Was wäre das Beste, was durch die Entscheidung geschehen könnte?
    • Was würde passieren, wenn ich nichts tue?

Die Expertin

Carolin von Cube

Carolin von Cube arbeitete nach ihrem Kommunikationsstudium zwölf Jahre lang in großen PR- und Kommunikationsagenturen. Dann setzte sie für ihr Herzensthema alles auf eine Karte. Nach Aus- und Weiterbildungen im Systemischen Coaching und Energiearbeit eröffnete sie ihre Praxis in Hamburg. Dort bietet sie individuelle 1:1 Coaching-Begleitung an, persönlich sowie virtuell, und begleitet Gruppen-Coaching-Prozesse in Onlinekursen. Weitere Infos: www.carovoncube.com.  

Bild: © Urte Sturm Photography

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