Alltägliche Entscheidungen werden emotional getroffen
Wir Ärztinnen und Ärzte sind für unseren analytischen Verstand bekannt. Wir sind darauf trainiert, dass wir unsere Therapie-Entscheidungen nach den Leitlinien gestalten, hausinterne Standards beachten, aktuelle Studien zugrunde legen und jeweils Nutzen und Risiko für den Patienten oder die Patientin abwägen. Da ist es nur selbstverständlich, dass wir an andere – vor allem schwere – Entscheidungen genauso herangehen wollen.
Die alltäglichen Entscheidungen treffen wir jedoch emotional beeinflusst (Lerner et al. Annu Rev Psychol 2015). Hier spielen unsere Gefühle wie Angst, Lust, Wut, Freude etc., aber auch die Umstände eine Rolle. Allerdings neigen wir dann gern dazu, im Nachhinein die Entscheidung rational erklären zu wollen (sekundäre Rationalisierung). Es ist nicht nur wichtig, dieses Prinzip bei uns selbst zu erkennen, sondern es ist auch sinnvoll, wenn wir Entscheidungen anderer nicht nachvollziehen können – vor allem dann, wenn für uns die Fakten nicht sehr überzeugend klingen. Warum möchte z.B. ein Patient nicht operiert werden? Oft gelingt es nicht, mit Daten und Fakten zu überzeugen, wenn der wahre Grund ganz tief in der Angst begründet liegt. Hier braucht es Empathie, um seine Bedenken auszuräumen.
Tipp
Die emotionalen Gründe bei Entscheidungen zu hinterfragen und vor allem zu verstehen, kann auch bei der Diskussion von Entscheidungen mit anderen (Patientin/Patient, Kollegin/Kollege, Chefärztin/Chefarzt, Freundin/Freund etc.) helfen, nämlich genau dann, wenn das Widerlegen der Fakten nichts zu bringen scheint.
Diese Fragen können helfen, schwere Entscheidungen zu treffen
Es gibt auch immer wieder schwere Entscheidungen zu treffen z.B., ob man den Arbeitsplatz oder sogar das Fach wechseln möchte. Um leichter Entscheidungen treffen zu können, gibt es ein paar Tipps aus der Trickkiste von Führungsexperten.
Toolbox Führung
Mit folgenden (Selbst-)Coaching-Fragen kann an schwere Entscheidungen herangegangen werden:
- Was hält Sie zurück, eine Entscheidung leicht zu treffen?
- Was befürchten Sie konkret?
- Was ist das Schlimmste, was bei einer Entscheidung passieren könnte?
- Was würde passieren, wenn Sie nichts tun?
nach Peter Brandl
Diese Coaching-Fragen des Entscheidungs-Experten Peter Brandl lassen sich sehr gut anwenden, wenn man vor einer schweren Entscheidung steht. Außerdem ist die Methode auch sehr hilfreich bei der Ausbildung von Assistenzärztinnen und -ärzten. Gibt die erfahrene Kolleginnen oder der Kollege nicht gleich die Lösung vor, sondern führt durch die Fragen, so kann die junge Kollegin oder der Kollege lernen, wie man im Klinikalltag leichter Entscheidungen trifft.
Beispiel aus der Praxis
Eine Assistenzärztin möchte im 6. Jahr der Weiterbildung aus der Neurochirurgie einer Uniklinik eigentlich schon seit Jahren in die Anästhesie wechseln. Sie stellt sich selbst die Coaching-Fragen:
- Was hat sie die ganze Zeit von dieser Entscheidung abgehalten? Sie hat schon viel Zeit und Anstrengung in die Weiterbildung investiert. Ihr fehlen auch gar nicht mehr viele Operationen. Es wäre doch vernünftig, erst den Facharzt zu machen und dann weiter zu überlegen.
- Was aber befürchtet sie konkret? Sie befürchtet die Kommentare der anderen, wo sie doch schon so weit gekommen ist. Und was, wenn sie eine falsche Entscheidung getroffen hat?
- Was ist denn das Schlimmste, was ihr passieren kann? Im Grunde ist das Schlimmste, dass es ihr gar nicht gefällt in der Anästhesie. Dann müsste sie sich nochmal überlegen, ob eine andere Fachrichtung besser wäre. Was sie aber weiß ist, dass sie nicht in der Neurochirurgie ihr Leben lang arbeiten möchte.
- Denn was passiert, wenn sie nichts tut? Dann wird sie vermutlich ausbrennen. Sie ist gestresst, ihre Partnerschaft leidet schon sehr und sie empfindet kaum noch Freude.
Die fortgeschrittene Assistenzärztin erkennt, dass es keine Option ist, gar nichts zu tun. Und deshalb entscheidet sie sich, den Wechsel in die Anästhesie in die Hand zu nehmen.
Tatsächlich waren die Stimmen von außen leiser als sie dachte. Mittlerweile ist sie Fachärztin der Anästhesie, Intensiv- und Notallmedizin und leitet als Oberärztin eine Intensivstation in einem kommunalen Krankenhaus. Und das Wichtigste ist, sie ist sehr zufrieden, diese Entscheidung getroffen zu haben.
Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung
Es ist eine ganz wichtige Erkenntnis, dass keine Entscheidung zu treffen, jeweils auch immer eine Entscheidung ist. Allerdings hat man dann das Ergebnis nicht mehr selbst in der Hand, sondern gibt die Führung ab. Man wird zum Opfer der Umstände.
Merke
Es ist immer besser, selbst eine Entscheidung zu treffen. In diesem Fall sehen wir die Auswirkungen. Das Gute ist, wir können diese dann auch gegebenenfalls korrigieren.
Um gleich mit einem Mythos aufzuräumen, dass eine getroffene Entscheidung endgültig ist: Wir haben immer die Möglichkeit, unsere Entscheidungen zu korrigieren bzw. neue Entscheidungen zu treffen. Ein wichtiger Punkt in der ärztlichen (Selbst-)Führung ist es, sich Fehler einzugestehen, auch Fehler durch eine getroffene Entscheidung. Solange die Fehler nicht Patientinnen und Patienten gefährden, können sie auch ein Geschenk für die Entwicklung des Teams oder auch für Sie persönlich sein. Dazu aber mehr, wenn es demnächst um das Thema Fehlerkultur im Krankenhaus geht. Viel Freude und Gelassenheit beim Entscheidungen treffen!
Die Autorin:
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.
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Mehr Infos unter www.leaders-academy.com.