Kündigen oder nicht? Wann ist Zeit zu gehen?

8 Februar, 2021 - 07:45
Gerti Keller
Silke Wüstholz
Silke Wüstholz coacht Ärzte und Pflegepersonal.

Ihre Meinung wird nie gehört, die anderen ziehen bei Beförderungen an Ihnen vorbei oder der Druck ist einfach zu hoch? Gründe, das Handtuch zu werfen, gibt es viele. Doch wann ist es wirklich die richtige Entscheidung? Ärzte-Coach Silke Wüstholz gibt praktische Tipps, um das herauszufinden.

Ärger mit dem Chef, den ungeliebten Kollegen und überhaupt… manchmal denkt man „nur raus hier“ und würde am liebsten sofort die Flinte ins Korn werfen. Klar, kündigen geht ganz einfach. Der Brief ist schnell geschrieben. Aber ist das immer klug? Spontan sicherlich nicht. Schlechte Tage gibt es überall und eine so weitreichende Handlung will – auch bei bester Arbeitsmarktsituation – wohl überlegt sein.

„Abgesehen vom ‚normalem‘ Alltagsfrust gibt es, meiner Erfahrung nach, einen entscheidenden Hauptaspekt für einen Arbeitsplatzwechsel. Und das ist die Frage: Kann ich in meinem derzeitigen Job meine inneren Werte leben oder muss ich ständig dagegen arbeiten?“, sagt Silke Wüstholz, Coachin für Ärzte und Pflegepersonal. Und in diesen „inneren Werten“ steckt ziemlich viel drin: keine oder zu wenig Zeit für die Patienten, schlechte interdisziplinäre Beziehungen, unverständliche Entscheidungen im Management und immer öfter mangelnde Work-Life-Balance. „Denn auch in punkto Arbeitszeiten geht es darum, ob mir dafür so viel Lebenszeit nicht zu schade ist. Vielleicht möchte ich mehr Zeit für meine Familie oder mein Hobby haben?“, fügt Wüstholz an. Schließlich verbringt schon der Durchschnittsdeutsche ein gutes Drittel seines Lebens im Beruf – ein Arzt oft mehr. Und wie zufrieden man damit ist, strahlt weit ins Privatleben hinein und prägt sogar die eigene Identität.

Die Bestandsaufnahme: Wo stehe ich?

Als erstes empfiehlt sich eine Standortbestimmung: Wo stehe ich? Was ist mir wichtig? Was fehlt mir? „Eine gute Methode ist, jeden Tag oder wenigstens jeden zweiten kurz aufzuschreiben, was mir heute gut gefallen hat und was nicht so gut lief“, rät die Expertin. Das hilft, die Gedanken zu sortieren, Gedankenschleifen zu vermeiden und ergibt direkt eine klarere Sicht.

Der nächste Schritt ist ein baldiges Vorsprechen beim Chef. Denn im besten Fall kann der Ärger sofort ausgeräumt werden. „Manchmal sind es nur Missverständnisse, dass etwas nicht gut kommuniziert wurde“, so Wüstholz und hat einen ganz praktischen Tipp parat: „Nehmen Sie eine konkrete Idee mit ins Gespräch, was die Führungskraft tun könnte, um Ihr Anliegen zu verbessern.“ Bei dieser Gelegenheit sieht man dann auch, ob der Vorgesetzte generell Verständnis für die Nöte seiner Mitarbeiter aufbringt oder alles wegbügelt – dann wird man auch künftig wenig erreichen. Wer die Stelle erst vor kurzem angetreten hat, kann auch an das Einstellungsgespräch erinnern und sagen: „Ich hatte den Eindruck, dass mir das hier ermöglicht wird…“.

Zudem sollte man gleich bei diesem Termin fragen: „Sind Sie damit einverstanden, wenn ich Sie in zwei Monaten noch einmal darauf anspreche?“ Dann ist der Weg dafür bereits geebnet und man hat sich auch selbst dazu verpflichtet. Bis dahin ist dann allerdings etwas Geduld angebracht, denn: „Viele Menschen denken, ich hab‘ das doch jetzt gesagt und da muss doch auch was passieren. Aber man darf nicht vergessen, dass das Gegenüber noch 1.000 andere Dinge klären muss. Sie sind also selbst in der Pflicht noch mal nachzuhaken“, erläutert die 50-jährige Beraterin und ergänzt: „Alles natürlich ganz freundlich, diplomatisch und mit klarer Haltung.“

Die Selbstanalyse: Welche Signale sende ich?

Zwischenzeitlich ist ein Blick auf das eigene Auftreten empfehlenswert. „Manche meinen, der Chef muss doch sehen, dass ich beispielsweise mehr Verantwortung übernehmen will, aber sie verhalten sich total zurückhaltend. Dann liegt meist ein anderes Problem darunter“, schildert Wüstholz. So hat sie es schon oft erlebt, dass ihre Klienten mit dem Gedanken „das ist ja alles überhaupt nicht mehr auszuhalten“ in die Beratung gekommen sind. „Doch in Wirklichkeit haben sie sich selbst klein gemacht aufgrund alter Ängste oder Kindheits-Erfahrungen, nach dem Motto ‚lieber wegducken‘. Also wird das Vorpreschen erst gar nicht probiert. Stattdessen steigern sie sich in die vermeintliche Ablehnung hinein und denken: ‚ich kann hier ja sowieso nichts ändern‘“, erklärt die frühere Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivmedizin.

Das betrifft übrigens beide Geschlechter. In diesem Fall geht es darum, die Haltung zu ändern und die Kommunikation zu verbessern: „Nicht wenige Ärztinnen, aber auch Ärzte, müssen erst lernen, ihre eigenen Interessen deutlich zu vertreten. Hilfreich dafür ist zum Beispiel, entsprechende Sätze und Tonlagen einzuüben und immer wieder in Anwesenheit des Chefs zu sagen: ‚Oh, das will ich auch gern machen.‘ So kann man sich einfach kontinuierlich platzieren.“

Vor dem Neustart: Preisfrage stellen

Liegt es aber nicht an einem selbst und bringen auch Gespräche mit Vorgesetzten nichts, rückt die Kündigung selbstverständlich näher. Zeit, die Preisfragen zu stellen: Was kostet es mich, wenn ich bleibe? Was kostet es mich, wenn ich gehe? Wer bezahlt welchen Preis? Was kostet es die Menschen, mit denen ich zu tun habe? „Es herrscht zwar Ärztemangel, aber vielleicht bin ich durch meine Familie örtlich gebunden. Dann haben meine Forderungen natürlich weniger Wumms“, betont Wüstholz.

Dennoch: Wird es zum Dauerzustand, dass ich mich zur Arbeit schleppe, keine Freude mehr habe und nicht mehr zur Ruhe komme, auch weil die Arbeitsbelastung langfristig schlichtweg zu hoch ist, hilft nur noch ein Jobwechsel, bevor die eigene Gesundheit in Gefahr gerät. „Viele denken, ich muss mir beweisen, dass ich das hier schaffe, und warten deshalb zu lange. Ich habe nicht wenige Ärzte beraten, die waren entweder kurz vor dem Burn-Out oder schon tief drin“, erzählt die Karlsruherin. Leider sei es gerade für Mediziner nach wie vor ein ganz großer Schritt, sich professionelle Unterstützung zu holen. Denn das habe immer noch ein „Geschmäckle“, insbesondere für Männer.

Und wer kommt, meint: „Eins sag ich dir gleich: Ich mach alles, nur keine Rollenspiele“, berichtet die Fachfrau nun schmunzelnd. Die gibt’s bei ihr aber eh nicht, stattdessen setzt sie zum Beispiel auf provokative Settings: „Wenn ich sehr kognitive Menschen berate, ist es sinnvoll, das Problem zu überzeichnen“, erklärt sie und beschreibt ein Beispiel: „Hat jemand Angst, vor einer Gruppe zu reden, hilft die Vorstellung, da sitzen lauter Krokodile, die warten nur darauf dich aufzufressen. Und dann wird meist gelacht. Das hört sich vielleicht banal an, zeigt aber, wie surreal die eigenen Barrieren sind, die man sich im Kopf so zurechtbastelt.“ Im Sinne der bekannten Karikatur, eine Katze schaut in den Spiegel und ein Löwe schaut zurück… Gerade Ärzte würden von außen extrem souverän wirken, als könnte sie nichts erschüttern, aber tatsächlich hätten sie oft große Ängste – auch davor, Fehler zu machen, was sie aber ständig überspielen.

Egal, ob man in seinem Job bleibt oder geht: Entscheidend sind am Ende übrigens fast nie die fachlichen Dinge, sondern die Emotionen, wie man sich dabei fühlt. „Deshalb sollte man generell ab und zu mal bewusst reflektieren, ob man noch am richtigen Platz ist, mit einem Coach oder einem guten Freund, so wie man auch regelmäßig zum Zahnarzt geht“, resümiert die klinikerfahrene Coachin.

Das könnte Sie auch interessieren: