Dr. Apelt: „Meine Patienten machen mir den Job der Kinderchirurgin zum absoluten Traumberuf“

13 Juni, 2024 - 07:59
Dr. Sabine Glöser
Köpfe und Karriere: Dr. Nadja Apelt
Dr. med. Nadja Apelt ist seit 1. Januar 2024 neue Chefärztin der Klinik für Kinderchirurgie - Kompetenzzentrum Kinderurologie der DRK Kliniken Berlin Westend.

Über wichtige Erfahrungen, gewonnene Einsichten und ausgefallene Wünsche spricht aerztestellen.de mit erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten. Dieses Mal stellt sich Dr. med. Nadja Apelt unseren Fragen. Sie ist seit 1. Januar 2024 neue Chefärztin der Klinik für Kinderchirurgie - Kompetenzzentrum Kinderurologie der DRK Kliniken Berlin Westend.

Frau Dr. Apelt, warum eigentlich sind Sie Fachärztin für Kinderchirurgie geworden?

Dr. Nadja Apelt: Der Berufswunsch Chirurgin war bei mir da, solange ich zurückdenken kann. Die Faszination des Gewebes, das genaue Beobachten, die notwendige Fingerfertigkeit – all das übte und übt auf mich eine große Anziehungskraft aus. Insbesondere die ultrafeinen Details in der Gewebestruktur, das Erkennen und Erahnen von Leitstrukturen und die Harmonie von Form und Funktion haben für mich eine magische Faszination. Der filigrane Umgang mit dem Gewebe hat fast etwas Meditatives. Die Chirurgie zieht für mich ihren Reiz aus diesem Zusammenspiel zwischen kontemplativer Versunkenheit, Ruhe und Adrenalin, aus dem Spagat zwischen kraftvoll und zart. Kinderchirurgie hat all dies im Überfluss zu bieten und mehr: eine wunderbare Patientenpopulation. Der Mut, die Tapferkeit und Lebensfreude meiner Patienten machen mir den Job der Kinderchirurgin zum absoluten Traumberuf. Der ungebrochene Wille zur Heilung, die Fröhlichkeit und die Kraft der Kinder sind mein Antrieb. Die mit guter Chirurgie erreichten „Life-Quality-Years“ sind unschlagbar, das Fachgebiet manuell anspruchsvoll und divers. Noch über all dem steht die Menschlichkeit: Der ständige intensive Kontakt mit den Kindern erdet, macht nahbar, zwingt einen immer wieder in den unmittelbaren Kontakt mit den eigenen Emotionen, in die Konfrontation mit kindlichen, aber auch eigenen Wünschen und Träumen, und zaubert auch am härtesten Tag noch ein Lächeln hervor.

Was ist für Sie unabdingbar, damit Sie gut arbeiten können?

Dr. Nadja Apelt: Ruhe, Licht und ein freundliches Umfeld. Die Wertigkeit dieser drei Dinge werden bei der Gestaltung von Arbeitswelten im Gesundheitswesen immer noch massiv unterschätzt. Wir alle kennen aus eigener Anschauung laute unpersönliche Wartezimmer, „kilometerlange“ Krankenhausgänge, beengte, nicht gemalerte oder nicht vorhandene Büros – Arbeitswelten, in denen sich niemand zu Hause und auch kein Patient aufgehoben fühlt. Die Wirkung dieses Umfelds auf die ihm ausgesetzten Menschen verändert das Miteinander. Die zentrale Parkanlage hier und die hellen hohen Altbauräume schaffen merklich Entspannung. Ich gucke jeden Morgen, ob die Büsche schon blühen und was die Bäume machen.

Wie lautet der beste Rat, den Sie auf Ihrem Karriereweg bekommen haben?

Dr. Nadja Apelt: Am Ende müsse es den Patienten gutgehen, nicht meinem Ego. Ich solle fragen, niemand breche sich einen Zacken aus der Krone, wenn er oder sie sich Hilfe hole.

Was schätzen Sie an anderen Menschen am meisten?

Dr. Nadja Apelt: Mut, Neugier und Menschlichkeit. Menschen, die mich offen und neugierig anblicken, haben bei mir schon gewonnen. Jenseits von Sprachbarrieren und Altersunterschieden bietet geteilte Neugier einen Kontaktpunkt, aus dem ganz wunderbare Dinge und tiefgreifende menschliche Bindungen entstehen können. Wer neugierig in die Welt blickt, sucht keine Konflikte, sondern ist auf ein konstruktives Miteinander aus. Neugierde bedingt eine Empathie für das Gegenüber, Lösungsorientiertheit und Fantasie – dies alles sind Qualitäten, die ich menschlich schätze.

Was treibt Sie an?

Dr. Nadja Apelt: Freude.

Mit wem würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Dr. Nadja Apelt: Mit meinem Mann – ohne Telefon!

Was raten Sie jungen Ärztinnen und Ärzten?

Dr. Nadja Apelt: Lassen Sie sich nicht von dem ganzen negativen Gequatsche irre machen. Sie haben einen wunderbaren Beruf. Ziehen Sie Kraft daraus. Gestalten Sie Ihre Umwelt. Sie haben Einfluss auf Ihren Arbeitsplatz.

Wie gelingt Ihnen eine gesunde Work-Life-Balance?

Dr. Nadja Apelt: Oft gelang sie mir bisher nicht. Es gibt auf diese Frage in der Medizin keine einfache Antwort. Ich habe schon einige Extreme durch, von 28-Stunden-Wochen, Teilzeit bis 120 Stunden pro Woche und 36-Stunden-Diensten jeden dritten Tag in den USA. Eine meiner schlimmsten Erkenntnisse: Ein Workaholic zu sein, ist erschreckend einfach. Solange ich gegen die Arbeitslast gekämpft habe, war es grausam. In dem Moment, in dem ich mich mental darauf eingelassen habe, war es jedoch auch wunderbar, ein Gefühl der Hingabe und beruflichen Erfüllung kennenzulernen, was ich vorher so nie hatte. Es macht verdammt viel Spaß, Ärztin zu sein. Das positive Feedback der Patienten gibt viel, wiegt aber bei 120 Wochenstunden weder das Vakuum der eigenen sozialen Kontakte auf noch die Schuldgefühle gegenüber der eigenen Familie und die unausweichlich entstehenden gesundheitlichen Schäden auf. Jedoch waren auch die 28 Wochenstunden Teilzeit für mich nicht die Antwort. Ich fühlte mich latent uninformiert über das Tagesgeschäft und der Job machte mir deutlich weniger Spaß. Mein Fazit: Es ist für mich fast unerheblich, wie viel ich arbeite, sondern wie. Gestaltungsfreiheit, Selbstständigkeit, Kreativität und eine klare Aufgabenverteilung bringen mir Spaß in der Arbeit und einen freien Kopf in der Freizeit. Wenn ich weiß, dass ich im Job „liefere“, kann ich in der Freizeit auch extrem gut abschalten. Ein gesundes Arbeitsklima ist dafür unerlässlich. Und ab und an mal eine gesunde europäische Dosis Urlaub hilft auch.

Woran mangelt es dem deutschen Gesundheitssystem?

Dr. Nadja Apelt: Ich würde die Frage gern umdrehen. Was hat das deutsche Gesundheitssystem zu bieten? Eine bessere medizinische Versorgung, besonders in der Breite, als an fast jedem anderen Ort der Welt. Es gibt massive Probleme im Gesundheitssektor, und dennoch haben wir in Deutschland um Längen mehr „Kapital“, ob menschlich, wissenschaftlich, technisch, medizinisch, emotional, finanziell oder strukturell, als in der öffentlichen Debatte wahrgenommen wird. Wir reden uns selbst schlecht, sodass Patienten schon mit einer entsprechend negativen Erwartungshaltung zu uns kommen. Schlimmer: Wir reden unsere jungen Ärztinnen und Ärzte in die Depression. Wir haben gerade unser Programm für Robotik in der Kinderchirurgie gestartet, weil wir es können. Die Geräte sind da, das technische Knowhow, die medizinische Expertise in Kinderchirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin, motiviertes Personal, der Wille zur Gestaltung. Und wir mussten uns keine Gedanken darüber machen, wie Patienten versichert sind. In fast keinem anderen Land der Erde ist dies der Fall.

Wann sind Sie glücklich?

Dr. Nadja Apelt: In der Badewanne.

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