Prof. Dr. Birkenmaier: „Die Wirbelsäulenchirurgie ist ein unglaublich faszinierendes Fach!“

9 Juni, 2022 - 14:28
Dr. Sabine Glöser
Köpfe und Karriere: Prof. Dr. Christof Birkenmaier
Prof. Dr. med. Christof Birkenmaier ist seit 1. April 2022 Chefarzt der neuen Abteilung Wirbelsäulenchirurgie und Skoliosezentrum im Artemed Klinikum München Süd.

Über wichtige Erfahrungen, gewonnene Einsichten und ausgefallene Wünsche spricht aerztestellen.de mit erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten. Dieses Mal stellt sich Prof. Dr. med. Christof Birkenmaier unseren Fragen. Er ist seit 1. April 2022 Chefarzt der neuen Abteilung Wirbelsäulenchirurgie und Skoliosezentrum im Artemed Klinikum München Süd.

Herr Professor Birkenmaier, warum eigentlich haben Sie sich auf die Wirbelsäulenchirurgie spezialisiert?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: In den ersten Jahren meiner orthopädischen Ausbildung schlich ich zunächst etwas um diesen anspruchsvollen Bereich herum. Ich war mir nicht sicher, ob ich dafür bereit wäre und mit den Belastungen, die dieses Fachgebiet mit sich bringt, würde umgehen können. Auch die Patienten erschienen oft beängstigend komplex und schwierig zu analysieren. Aber nachdem ich die ersten Schritte durch die Tür zur Wirbelsäulenchirurgie gegangen war, überwog rasch die Faszination und dann schaute ich nicht mehr zurück. Abgesehen davon, dass die Wirbelsäulenchirurgie ein enorm großes Gebiet mit intellektuell bereichernden Querverbindungen zu anderen medizinischen Fächern ist, umfasst sie viele Zusammenhänge, die noch unzureichend erforscht sind. Gleichzeitig gibt es teils erhebliche interindividuelle Variationen. Diese Aspekte lassen noch viel Raum für eigene Kreativität und sorgen dafür, dass es stets interessant bleibt. Die Wirbelsäulenchirurgie ist ein unglaublich faszinierendes Fach!

Was ist für Sie unabdingbar, damit Sie gut arbeiten können?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Mitmenschen sowie Kolleginnen und Kollegen, die denselben Anspruch an ihre Arbeit haben wie ich an meine.

Wie lautet der beste Rat, den Sie auf Ihrem Karriereweg bekommen haben?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Es wäre unangemessen, aus den zahlreichen wertvollen Ratschlägen, die ich erhalten habe, den einen herauszuheben. Besonders wichtig sind vielleicht jene Ratschläge, die bei der Ausbildung der eigenen Arztpersönlichkeit helfen. Dr. Bill Schecter, in den 1990ern Chief of Surgery am San Francisco General Hospital, bemühte sich, als ich damals dort war, in besonderer Weise um die Persönlichkeitsbildung seiner surgical residents. Wichtig war ihm die Ruhe und das Vertrauen, die eine gute Ärztin oder ein guter Arzt ausstrahlen sollte. Wir sollten ständig daran arbeiten, uns in diese Richtung zu entwickeln. Wenn wir in einer Situation voller Stress und Chaos einträfen, sollte ein Seufzer der Erleichterung durch die Runde gehen: „Thank god, the surgeon is here.“ Sicherlich aus heutiger Sicht etwas hypertroph, aber der Kern der Botschaft bleibt: Eine unserer wichtigen Aufgaben ist, Ruhe und Kompetenz auszustrahlen, um unseren Patienten das notwendige Vertrauen zu ermöglichen und im Team wohlüberlegt die korrekten Entscheidungen zu treffen.

Was schätzen Sie an anderen Menschen am meisten?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Ehrlichkeit, einen offenen und respektvollen Umgang, Empathie, Zuverlässigkeit.

Was treibt Sie an?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Die grundlegende Faszination für die Wirbelsäule, der Wunsch der beste Arzt zu sein, der ich sein kann, und die Freude, dies täglich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen umzusetzen. Und auch die Dankbarkeit, dass ich diesen Beruf wählen und erlernen konnte.

Mit wem würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Die Idee, einen Abend mit einer prominenten Persönlichkeit zu verbringen, die ich im realen Leben nie treffen würde, übt auf mich keine Faszination aus. Eher halte ich es für erstrebenswert, jene Menschen tatsächlich kennenzulernen, mit denen ich in meinem Leben auch zu tun habe. Könnte ich ein Gespräch mit nicht mehr Lebenden führen, so denke ich an die Philosophen der Aufklärung, wie Descartes oder Kant. Deren Bewertung unserer aktuellen Zeit würde mich sehr interessieren.

Was raten Sie jungen Ärztinnen und Ärzten?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: An erster Stelle: Versuchen Sie immer aufs Neue, sich in die Rolle Ihrer Patienten zu versetzen oder sich die eigenen Familienangehörigen als Ihre Patienten vorzustellen. Das hilft dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen und Fehler zu vermeiden, auch wenn der Stress überwältigend ist. Fast genauso wichtig: Lassen Sie sich von niemandem die Freude an diesem wunderbaren Beruf austreiben. Die Frustration anderer darf nicht zur eigenen werden. Wir bringen in diesem Beruf große persönliche Opfer, aber umgekehrt erhalten wir dafür auch eine Befriedigung, die außergewöhnlich ist. Auch wichtig: Denken Sie eigenständig, kritisch und kreativ, prüfen Sie Ihr Handeln ständig auf Plausibilität, haben Sie Patientennähe und direkten Kontakt zu den Fachkollegen der anderen Disziplinen. Eine unvollkommen digitalisierte Medizin und die hohe Arbeitsbelastung fördern einen einschränkenden Tunnelblick und die schleichende Selbstlimitierung der natürlichen Intelligenz. Wer kein Mittelmaß sein möchte, muss kontinuierlich aktiv dagegen ankämpfen. Algorithmen sind wichtige Hilfen, aber sie sind keine Garantie für ärztliche Exzellenz.

01.06.2023, Universitätsklinikum Halle (Saale)
Halle (Saale)

Wie gelingt Ihnen eine gesunde Work-Life-Balance?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Ich denke, diese gelingt mir nicht – zumindest nicht nach den Maßstäben der meisten Menschen und auch nicht nach Einschätzung meiner Frau. Der Beruf nimmt schon sehr viel Zeit ein und dominiert das Denken oft auch außerhalb der eigentlichen Arbeit. Glücklicherweise kann ich aber sehr effektiv entspannen. Und wir haben tatsächlich ein Privatleben mit Familie, Freunden und nicht-medizinischen Interessen.

Woran mangelt es dem deutschen Gesundheitssystem?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Dies hängt in erster Linie vom gesetzten Anspruch ab. Wenn ich den Ausdruck eng fasse, dann mangelt es in allen Fachbereichen und Heilberufen vor allem an genügend Menschen, die in dem aktuell existierenden System eine berufliche Lebensperspektive und den Ort für die Verwirklichung ihrer persönlichen professionellen Leidenschaft sehen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es mangelt auch am politischen Mut, grundlegende Probleme ehrlich und offen zu diskutieren. Ein Beispiel unter vielen: Welchen Sinn hat es, dass in Deutschland mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen zugelassen sind, mit all den sich daraus ergebenden Redundanzen, Organisationsproblemen und der unglaublichen Tatsache, dass diese Kassen die Beiträge ihrer Mitglieder dazu verwenden dürfen, einander die günstigen Risiken abzuwerben?

Wann sind Sie glücklich?

Prof. Dr. Christof Birkenmaier: Glück ist ein schwieriger philosophischer Begriff und in meinem Verständnis nichts, was stringent mit eigenem Handeln oder eigenen Entscheidungen zusammenhängt. Glück ist eher etwas, das ohne unser gezieltes Zutun geschieht. Daher würde ich die Frage lieber im Hinblick auf Zufriedenheit beantworten: Diese empfinde ich am häufigsten, wenn es mir gelungen ist, etwas Richtiges zu tun, das meinen Patienten nützt. Und das kann durchaus auch nur eine gute, gezielte Beratung oder Erklärung sein. Besonders zufrieden bin ich, wenn ich aufbauend auf einer präzisen Diagnose und einer wohlüberlegten Behandlungsstrategie erkenne, dass diese zum gewünschten Erfolg führt.

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