Kommunikation unter Ärztinnen und Ärzten: Diese Techniken erleichtern den Alltag

14 April, 2021 - 08:05
Gerti Keller
Prof. Wolfgang Kölfen
Von 1997 bis 2020 war Prof. Wolfgang Kölfen Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der Städtischen Kliniken Mönchengladbach. Jetzt arbeitet er als Berater, Coach und Kommunikationstrainer.

Zeitdruck, kein Bett mehr frei, Konflikte im Team: Wer das kleine Einmaleins der Kommunikation beherrscht, hat es auch als Arzt oder Ärztin leichter. Prof. Wolfgang Kölfen, langjähriger Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche in Mönchengladbach und Kommunikationstrainer, gibt Tipps – von der liebevollen Giraffensprache bis zur eleganten Olé-Taktik.

Viele Ärztinnen und Ärzte denken vielleicht: Gespräche mit Patientinnen und Patienten sind schon anstrengend genug, jetzt darf ich auch im Team nicht mehr reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Warum ist das überhaupt wichtig?

Prof. Wolfgang Kölfen: Alle leiden unter Zeitmangel. Wenn wir uns als Ärztinnen und Ärzte untereinander oder mit den Pflegekräften austauschen, müssen wir die Informationen so vermitteln können, dass unser Gegenüber in Kürze das Wesentliche versteht und behalten kann. Eine typische Situation ist beispielsweise die Übergabe eines Patienten an eine Kollegin auf Station. Hierfür ist ein „visueller Catcher“ hilfreich.

Was ist das?

Prof. Wolfgang Kölfen: Man kann sich dafür zum Beispiel einen Hamburger vorstellen. Das obere Brötchen ist der Einstieg. Ich teile mit, wer ich bin, beziehungsweise begrüße die Kollegin und sollte auch ein freundliches Wort sagen. Die Füllung ist die Hauptbotschaft. Dabei sollte man nach dem Kiss-Motto „keep it short and simple“ vorgehen. Beispiel: „Es geht um den Patienten Müller, der ist seit heute Morgen bei uns und braucht…“. Dann kommt das untere Brötchen, der Ausklang. Das kann eine Abmachung sein, mit der man den Inhalt noch mal zusammenfasst nach dem Motto „also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Frau Kollegin, sind Sie damit einverstanden, dass wir morgen den Patienten verlegen.“ Dann kann sie ja oder nein sagen und weiß genau, worum es geht.

Wozu nutzt die Visualisierung?

Prof. Wolfgang Kölfen: Um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Vieles, was einem selbst nicht klar ist, lässt man dabei weg. Konkret lässt sich dies umsetzen, indem Sie ein paar Stichworte aufschreiben oder – noch besser – aufmalen. Eine einfache Skizze genügt. Anhand dieser kann man dem Kollegen die Punkte auch gut aufzeigen. Die meisten Menschen nehmen visuelle Informationen schneller auf. Das gilt auch fürs Patientengespräch. Die fragen dann sogar oft: „Herr Doktor, darf ich den Zettel behalten?“ Es ist eine gute Brücke, um sich später daran zu erinnern, was gesagt wurde.

Was ist in der Kommunikation noch wichtig?

Prof. Wolfgang Kölfen: Am Anfang steht immer die Körpersprache. Unseren physischen Kontakten geht ein intuitiver Check der äußeren Erscheinung voraus. Der läuft extrem schnell ab, beeinflusst uns aber enorm. Wenn ich auf jemanden zugehe, sollte ich beobachten, in welcher Spannung befindet sich dessen Muskulatur? Wirkt er müde? Verspannt? Auch an der Mimik kann man viel erkennen. Wie schaut er, wenn ich auf ihn zukomme und Blickkontakt suche? Abwehrend oder begrüßend? Natürlich ist auch die eigene Körpersprache wichtig. Ich empfehle jedem, im Laufe des Tages selbst mal einen kurzen Moment innezuhalten und sich zu fragen „Hallo, wie ist denn meine Körpersprache in diesem Augenblick?“ Und sich dann bewusst zu entspannen oder auch zu straffen, wenn ein wichtiges oder schwieriges Gespräch bevorsteht. 

Man sagt, das Ohr nimmt vor allem die Beziehungsebene wahr…

Prof. Wolfgang Kölfen: Ja, das gilt auch für das Gespräch von Arzt zu Arzt. Jede Form der Kommunikation benötigt den Aufbau einer Beziehung, nur als kurze Initialzündung, weil man über die Beziehungsebene leichter zur Sachebene kommen kann. Auf die Körpersprache folgt daher die Empathie. Ein kleiner Satz zu Beginn, wie „danke, dass Sie so lange gewartet haben“, „super, dass Sie den Arztbrief mitgebracht haben“ oder „Herr Kollege, toll, dass sie jetzt Zeit finden mit mir zu sprechen“ – all das sind Turboworte, schnelle Türöffner, die nicht länger als drei bis vier Sekunden dauern. Damit stehen meine Chancen, mein Ziel zu erreichen, deutlich höher. Das gilt zum Beispiel auch bei fachabteilungsübergreifenden Situationen, wo man vom anderen ein Bett braucht oder der Internist vom Radiologen einen MRT-Termin möchte. Man hat also einen Wunsch, den der andere nicht sofort gewillt ist, zu erfüllen. Auch hier sollte man versuchen das Ohr zunächst verstärkt über die Beziehungsebene zu öffnen, in dem man beispielweise sagt „ich sehe, Sie haben auch viel zu tun …“. Hierbei, wie generell, sind ferner die Techniken aus der gewaltfreien Kommunikation hilfreich.

Was gehört dazu?

Prof. Wolfgang Kölfen: Aktives Zuhören. Heißt, darauf zu achten, was der andere genau will. Oft sind wir zu schnell mit einer Beurteilung, indem wir sofort entgegnen „nee, das geht jetzt auf keinen Fall.“ Hier kommt auch die sogenannte Giraffensprache ins Spiel – man unterstellt diesen Tieren, dass sie ein großes Herz und einen guten Überblick haben. Diese empfiehlt sich, wenn ein Kollege beispielsweise sagt, „die Verwaltung gibt mir keinen zweiten Kernspin, wir haben keine Termine, das wissen Sie doch…“. Wenn man nun den Anderen erst mal abholt und wertschätzend sagt, „ich sehe du bist auch gestresst, aber vielleicht…“ wird das schon mal gut in seinen Ohren klingen. Also nicht die Sachinformation gleich in den Vordergrund stellen und im scharfen Ton fordern „ich muss unbedingt heute noch…“.

Zu starker Druck auf der Appellebene verschlechtert die Beziehungsebene augenblicklich und führt dazu, dass der Angesprochene sofort denkt „was bildet der sich eigentlich ein, mir Befehle geben zu können?“. Man hört dann auf der Sachebene auch gar nicht mehr zu. Der letzte große Baustein ist Struktur: klar, kurz und konstruktiv kommunizieren. Diese vier Punkte – Körpersprache (K), Empathie (E), aktives Zuhören (A) und Struktur(S) bilden die von mir eingeführte KEAS-Methode. Sie funktioniert super, wenn die Reihenfolge beachtet wird. Allerdings gilt auch hier: Übung macht den Meister. Danach läuft sie intuitiv ab und bildet einen stabilen Grundpfeiler für gelungene Kommunikation. 

Hilft das auch, wenn ich angegriffen werde?

Prof. Wolfgang Kölfen: Im Gegensatz zur Giraffensprache gibt’s die Wolfssprache. Die funktioniert nach der Devise, ich bedrohe den andern und versuche ihn zu verletzen, um mich grösser zu machen, in dem Glauben, dadurch zum Erfolg zu kommen. Dieser Kommunikationsstil ist im Einsatz, wenn jemand zu Ihnen sagt „also pass mal auf, wenn Sie das bis heute Abend nicht gemacht haben, melde ich das dem Geschäftsführer“. Jetzt kommen Sie höchstwahrscheinlich mit der KEAS-Methode nicht mehr weiter. Nun ist es ganz wichtig, dass Sie als Angegriffener aufpassen, nicht in den „Nebel“ zu rutschen, der eine Art Neandertaler-Programm reaktiviert. Das bestand für die Frühmenschen aus drei Möglichkeiten: kämpfen, abhauen oder sich totstellen. Auf die Gegenwart bezogen heißt letzteres: Ich stelle mich taub. Wenn sich vor mir nun ein neuzeitlicher Säbelzahntiger aufbaut, besteht die Gefahr, dass dieses uralte Verteidigungsprogramm unbewusst sofort anspringt. Mit fatalen Folgen für den weiteren Verlauf des Gesprächs. Tiefe seelische Verletzungen und bleibende Narben können die Folgen sein. Kurzum, davon hat niemand etwas. Dafür sollten wir uns keine Lebensenergie rauben lassen.

Was hilft denn?

Prof. Wolfgang Kölfen: Wenn jemand Sie mit Worten frontal angreift, werten Sie das zunächst einmal als Attacke auf Ihre Person, und nicht als Botschaft, dass irgendetwas nicht gut läuft. Hier empfehle ich, sich selbst einen Anker zu setzen. Das bedeutet, an eine positive Situation denken und sofort ein inneres Bild oder eine Erinnerung aufrufen, die Ihnen Freude bereitet. Als Verstärkung können Sie den Akkupressurpunkt zwischen Daumen und Zeigefinger drücken. Ich habe zuerst auch geglaubt, das sei Hokuspokus, aber es funktioniert ganz gut. Es fällt auch nicht weiter auf, muss nur ebenfalls vorher geübt werden. Damit hat man ungefähr vier bis acht Sekunden, um ein bisschen runterzufahren. Anschließend kann man den anderen mit der einfachen Frage konfrontieren: „Herr Meier, wie meinen Sie das?“ Gut ist in allen Situationen, besonders aber in dieser, den Namen des Gegenübers auszusprechen. Dann geht die Stufe auf dem Herd in der Regel schon mal von Sechs auf Vier zurück. Sie haben dann noch mal Zeit sich kurz zu sortieren.

Und dann?

Prof. Wolfgang Kölfen: Jetzt können Sie die Olé-Technik einsetzen. Ich habe den Begriff dem Stierkampf entlehnt. Er bedeutet, den wütenden Stier wie ein Torrero mit einem roten Tuch elegant an sich vorbei zu leiten. Stecken Sie sich als optischen Reminder für diese Möglichkeit ein knallrotes Taschentuch in den Arztkittel. Sie können sich nun fragen, ob Sie auf diesen Angriff überhaupt reagieren müssen. Sie können auch sagen „das tut mir leid“ und ablenken. Oder Sie antworten „das würde ich gern in Ruhe mit Ihnen besprechen, jetzt wollen wir erst mal…“. Deeskalierend wirken zudem Brückensätze wie „ich verstehe Ihren Ärger oder ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen und dennoch empfehle ich, dass wir zunächst dies und das tun.“ Das sind die weichen Abwehrtechniken. Knickt der andere immer noch nicht ein, kann man antworten „ich sehe, wir kommen gerade zu keiner gemeinsamen Lösung und würde daher zu einer Unterbrechung des Gespräches raten oder vielleicht überlegen sie sich noch mal meinen Vorschlag und wir sprechen später darüber?“.

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Wird die Klärung vertagt, ist der andere später in der Regel schon etwas heruntergekocht. In dem Zustand lassen sich die Gespräche besser führen. Gute Argumente können dann viel eher eindringen. Die fallen einem spontan in einer Stresssituation nämlich meist nicht ein – hinterher im Auto aber schon. Hilft alles nichts, muss man natürlich ad hoc eine klare Position beziehen, sollte dabei aber körpersprachlich möglichst ruhig bleiben. Ganz wichtig ist immer die eigene Einstellung, inwieweit ich es schaffe, mich herunter zu beamen. Auch, um den Streit nicht mit nach Hause zu nehmen.

Was empfehlen Sie fürs Mitarbeiterentwicklungsgespräch?

Prof. Wolfgang Kölfen: Wenn ich meine Mitarbeiter nach ihren Zielen frage, freue ich mich über realistische und konkrete Vorschläge. Zudem sollten Mitarbeitende den Ball auch mal ihrem Chef zuspielen und fragen: Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, mich weiter zu fördern und zu fordern? Dann hören sie, wie der Chef sie einschätzt, und es eröffnen sich vielleicht Wege, an die Sie bislang gar nicht gedacht haben. Wenn Wünsche nicht realisierbar sind, sollten Mitarbeiter immer fragen: Was können Sie mir stattdessen anbieten? Motivierte Teammitglieder, die nach Futter fragen, sind immer willkommen. Schwieriger wird es, wenn jemand nun anfängt zu streiten, was wann wem versprochen wurde. Auch freue ich mich über jeden, der bei dieser Gelegenheit mit einem Vorschlag kommt, wie ein Problem zu lösen wäre. Da erkenne ich als Chef, da ist jemand nicht nur motiviert, sondern denkt auch mit.

Warum sind Sie neben Ihrem Job Kommunikationstrainer? Was treibt Sie an?

Prof. Wolfgang Kölfen: In den 1980er Jahren, als ich noch Assistenzarzt in der Kinderonkologie war, hat ein fünfjähriger, sehr pfiffiger Junge etwas zu mir gesagt, dass ich nie vergessen habe. Als ich dem vom Tod gezeichneten Berthold die Chemo anhängen wollte, meinte ich „du musst dich jetzt hier aufs Bett legen, damit ich die Infusion anlegen kann“. Da antwortete er „weißte, ich muss gar nix, wenn ich in den Himmel will. Du kannst dir deine Medikamente sparen, das entscheide ich selber.“ Damals verstand ich das nicht. Zu der Zeit dachte ich noch, ein guter Arzt kann automatisch gut kommunizieren und diese Fähigkeit nimmt mit dem Alter zu. Doch das war und ist ein Trugschluss, ärztliche Kommunikation muss man lernen, wie Blutabnahmen und Röntgenbilder. Das gilt insbesondere für Führungskräfte. Ober- und Chefärzte müssen sich kontinuierlich mit allen möglichen Leuten abstimmen. Am Gipfelkreuz gibt es unglaublich viele Regeln, Gebote und Marktmechanismen. Einsame Entscheidungen führen in der Regel zu Chaos und zu Resignation der Mitarbeiter.
 

Der Experte:

Von 1997 bis 2020 war Prof. Wolfgang Kölfen Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der Städtischen Kliniken Mönchengladbach. Jetzt arbeitet er als Berater, Coach und Kommunikationstrainer. Er hält Vorträge und bietet Workshops für externe Ärzte, Geschäftsführungen und Hebammen an.

Mehr Infos: www.wolfgangkoelfen.de

Buchtipp: Kölfen, Wolfgang: Ärztliche Gespräche, die wirken. Springer, Berlin 2018. ISBN: 978-3662567159

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