
Wie wollen Medizinstudierende später als Arzt oder Ärztin arbeiten? Was ist ihnen wichtig und wonach suchen sie sich ihre zukünftigen Arbeitgeber aus? Diese und weitere Fragen klärt das aktuelle Berufsmonitoring Medizinstudierende 2022. Hoch im Kurs steht die Work-Life-Balance – aber das ist nicht alles.
Die Zahl der Medizinstudierenden in Deutschland nimmt stetig zu. Im Jahr 2022 waren laut Statistischem Bundesamt 108.130 Personen im Fach Humanmedizin eingeschrieben, davon waren 69.597 weiblich. Doch welche Erwartungen haben die angehenden Ärztinnen und Ärzte an ihren späteren Beruf und wie sehr haben sich diese in den letzten Jahren verändert? Über alle Befragungen hinweg sticht ein Aspekt besonders hervor: Die Work-Life-Balance.
Work-Life-Balance ist wichtiger als das Gehalt
Rund 92 Prozent der Befragten geben an, dass ihnen eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr wichtig oder wichtig ist. Ähnlich sieht es bei Arbeitszeiten aus. Für etwa 83 Prozent der Medizinstudierenden sind später geregelte Arbeitszeiten essenziell. Circa 81 Prozent ist es wichtig, die Arbeitszeiten flexibel gestalten zu können. Außerdem beantworteten etwa 79 Prozent die Frage nach guten Verdienstmöglichkeiten als sehr wichtig oder wichtig. All diese Faktoren standen auch in den früheren Befragungen oben auf der Prioritätenliste der Studierenden.
Wenn es um die Arbeit mit Patientinnen und Patienten geht, möchten viele der Studierenden ein breites Krankheitsspektrum behandeln (67,5 Prozent) und auch die Lebensumstände der Behandelten kennen (64,4 Prozent). Darüber hinaus wünschen sie sich interdisziplinäre Teamarbeit mit Ärztinnen und Ärzten anderer Fachrichtungen (64,2 Prozent). Weniger wichtig ist laut der Umfrageergebnisse die Beteiligung an Forschungsthemen und Studien. Nur etwa jeder Dritte beantwortete diese Frage als sehr wichtig oder wichtig.
Grafik "Erwartungen an die spätere Berufstätigkeit" zum Download (jpg, 403 kB)
Kinderbetreuung ist ein Wettbewerbsvorteil
Die wichtigsten Erwartungen der Medizinstudierenden an ihre spätere Berufstätigkeit lässt sich also in vier Faktoren aufteilen. Unangefochten auf Platz eins steht der Faktor „Familie und Freizeit“, der 85,6 Prozent sehr wichtig oder besonders wichtig ist. Dahinter kommt mit 69,7 Prozent der Faktor „Beruflicher Erfolg“, gefolgt von „Team, Kollegen“ mit 62,6 Prozent und schließlich „Abwechslung im Beruf“ mit 62,3 Prozent. Unterscheidet man zwischen den Geschlechtern, so fällt auf, dass Frauen einen größeren Wert auf Familie und Beruf legen als Männer (88 Prozent vs. 75,3 Prozent), wohingegen Männer sich mehr Abwechslung im Beruf wünschen als Frauen (69,4 Prozent vs. 55,1 Prozent).
Für zukünftige Arbeitgeber wie Kliniken oder MVZ ist es folglich nicht nur wichtig, flexible Arbeitszeitmodelle für die angehenden Medizinerinnen und Mediziner anzubieten. Um auch junge Familien für einen Standort zu begeistern, ist eine gut organisierte und verlässliche Kinderbetreuung von Vorteil. So können sich Arbeitgeber mit einer eigenen Kinderbetreuung einen Vorteil gegenüber einer anderen Kindertagesstätte verschaffen, die beispielsweise um 16:30 Uhr schließt, was oft nicht mit den Arbeitszeiten eines Arztes oder einer Ärztin vereinbar ist. Darüber hinaus entfallen bei einer Kinderbetreuung durch den Arbeitgeber entsprechende Fahrten, was wiederum Zeit spart. Aus diesem Grund ist für 80 Prozent der Befragten eine Kinderbetreuung in der Weiterbildung unverzichtbar oder sehr wichtig.
Lieber angestellt als niedergelassen
Welche Rahmenbedingungen wünschen sich künftige Ärztinnen und Ärzte während ihrer Weiterbildung noch? Für 41 Prozent der Befragten ist ein Mentor oder eine Mentorin während der gesamten Weiterbildung unverzichtbar. Rund 65 Prozent sind flache Hierarchien sehr wichtig oder wichtig und neun von zehn Befragten wünschen sich begleitende Angebote durch eine medizinische Fakultät neben der Weiterbildung.
Grafik "Rahmenbedingungen der Weiterbildung" zum Download (jpg, 359 kB)
Die befragten Medizinstudierenden haben später eine große Bandbreite an Optionen bei der Ausübung ihres Berufs. So können sie nicht nur in der Klinik oder in einem MVZ, sondern auch zum Beispiel bei einer Krankenkasse oder in der Niederlassung arbeiten. Besonders attraktiv scheinen laut Umfrageergebnis die Optionen „Angestellter Arzt/Ärztin im Krankenhaus“, „Angestellter Arzt/Ärztin im MVZ“ und „Angestellter Arzt/Ärztin in der Praxis“ zu sein. Zusammen ist für 96 Prozent der Befragten eines davon attraktiv. Allerdings ist die Attraktivität einer Anstellung im Krankenhaus über die Jahre gesunken. Als Gründe geben Befragte an, dass die Arbeitsbelastung dort zu hoch, die Freizeit zu gering und der ökonomische Druck bei der Patientenbehandlung zu hoch sei.
Weitaus weniger können sich ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Gesundheitsdienst (20 Prozent) oder bei einer Krankenkasse (4,7 Prozent) vorstellen. Außerdem ist eine Niederlassung als Hausarzt oder -ärztin weniger attraktiv (42,6 Prozent) als eine Niederlassung als Facharzt oder -ärztin (71,2 Prozent). Gleichzeitig ist jedoch seit den vorherigen Umfragen die Attraktivität einer eigenen Hausarztpraxis leicht gestiegen (2010 noch 38 Prozent).
Geringe Kenntnis über Digitalisierung
Starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen fallen bei den Karriereoptionen auf. Während sich 94,3 Prozent der Männer vorstellen können, später als Oberarzt zu arbeiten, trifft das nur auf 85 Prozent der Frauen zu. Noch deutlicher ist dieser Unterschied bei einer Stelle als Chefarzt oder -ärztin: Während jeder zweite Medizinstudent sich das später vorstellen kann, kommt es nur für 29,4 Prozent der Medizinstudentinnen infrage.
Ein anderer untersuchter Aspekt der Befragung war die Digitalisierung und welche Verbesserungen oder Hürden es hier gibt. Die Studierenden beklagen, dass im Studium zu wenig Wert darauf gelegt werde und der generelle Informationsstand zur Digitalisierung gering sei. Dabei sehen die angehenden Ärztinnen und Ärzte in vielen Bereichen Verbesserungspotenzial durch digitale Lösungen, ganz besonders bei der Arbeitsorganisation (81,6 Prozent), Diagnosemöglichkeiten (80,7 Prozent), der sektorübergreifenden Versorgung (74,3 Prozent) oder den Behandlungsmöglichkeiten (74,1 Prozent).
Auswirkungen der Corona-Pandemie
Die aktuelle Befragung fand vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie statt. Für Medizinstudierende bedeutete die Pandemie einerseits Einschränkungen in der medizinischen Ausbildung, da Krankenhaustätigkeiten eingeschränkt waren oder ganz ausgefallen sind und auch Universitäten ihre Lehrpläne ändern mussten. Andererseits haben viele Studierende bei der Versorgung von Covid-19-Betroffenen oder in Test- und Impfzentren geholfen. Rund 58 Prozent der Befragten gaben an, dass die Auswirkungen der Pandemie auf die Entwicklung von ärztlichen Kompetenzen negativ waren. Besonders gelitten hätten praktische Fähigkeiten bei der Patientenbehandlung und -kommunikation sowie die Kommunikation mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen.
Zum Hintergrund
Das Berufsmonitoring Medizinstudierende wird gemeinsam von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Medizinischen Fakultätentag (MFT), der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) und der Universität Trier durchgeführt. Seit dem Jahr 2010 befragen sie bundesweit den medizinischen Nachwuchs alle vier Jahre zu Einschätzungen, Anregungen und individuellen Zukunftsentscheidungen als späterer Arzt oder Ärztin. Ziel ist es, Faktoren zu identifizieren, die die zukünftige Tätigkeit der Medizinerinnen und Mediziner fördern oder hemmen. Wichtig sind diese Erkenntnisse vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, des Ärztemangels, des Wandels im Gesundheitswesen und der ambulanten Versorgung sowie der Digitalisierung. Für das aktuelle Berufsmonitoring wurden zwischen dem 11.4.2022 und 31.07.2022 insgesamt 8.600 Medizinstudierende befragt.
Quelle: KBV