Medscape-Report zur Chancengleichheit: So steht es um die Gleichberechtigung in der Medizin

24 Januar, 2022 - 09:00
Stefanie Hanke
Ärztin und Arzt unterhalten sich in der Klinik

Etwa 60 Prozent der Ärztinnen fühlen sich im Job benachteiligt – und durch Corona hat sich die Situation noch verschlechtert. Das ist das Ergebnis des Medscape Gleichstellungsreports 2021. An welchen Stellen noch Verbesserungsbedarf besteht und wo es in den vergangenen Jahren Fortschritte gab, klären wir im Beitrag.

Auch wenn die Medizin immer weiblicher wird: Wenn es um Führungspositionen geht, sind Ärztinnen noch immer unterrepräsentiert. Aktuell sind rund zwei Drittel aller Medizinstudierenden weiblich, allerdings sind nur gut 30 Prozent der Oberarzt-Stellen in weiblicher Hand. Speziell an Universitätskliniken sind sogar nur 13 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt.

Sorgen im Job sind unterschiedlich

Die Themen, die zu unzufriedenheit im Job führen, unterscheiden sich zwischen Ärztinnen und Ärzten. So stören sich mehr Männer (16 Prozent) als Frauen (10 Prozent) am Einkommen, während Ärztinnen häufiger Karrierechancen vermissen (8 Prozent) als Ärzte (3 Prozent). Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung stellt Frauen häufiger vor Probleme (15 Prozent vs. 7 Prozent).

Der Befragung zufolge scheint die Kinderbetreuung nach wie vor eher Aufgabe der Frauen zu sein. Ist beispielsweise ein Kind krank, sind vor allem die Mütter in der Pflicht: Lediglich 3 Prozent der Ärzte gaben an, sich selbst zu kümmern, bei den Ärztinnen waren es 32 Prozent. Immerhin: Jeder fünfte Mann und jede vierte Frau teilt sich die Betreuung eines kranken Kindes mit dem Partner bzw. der Partnerin. Allerdings sehen vor allem auch jüngere Männer die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf inzwischen kritisch: Nachholbedarf sehen hier bei den befragten Ärzten unter 45 Jahren 44 Prozent, im Vergleich zu 24 Prozent bei den Frauen.

Fortschritte in manchen Bereichen

Die Auswertung zeigt aber auch: In manchen Bereichen gibt es durchaus positive Entwicklungen. So sehen 19 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer Fortschritte bei der Gleichstellung der Gehälter und Einkommen; 19 Prozent der Ärztinnen bzw. 44 Prozent der Ärzte verzeichnen positive Entwicklungen bei Aufstiegschancen. Mehr als die Hälfte der Ärztinnen (55 Prozent) und Ärzte (59 Prozent) beobachtet außerdem positive Entwicklungen bei Teilzeitangeboten; Verbesserungen bei den Arbeitszeiten geben 41 Prozent der Frauen und 54 Prozent der Männer an.

Und auch bei den Führungspositionen tut sich etwas: So arbeiten 42 Prozent der befragten Ärztinnen und 61 Prozent der Ärzte in einer Führungsposition; weitere 18 Prozent bzw. 15 Prozent geben an, Kolleginnen oder Kollegen zu beaufsichtigen. Zudem streben mit 39 Prozent deutlich mehr Frauen als Männer (24 Prozent) aktuell eine Beförderung an.

Frauen werden stärker von Zweifeln geplagt

Ärztinnen in Führungspositionen leiden allerdings dabei der Umfrage zufolge stärker unter Selbstzweifeln als ihre männlichen Kollegen. Nur 19 Prozent der Frauen gaben an, als Teamleiterinnen sehr selbstsicher zu sein – bei den männlichen Führungskräften waren es 29 Prozent. Am unteren Ende der Skala zeigt sich das gleiche Bild: Als wenig oder überhaupt nicht selbstsicher bezeichnen sich 9 Prozent der Frauen und nur 3 Prozent der Männer.

Vielleicht trägt zu diesem wenig selbstsicheren Selbstbild auch ein verbreitetes Missverständnis bei: So wird jede dritte Ärztin "oft" für eine Pflegekraft gehalten – bei den Männern machen nur drei Prozent diese Erfahrung "oft". Knapp drei Viertel der männlichen Ärzte (74 Prozent) gaben an, noch nie mit einem Pfleger verwechselt worden zu sein. Bei den Frauen waren es nur 18 Prozent.

Rückschritte durch die Pandemie

Und wie hat sich die Lage durch Corona verändert? 40 Prozent der befragten Ärztinnen (10 Prozent der Männer) beobachteten Rückschritte bei der Gleichberechtigung von Frauen. Nachteile für Männer gaben demgegenüber lediglich 7 Prozent der männlichen Umfrageteilnehmer und keine einzige der Teilnehmerinnen an.

Allerdings hat sich auch bei 27 Prozent der Männer und bei 38 Prozent der Frauen die Einstellung ihrer Arbeit gegenüber durch die Pandemie verändert: Die Ergebnisse zeigen, dass hier vor allem die Gesundheit und die Work-Life-Balance im Vordergrund stehen. So schreibt eine 32-jährige Chirurgin in Elternzeit: „Das Leben ist endlich und Familie wichtiger als die Arbeit.“ Ein 38-jähriger Facharzt für Psychiatrie bestätigt: „Der Beruf beinhaltet Gefahren, die mir vor der Pandemie nicht bewusst waren.“

An der Umfrage zum Medscape-Gleichstellungsreport nahmen 1.040 in Deutschland lebende Ärztinnen und Ärzte teil, 500 davon waren Frauen, 534 Männer.

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