Neu auf Station: Worauf Ärztinnen und Ärzte beim Berufseinstieg achten sollten

16 März, 2022 - 07:35
Michael Fehrenschild
Junge Ärztin mit Team im Hintergrund

Endlich geht es in die „richtige“ Arbeit. Aber was sollten frischgebackene Ärzte und Ärztinnen in Weiterbildung beherzigen? Und was ist tunlichst zu vermeiden? Die Oberärzte Prof. Dr. Christian Brülls und Priv.- Doz. Dr. Saša Sopka von der Uniklinik RWTH Aachen geben Tipps für Neulinge.   

Wer als Arzt oder Ärztin in Weiterbildung in einer Klinik einsteigt, ist zumeist nicht frei von Ängsten. Man hat zu wenig Erfahrung, braucht noch mehr Wissen – und vor allem: Bislang fehlte die praktische Arbeit am Patientenbett. Da tauchen durchaus Fragen auf wie: Werde ich der Verantwortung gerecht? Kann ich das überhaupt schon?

Gut vorbereiten und Unsicherheiten zugeben

Oberarzt Prof. Dr. Christian Brülls von der UK Aachen zeigt Verständnis für solche Zweifel, fordert aber von den Einsteigern und Einsteigerinnen auch klar strukturierte Schritte. „Es ist vollkommen okay, zu Beginn ängstlich oder nervös zu sein. Ich erwarte aber von Anfängern vor allem eine gute und sorgfältige Vorbereitung.“ Ein Beispiel: Wenn für das Fachgebiet Anästhesie ein komplexer Patient am nächsten Tag unter Narkose gesetzt werden soll, muss sich der betreuende Arzt intensiv damit befassen: die Vorerkrankungen gründlich anschauen, ein Behandlungskonzept erstellen und dieses mit dem verantwortlichen Oberarzt oder der Oberärztin besprechen.

29.03.2024, Ambulantes Zentrum für Lungenkrankheiten und Schlafmedizin (AZLS)
Cottbus

Brülls führt aus: „Wenn ein Neuling dann offen sagt, ‚dies oder das habe ich noch nie gemacht, kannst du mir bitte helfen und mir das beibringen‘, ist das völlig in Ordnung.“ Diese Herangehensweise ist für Oberärztinnen und Oberärzte auch ein Teil der Demut, die zum Mediziner-Beruf zwingend dazu gehört – egal, in welchem Alter. „Wir dürfen nie vergessen, dass wir schlicht verantwortlich für jeden Patienten sind, der sich uns anvertraut“, betont Brülls und ergänzt: „Für solche Unsicherheiten sollten Vorgesetzte dann hoffentlich auch Verständnis haben.“ Brülls Kollege Oberarzt PD Dr. Saša Sopka engagiert sich besonders intensiv in der Betreuung der Neuankömmlinge. Er fordert vor allem auf, die Weiterbildungsmöglichkeiten zu nutzen: „Es gibt in vielen Häusern immer mehr Kurse, die auf den ersten Dienst vorbereiten, Kommunikation trainieren, Breaking Bad News erleichtern und vieles mehr.“ Sein Tipp am Rande: Dafür kann es sich übrigens lohnen, Personalverantwortliche oder Vorgesetzte nach Finanzierungshilfen zu fragen.

Was sind die schlimmsten Fallstricke?

Brülls fordert von den Berufsanfängern nicht zuletzt ein offenes Herangehen an den Beruf. „Natürlich fokussiert man sich irgendwann auf sein Fachgebiet. Aber ein Anästhesist, der nicht versteht, was auf der anderen Seite des Tuchs passiert, wird nie wirklich gut sein. Und wer als Intensivmedizinerin die Sichtweise der Chirurgen nicht kennt, wird ebenfalls immer Defizite haben.“ Die Neugier für das Gesamte zu behalten, egal wie spezialisiert man später als Facharzt oder -ärztin sein wird, sei ein extrem wichtiger Aspekt. Auch Brülls und Sopka entdecken in gemeinsamen Gesprächen über außergewöhnliche Fälle immer wieder etwas Neues.

Kommt es bei aller Sorgfalt dennoch zu Fehlern oder Problemen, sollten sich die jungen Medizinerinnen und Mediziner, so Sopka, ein sicheres, vertrauenswürdiges Umfeld suchen, um das zu besprechen und zu analysieren. „Für mich gehört es zu den schlimmsten Anfängerfehlern, alles selber zu schultern und allein schaffen zu wollen. Es ist nie zielführend, Schwierigkeiten nicht zu kommunizieren“, sagt er. Und sein Kollege ergänzt: „Eine der größten Gefahren sehe ich weniger direkt am Anfang des Wegs zum Facharzt, sondern eher nach einem dreiviertel Jahr. Da denken manche der jungen Ärztinnen und Ärzte, die natürlich immer noch am Anfang stehen, sie könnten jetzt alles. Und prompt passieren die ersten Fehler aus Selbstüberschätzung. Wer meint, alles im Griff zu haben, obwohl er erst ein Jahr dabei ist, irrt sich. Das stimmt nie.“ Er freut sich dagegen über alle jungen Kolleginnen und Kollegen, die ihn ansprechen, sobald es ein Problem gibt. „Die diskutieren das mit mir und dann schauen wir uns das noch mal zusammen an. Das kostet mich zwar einiges an Zeit, die ist dann aber bestens in die zukünftige Patientensicherheit investiert.“

Teamfähigkeit bis ganz nach oben

Eine entscheidende Eigenschaft, deren Fehlen mittlerweile ein definitives No-Go für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung darstellt, ist die Kooperationsbereitschaft. Erfahrene Kliniker wissen: Ärztinnen und Ärzte sind absolut angewiesen auf die Pflege, die Physiotherapie und die anderen medizinischen Dienstleistungen. Brülls erklärt dazu: „Ich muss mit den Menschen, die mir die Station schmeißen, gemeinsam agieren können. Wenn ich das nicht schaffe, weil ich meine, die Topposition innezuhaben, nur weil ich gerade Arzt geworden bin, dann geht das schief.“ Laut Brülls muss sich jeder einfügen – und dies immer wieder aufs Neue, sogar als frischer Ober- oder Chefarzt. „Teamfähigkeit ist heute in der Medizin extrem wichtig. Junge Ärztinnen und Ärzte können von alten Krankenpflegekräften ganz viel lernen. Von deren Erfahrung zu profitieren ist einfach unersetzlich. Dies nicht zu nutzen, dagegen ein fataler Fehler“, bekräftigt der Intensivmediziner.

Natürlich kann immer eine ganze Menge „danebengehen“. Es ist daher auch nicht ausgeschlossen, dass manche ihren Facharzt nicht schaffen, wobei sich deren Zahl bisher allerdings in Grenzen hält. Doch wenn es passiert, ist es in doppelter Hinsicht problematisch, wie Sopka erläutert: „Das ist immer sehr schade, weil einerseits der Bedarf wirklich da ist und andererseits Lebensziele nicht verwirklicht werden.“ Um das zu verhindern, raten beide dringlich: „Haben Sie Selbstreflektion!“ Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sollten, bevor sie sich zu lange quälen oder die Medizin gar ganz aufgeben, überlegen, ob sie sich überhaupt im richtigen Fachbereich bewegen. Manchmal sei ihnen gar nicht bewusst, dass genau da der Hase im Pfeffer liegt. Brülls erinnert sich besonders an einen Fall: „Da sagte ich einer jungen Kollegin, dass sie eine tolle Ärztin ist, aber ich den Eindruck hätte, dass sie mit Anästhesie nicht glücklich werden würde.“ Sie nahm den Ratschlag an, sattelte um auf HNO – und war danach glücklich.

Kongresse besuchen

Auch beschreiben die beiden Mediziner fast erstaunt, dass das Interesse des Nachwuchses für die großen, aber auch kleineren, regionalen Kongresse der verschiedenen Fachgesellschaften viel geringer ist als noch vor zehn Jahren. Doch gerade dort findet der Austausch mit Peers aus anderen Standorten statt, von kleinen Häusern bis zu Uni-Kliniken. So kann etwa ein Arzt aus Aachen bei den „Abenden der jungen Assistenten“, erfahren, wie ein medizinisches Problem in Bonn behandelt wird. „Da sollten die Neuen unbedingt hin. Dieses Engagement und der Austausch muss sein, wenn ich ein guter Arzt werden möchte,“ betont Brülls.

Zudem ist es ratsam, auch die Ausbildungszeit bis zum Erreichen des Facharztes zu planen. Laut Sopka können verschiedene Standorte dafür förderlich sein. „Man sollte in der Weiterbildung, wenn möglich, eine gesunde Mischung durchlaufen: neben einem großen Haus mit breitem Spektrum wie etwa einem Universitätsklinikum auch kleinere, periphere.“ Überhaupt empfiehlt er Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung, dass sie aktiv ihren eigenen Weg finden, es müsse nicht unbedingt nach einem Standardkonzept verlaufen. „Junge Mediziner sollten über den Tellerrand schauen und achtsam mit sich umgehen“, resümiert Sopka. Für Brülls bedarf es vor allem einer gesunden Mischung aus Verantwortung für die Patienten und dem Respekt vor dem „großen wunderbaren Fach Medizin“.

Die Experten

Prof. Dr. Christian Brülls

Prof. Dr. Christian Brülls
 
Prof. Dr. Christian Brülls ist geschäftsführender Oberarzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik RWTH Aachen und ab dem 1. Juni Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin der Marienkliniken Siegen.

Privatdozent Dr. med. Saša Sopka

Privatdozent Dr. med. Sasa Sopka
 
Privatdozent Dr. med. Saša Sopka ist Oberarzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin sowie ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrum AIXTRA für Training und Patientensicherheit an der Uniklinik RWTH Aachen.

Fotos: © privat

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