
Die Anforderungen an Medizinerinnen und Mediziner haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. In einer Branche, in der fachliche Expertise und menschliche Zuwendung gleichwertig gefragt sind, stehen Kliniken und Praxen gleichermaßen vor der Herausforderung, das ärztliche Personal umfassend auszubilden. Dr. Bernhard Steinweg, Geschäftsführer des Studiendekanats der Medizinischen Fakultät Bonn, sieht die Notwendigkeit, strukturierte Lehrkonzepte zu schaffen und betont die Bedeutung eines kultursensiblen Ansatzes für die Integration ausländischer Ärztinnen und Ärzte. Ein moderner Ansatz zur medizinischen Weiterbildung bildet dabei den Schlüssel zur Verbesserung der Versorgungsqualität und der Berufszufriedenheit im Gesundheitswesen.
Die medizinische Aus- und Weiterbildung ist einem enormen Wandel unterworfen. Während sich die Medizin selbst stetig weiterentwickelt, steigen die Anforderungen an Ärztinnen und Ärzte in vielerlei Hinsicht. „Ärzte müssen heute nicht nur hervorragende Diagnostiker und Therapeuten sein, sondern auch kommunikations- und teamfähig. Diese Kompetenzen sind in der heutigen Zeit unerlässlich,“ betont Dr. Steinweg. Gleichzeitig ist die Arbeitsrealität intensiv und von hoher Dichte sowie Verantwortung geprägt, sei es in der Klinik oder in der Praxis. Der Anspruch, fachlich und persönlich auf die komplexe Arbeit vorbereitet zu sein, wird immer wichtiger. „Um das zu erreichen, müssen auch die Lehrenden an den Universitäten sowie den Weiterbildungsstätten gut ausgebildet sein. Sie benötigen die richtigen Werkzeuge, mit denen sie eine strukturierte sowie kompetenzorientierte Weiterbildung gestalten können und die sie in ihrer Rolle als Vermittler und Mentoren nutzen können,“ erklärt Steinweg.
Fehlende strukturierte Ausbildung
Ein zentrales Problem ist das Fehlen einer strukturierten Weiterbildung im Facharztbereich. Häufig fehlen klare Weiterbildungscurricula, die aufzeigen, welche Kompetenzen in welchem Zeitraum erworben bzw. welche ärztlichen Tätigkeiten anvertraut werden sollten. Diese Unsicherheit führt dazu, dass sich viele junge Ärztinnen und Ärzte in ihrem Ausbildungsprozess orientierungslos fühlen. Dies betrifft nicht nur die inhaltliche Weiterbildung, sondern auch den Austausch mit den Weiterbildungsbefugten in den Ausbildungsstätten und die Möglichkeit, regelmäßig Feedback zur eigenen (Weiter-) Entwicklung zu erhalten. Steinweg betont: „Wir müssen die Weiterbilder mit didaktischen Konzepten unterstützen, die gezielte Fortschritte ermöglichen und die Weiterbildung transparenter gestalten.“
Weiterbildung findet überall dort statt, wo Ärztinnen und Ärzte arbeiten – das betrifft nicht nur die Kliniken. Auch Niedergelassene in Praxen oder MVZ haben täglich die Aufgabe, Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, sei es an junge Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung oder medizinische Fachangestellte . „Jeder Arzt ist im Prinzip auch Lehrer, ob in der Praxis oder der Klinik,“ so Steinweg. „Deshalb ist es entscheidend, dass alle Ärzte die grundlegenden Techniken des Lehrens beherrschen. Das sollte genauso Teil der Ausbildung sein wie die fachlichen Kompetenzen.“
Um Lehrende konkret zu unterstützen, liegt der Ansatz darin, sie auf die unterschiedlichen Rollen vorzubereiten, die sie in ihrem Berufsalltag einnehmen. Eine Ärztin ist in der Regel nicht nur medizinischer Expertin, sondern übernimmt auch Aufgaben als Kommunikatorin, Teammitglied und oft auch als Mentorin. „Ein Arzt muss lernen, Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln und Feedback zum Entwicklungsprozess zu geben – das ist eine wichtige Rolle, die oft unterschätzt wird,“ erklärt Steinweg.
Spezielle Schulungen für Weiterbildende, wie sie von Seiten der Ärztekammer Nordrhein bald obligatorisch vorausgesetzt werden, legen den Grundstein und vermitteln praktische Werkzeuge, die im Alltag helfen sollen. Die Idee ist, dass die Lehrenden ein Bewusstsein für ihre Rolle entwickeln und lernen, wie sie ihr Wissen effektiv weitergeben können. Die Schulungen sind praxisnah gestaltet und sollen den Lehrenden gleichzeitig helfen, sich ihrer Stärken und Schwächen in der Lehre bewusst zu werden.
Integration ausländischer Ärztinnen und Ärzte
Ein großes Thema ist die Integration von Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland – eine der größten Herausforderungen, insbesondere in den nicht-universitären Kliniken, aber auch im niedergelassenen Bereich. Häufig bringen diese Kolleginnen und Kollegen hervorragende fachliche Kenntnisse mit; die sprachliche und kulturelle Anpassung ist jedoch oft ein Hindernis.
Damit sie im deutschen Gesundheitssystem erfolgreich arbeiten können, ist es wichtig, dass gezielte Angebote gemacht werden. „Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Ärzte mit viel Wissen und Können zu uns kommen, aber oft vor sprachlichen und kulturellen Hürden stehen,“ so Steinweg. Das beginnt mit Sprachkursen und geht bis hin zu inter-kulturellen Trainings, die helfen, den medizinischen Alltag in Deutschland besser zu verstehen. Hierbei ist ein sensibles Vorgehen gefragt, und das Wissen, das ausländische Ärztinnen und Ärzte mitbringen, sollte als Stärke gesehen werden. Nicht nur die Sprachbarrieren, sondern auch die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Patientinnen und Patienten und im Arbeitsumfeld müssen berücksichtigt werden, um eine Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und Integration in den Arbeitsalltag zu schaffen.
Ein weiteres innovatives Konzept in der Weiterbildung sind die sogenannten „Lehrmomente im Arbeitsalltag“. Das sind kurze, gezielte und vor allem planbare Einheiten, die sich gut in den täglichen Ablauf integrieren lassen. In Kliniken lässt sich dies beispielsweise während der Visite umsetzen, bei der Medizinstudierende sowie Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung lernen, strukturiert Patientinnen und Patienten vorzustellen, sich Diagnostik- sowie Behandlungskonzepte zu überlegen und dazu Rückmeldungen erhalten. In der Praxis könnte dies während einer Vorsorgeuntersuchung geschehen, bei der der Assistenzarzt schrittweise bestimmte Aufgaben übernimmt bzw. ärztliche Tätigkeiten anvertraut bekommt und dazu direktes Feedback erhält. „Es ist eine praxisnahe Möglichkeit, Wissen zu vermitteln und zu vertiefen, ohne dass zusätzliche Belastungen entstehen,“ erklärt Steinweg. „In den Kliniken und Praxen kann man durch gezielte Lehrmomente den Alltag nutzen, um junge Kollegen zu fördern.“
Konzept stößt auf Interesse
Insgesamt wird dieses Konzept sehr gut angenommen. Viele Ärztinnen und Ärzte schätzen die Möglichkeit, Weiterbildung in den Arbeitsalltag zu integrieren und begrüßen die praxisnahen Ansätze. Natürlich gibt es auch Skepsis, insbesondere in den Praxen, da der Gedanke, sich didaktisch weiterzubilden und das eigene Lehrverhalten zu reflektieren, für viele noch ungewohnt ist. „Es braucht ein Umdenken, aber wir sehen, dass die positiven Rückmeldungen zeigen, wie hilfreich dieser Ansatz im Alltag ist,“ sagt Steinweg. Die Kurse helfen den Teilnehmenden dabei, ihre eigene Arbeit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und zu überlegen, wie sie den Alltag strukturieren können, um die Lernenden bestmöglich zu fördern.
Die medizinische Weiterbildung steht vor großen Herausforderungen, die jedoch auch Chancen bieten, wie Steinweg verdeutlicht. Mit gezielten Maßnahmen, strukturierten Plänen und einem kultursensiblen Ansatz kann die Weiterbildung für medizinisches Fachpersonal nachhaltig verbessert werden. Dabei spielen Kliniken und Praxen gleichermaßen eine Rolle, denn Lehren und Lernen hört nach dem Studium nicht auf. Vielmehr ist es ein ständiger Prozess, der von allen Beteiligten getragen und aktiv gestaltet werden muss. Die Integration von „Lehrmomenten“ in den Alltag, die Förderung von Lehrenden und die Unterstützung internationaler Fachkräfte sind dabei nur einige der Ansätze, die helfen, die Weiterbildung im Gesundheitswesen auf ein neues Level zu heben.