Ob Säureattacken oder Verbrennungsopfer: Wie ein plastischer Chirurg in Uganda hilft

31 Oktober, 2022 - 06:14
Michael Fehrenschild
Plastische Chirurgen beim Einsatz in Uganda
Operation im „LAMU hospital – Jinja Centre for Reconstructive and Global Surgery“. Von links: Dr. Obady Kambale Vitswamba, Dr. Jan Wynands, Dr. Moses

Dr. Jan Wynands, Plastischer Chirurg an der Bonner Uniklinik, hat in Uganda ein Zentrum für wiederherstellende Chirurgie mitaufgebaut. Im Sommer 2022 fand dort der erste große internationale medizinische Einsatz statt. Ein Bericht über ein Projekt für die Ärmsten.

Mehr als nur Handgepäck: Mit 240 Kilogramm Material flog Dr. Jan Wynands in diesem Sommer nach Ostafrika. Seine Koffer waren voll mit Nahtmaterial und chirurgischen Instrumenten. Ziel: die neue Klinik für wiederherstellende Chirurgie in Jinja. Dort, in Ugandas viertgrößter Stadt, wartete schon ein neunköpfiges internationales Team auf den Bonner Mediziner – sowie sehr viele Patientinnen und Patienten.

120 Menschen mit den unterschiedlichsten Verletzungen hatten sich im „LAMU hospital – Jinja Centre for Reconstructive and Global Surgery“ am 29. Und 30. Juli 2022 eingefunden. 50 davon nach einem Fußmarsch von bis zu drei Tagen. Im ersten Schritt wurden sie alle von Wynands und seinem Team untersucht und gescreent. Jennifer beispielsweise, die bei einem Säureangriff ihr Kind schützen wollte. Durch die Attacke wurden Kopf und Oberkörper verletzt. Nun sind Kinn, Hals und Brust in einer Narbenplatte miteinander verwachsen – ein Fall von häuslicher Gewalt. „Bei ihr gab es eine tiefgehende Destruktion des Weichteilgewebes und der Haut. Mit verschiedenen plastisch-chirurgischen Techniken konnten wir mit lokalem und regionalem Gewebetransfer Form und Funktion anteilig wiederherstellen. Nun kann sie ihren Kopf wieder frei bewegen“, so der Bonner Mediziner. „Bei solchen Fällen ist vieles möglich. Manchmal braucht man nicht mal eine Menge Apparate. Da reicht ein Ultraschall, um zu sehen, ob es ein Gefäß gibt, welches das gesunde Gewebe versorgt.“

Insbesondere benötige man ein gutes Verständnis für Anatomie und Geometrie sowie ein chirurgisches Basis-Set, aber nicht viel mehr. Ein anderer Patient war Roger. Ihn hatte man ausgeraubt und danach auf ein Bahngleis gelegt. Ein Zug kam, er verlor beide Beine und Arme. Danach erfolgten unsachgemäße Amputationen. Nach zwei Revisionseingriffen zur Stumpfneuformung während des Operationseinsatzes hofft er endlich auf gutsitzende Prothesen, die er wirklich tragen kann. Eine enge Kooperation mit der deutschen NGO ProUganda ermöglicht die Fertigung hervorragender Prothesen für amputierte Menschen in Uganda.

Viele Behandlungen sind möglich – aber nicht alle

Am Ende des viertägigen Einsatzes waren 27 Personen erfolgreich operiert. Viele der anderen Hilfesuchenden müssen leider noch warten. „Das Team hatte zu entscheiden, wem in kurzer Zeit unter diesen Bedingungen sicher und zuverlässig geholfen werden kann“, erklärt Wynands. „Manche chirurgischen Fertigkeiten besaßen weder ich noch meine Kollegen. So werden Klumpfüße in einem separaten Spezialeinsatz operiert.“ Dafür wurden die Patienten bereits registriert.

Und manches geht gar nicht, zum Beispiel Hilfe für therapiebedürftige Krebspatienten. „Ihnen ist nicht gedient, wenn man einen ersten Eingriff macht und die notwendigen Folgebehandlungen wie Chemo oder Bestrahlung nicht garantiert sind. Dann ist es oft besser, gar nicht einzugreifen. Das ist ein ethisches Dilemma, aber man muss für sich da rote Linien ziehen“, bedauert Wynands.

Eine neue Klinik zur Ausbildung von einheimischen Personal

Natürlich sei so ein Einsatz oft nicht leicht, wie der Bonner erklärt. „Psychologisch blickt man in Abgründe, was Menschen anderen Menschen antun. Und dass wir in wenigen Tagen vor Ort nicht allen helfen können, ist auch belastend.“ Dennoch überwiegt bei dem engagierten 42-Jährigen das Positive – und zwar bei Weitem: „Vor vier Jahren war das alles noch ein Acker und jetzt steht hier eine tolle Klinik.“ Dieses Projekt realisierte er mit dem von ihm gegründeten Verein „ANDO modular aid e.V.“, wobei es ihm insbesondere um „capacity building“ geht. Das bedeutet, Leute vor Ort auszubilden. Wynands betont dazu: „Man muss sich von der Idee verabschieden, dass wir die Welt in kurzer Zeit retten könnten. Stattdessen sollten wir uns so schnell wie möglich überflüssig machen.“ Die berühmte Hilfe zur Selbsthilfe also. Und diese Vorgehensweise zeigt bereits jetzt Erfolge.

So stand Wynands und seinem Kollegen Dr. Andreas Kolbinger mit Obady Kambale Vitswamba aus dem Kongo am OP-Tisch ein Experte zur Seite, der vieles besser konnte als die Fachleute aus Deutschland: „Obady hat schon wesentlich mehr gesichtsrekonstruktive Eingriffe für Schwerverletzte gemacht als ich“, erzählt der Bonner. Beispielsweise war der Mund einer Patientin zur Hälfte mit einer Narbe verwachsen, sodass sie eine Seite nicht mehr öffnen konnte. Wynands erläutert dazu: „Es gibt eine Technik aus der Handchirurgie, eine geometrische Lappenplastik, die nennt man ‚jumping man‘. Darin fühlte ich mich nicht firm, anders Obady. Er packte einen Bleistift aus, zeichnete eine Schablone, legte die auf die Patientin und operierte perfekt. Es hat genau gepasst.“ Überhaupt habe sich einiges in Afrika verändert, führt Wynands aus: „Heutzutage in kolonialer Manier dahinfahren und zu sagen ‚besser ich als keiner‘, funktioniert nicht mehr. Und das ist gut so!“

Und wie kam Dr. Jan Wynands zu seinem Engagement?

Bereits vor seinem Studium half Wynands in einer Leprastation in der Nähe von Kathmandu in Nepal. Hierbei lernte er Interplast-Germany kennen. Der Verein baute Ende der 1990er Jahren außerhalb Katmandus eine Klinik für Verbrennungsopfer auf. Wynands erinnert sich: „Ein Kind mit Verbrennungskontrakturen saß nur noch lethargisch im Staub. Die Arbeit der Experten war so gut, dass es am Tag meiner Abfahrt nach Deutschland wieder hinter einem Ball her rannte. Das war meine Stunde null! Danach wollte ich Plastischer Chirurg werden und auch eine Klinik gründen.“ Und Uganda ist nicht seine erste. 2010 baute er bereits eine Kinderklinik in Ghana mit auf, die heute autark arbeitet.

Und es gibt noch mehr Pläne. So sollen in den neuen Seminarräumen in Jinja demnächst „negotiations skills" trainiert werden, Verhandlungstechniken für medizinisch tätiges Personal in Kriegs- und Krisenregionen. Das kann in bedrohlichen Situationen wichtig sein, wenn zum Beispiel auf der Station Angehörige fordern, dass ein Patient zuerst behandelt wird, weil er einem wichtigen Clan angehört. Oder es ist die Erlaubnis eines Warlords für medizinische Hilfe nötig, wenn etwa ein Tanklastzug in einem umkämpften Gebiet explodiert ist, es viele Verletzte gibt. Zu den Workshops werden verschiedene Fachkräfte eingeladen, die zum Beispiel auch bei Geiselnahmen verhandelten.

Hilfe für die Helfer gesucht

Weitere Unterstützung kann der engagierte Mediziner übrigens immer gebrauchen. Für „ANDO modular aid“ werden stets Mitstreiter gesucht. Denn zurzeit gibt es in Uganda nur 14 ausgebildete plastische Chirurgen. Und diese arbeiten zum Teil in Privatkliniken – unbezahlbar für fast alle Einheimischen. Doch auch Fachleute aus anderen medizinischen Bereichen können sich beteiligen: So gibt es in der neuen Klinik auch eine gynäkologische Abteilung. Und sogar ganz andere Berufsgruppen, wie IT-Spezialisten für den Online Auftritt, werden gebraucht. Spenden sind natürlich immer erwünscht.

Der Experte

Dr. Jan Wynands ist Europäischer Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und hat in zahlreichen international etablierten Kliniken gearbeitet. Er hat an vielen humanitären Einsätzen teilgenommen, wie Afghanistan, Gaza, Mali, Pakistan, Somalia oder Süd-Sudan. Dabei arbeitete er für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen e. V. sowie Interplast e.V. Heute hat er eine 60-Prozent-Stelle am Universitätsklinikum Bonn (UKB) inne und ist dort Leiter der Arbeitsgruppe „Global Surgery“.

Kontakt: Jan.Wynands@ukbonn.de

Bild: © Woodrow Wilson/ANDO-modular

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