Wie kann ich als Arzt oder Ärztin im Ausland helfen?

15 Juni, 2022 - 13:01
Michael Fehrenschild
Zahnarztbesuch bei Schulkindern in Mavanga / Tansania: Senior Experte Dr. Dieter Bischofberger begleitet Fachkollegen bei der Befunderhebung.

Die Not ist weltweit groß, ärztliches Know-how vielerorts gesucht. Aber muss ich für humanitäre Einsätze unbedingt ins Krisengebiet? Und wie werden eigentlich die Kandidatinnen und Kandidaten dafür ausgewählt? Dr. Elisabeth Sümmermann vom Senior Experten Service (SES) macht genau das und informiert darüber.

Medizinerinnen und Mediziner auf ehrenamtlicher Mission in Afrika, Asien & Co. arbeiten nicht selten unter schwierigsten Bedingungen, manchmal ist es sogar gefährlich. Doch das muss nicht zwingend sein. Wer zum Beispiel für ein paar Wochen in Nepal als Kinderarzt die Sprechstunde des dortigen Dorfarztes unterstützen will, kann das über den Senior Experten Service (SES) tun. Ebenso ist es als Augenärztin möglich, nach Peru zu gehen, um dort einheimische Studierende auszubilden.

Noch vor wenigen Jahren vermittelte der SES – der Expertinnen und Experten aller Richtungen vom Bäckermeister bis zur Ingenieurin in die Welt schickt – ausschließlich Menschen im Ruhestand. Inzwischen kommen zahlreiche junge Fachleute dazu, die für den 2017 gegründeten Weltdienst 30+ unterwegs sind. Dazu gehören auch immer mehr Ärztinnen und Ärzte – und die zählen weltweit sogar zu den gefragtesten Kräften. „Früher war medizinisches Personal bei uns ein ganz kleiner Posten. Dieser ist mit der Zeit gewachsen und heute sehr wichtig. Und wir haben immer mehr junge Leute dabei, anfangs fast nur Männer, heute aber auch schon etwa ein Viertel Frauen“, sagt Dr. Elisabeth Sümmermann, die für diese Organisation Medizinerinnen und Mediziner in die zahlreichen Projekte vermittelt.

Dabei ist die seelische Belastung der Helfer in den SES-Teams vielleicht nicht ganz so hoch wie bei anderen Hilfsorganisationen. Denn es gibt einen wichtigen Unterschied, wie die Chirurgin im Ruhestand erläutert: „Wir sind keine Ärzte, die dort hingehen, wo es gerade brennt, um zum Beispiel schwerkranke Kinder zu retten. Wir fahren meistens als Lehrende zu den Menschen. Unsere Leute erklären eher den lokalen Studierenden, wie etwa eine Hauttransplantation oder eine schwierige Knieoperation ausgeführt wird.“ Und das wird zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Afrikanischen Jugendwerk (DAJW) immer häufiger in sogenannten Tandem-Teams gemacht. Ein erfahrener deutscher Mediziner wie ein Oberarzt geht dann für ein paar Wochen nach Afrika in eine Klinik und nimmt einen jungen Kollegen mit, um einen einheimischen Assistenzarzt weiter auszubilden. Nach einer Weile kommt dann der afrikanische Kollege nach Deutschland und bleibt ein paar Wochen hier. Zudem wird ein Online-Kontakt eingerichtet. Nur im Falle eines Falles müssen die Ärztinnen und Ärzte vom SES auch selbst Hand anlegen. „Das kommt im Notfall vor, ist aber nicht die Regel“, so Dr. Sümmermann.

Wie kann ich einsteigen?

Interessierte registrieren sich zunächst in der SES-Datenbank – und müssen dann warten, bis sie gebraucht werden. Denn am Anfang steht das Projekt. Da sucht der SES beispielsweise einen Arzt oder eine Ärztin, der oder die eine Rehabilitationsklinik in Afrika beim Aufbau beraten soll. Dann durchforstet Dr. Sümmermann die Datenbank und findet zumeist schnell einige Kandidatinnen und Kandidaten, deren formale Qualifikation passt. Jetzt sucht sie das persönliche Gespräch und stellt die Aufgaben erst einmal ausführlich vor – vor allem bei denjenigen, die zum ersten Mal dabei sind. Sollte jemand „anbeißen“ und zusagen, kommt der nächste Schritt. Nun steht der Besuch eines zweitägigen Vorbereitungsseminars auf dem Programm, bei dem alle möglichen generellen Dinge besprochen werden. Und bevor die Projektleiter die Flugtickets aushändigen, „klopfen“ sie die Helferinnen und Helfer noch einmal ab, und zwar in Form einer langen Unterhaltung über den konkreten Einsatz. Was ist länderspezifisch? Worauf muss man achten? Wie kommt man da überhaupt hin? Dann erst geht es los.

Vor Ort werden die Ehrenamtlichen von lokalen Repräsentantinnen und Repräsentanten des SES in Empfang genommen, zu denen der Kontakt gehalten werden sollte. Aber im Wesentlichen kümmert sich ab hier das dortige Krankenhaus um sie. Alles in allem ist ein solcher Auslandsaufenthalt also gut vorbereitet und eingebettet. „Es ist sehr selten, dass es während des Einsatzes gravierende Probleme gibt. Es kommt so gut wie nie vor, dass Helfer nach Deutschland zurückgeholt werden – nur wegen der Corona-Pandemie geschah das leider häufig“, erklärt Dr. Sümmermann.

Was muss ich mitbringen?

Um sich beim SES zu engagieren, sollten Ärzte und Ärztinnen ihren Job bereits mindestens acht Jahre lang ausüben, wobei die Zeit der Facharztausbildung dazuzählt. Aber das allein reicht noch nicht. Es kommt auch auf die Einstellung an, wie Dr. Sümmermann durch ihre früheren eigenen Einsätze etwa in Togo, Kenia, Syrien und vielen anderen Ländern weiß: „Man muss hochmotiviert, kommunikativ sowie weltoffen sein und sich vor allem an fremde Lebensgewohnheiten und -verhältnisse anpassen können. Im Ausland ist aus unserer deutschen Sicht vieles „anders“, und damit muss man klarkommen. Wer neu ist, sollte daher erst mal gucken, was vor Ort eigentlich läuft – und auch mal den Mund halten können. Darauf werden die Einsatzwilligen aber von uns eingestimmt. Fremdsprachenkenntnisse helfen auch, wir haben aber immer Übersetzer vor Ort.“

Infos: Der Senior Experten Service (SES)

Der Senior Experten Service (SES), die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit, wurde 1983 gegründet. Seine Träger sind der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sind. Die Bonner Organisation wird unter anderem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.

Nach dem Bildungswesen ist der Gesundheitsbereich der zweitstärkste Sektor des SES:  Rund 1.600 seiner 12.500 Expertinnen und Experten kommen aus Gesundheitsberufen. Der SES arbeitet weltweit, es gibt aber keine Einsätze in Kriegsgebieten. Alle Einsätze sind ehrenamtlich, kosten die Helferinnen und Helfer aber auch kein Geld. Heißt: Flugtickets, Kost und Logis werden gestellt, und auch die Registrierung ist kostenlos.

Weitere Informationen: www.ses-bonn.de

Vorgesetzte überzeugen

Für die jüngeren Medizinerinnen und Mediziner, die „raus“ wollen, gibt es noch eine manchmal schwierige Hürde: den Arbeitgeber. Wobei es auch auf die Länge des Aufenthalts ankommt. Beim SES dauern viele Einsätze nur drei oder vier Wochen. Diese können durchaus im regulären Urlaub geleistet werden. Manche Projekte erfordern aber ein Engagement über einen längeren Zeitraum. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber die Hilfswilligen entweder freistellt oder diese sich  zum Beispiel im Sabbatical befinden. „Frei zu bekommen, ist nicht immer unproblematisch, denn die Klinken geben ihre Leute nicht immer gerne ab“, weiß Dr. Sümmermann. Für ein Entgegenkommen nennt sie aber ein gewichtiges Argument: „Wenn ich jemanden in eine Klinik nach Nepal oder Indien schicke, dann kommt er oder sie mit einer tiefen Erfahrung wieder, fachlich wie menschlich. Und diese Freiheit, das machen zu dürfen, bringt Ärztinnen und Ärzte unter Umständen auch dazu, ihrer Klinik treu zu bleiben. Das muss man den Vorgesetzten klarmachen.“ Insgesamt sind die Hürden für jüngere wie ältere Ärztinnen und Ärzte daher meist gut überwindbar. Ist das geschafft, erwartet sie das, was Dr. Sümmermann selbst oft erlebte: „eine wundervolle Erfahrung“.

Die Expertin

Dr. Elisabeth Sümmermann

Dr. Elisabeth Sümmermann machte zunächst 1974 einen Abschluss in Diplom-Sozialpädagogik, von 1976 bis 1982 studierte sie dann Medizin in Heidelberg und war zuletzt als Chefärztin der Allgemeinchirurgie (spezielle Viszeralchirurgie) im St. Walburga-Krankenhaus in Meschede tätig. Seit 2014 engagiert sich die auslandserfahrene Ärztin ehrenamtlich beim SES in Bonn und sucht passende Expertinnen und Experten für Einsätze im medizinischen Bereich.

Bild: © privat

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