Im Interview berichtet Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, was man in Österreich tut, um deutsche Ärztinnen und Ärzte ins Land zu locken. Mit Erfolg, denn der Nachbarstatt gilt als zweitbeliebtestes Auswanderungsland für junge Medizinerinnen und Mediziner.
Wie hoch ist der Anteil an deutschen Ärztinnen und Ärzten in Österreich und warum braucht Österreich auch deutsche Ärztinnen und Ärzte auf dem Arbeitsmarkt?
Dr. Harald Mayer: Laut unserer Statistik haben etwa 16 Prozent der rund 49.000 in Österreich tätigen Ärztinnen und Ärzte keine österreichische Staatsbürgerschaft – Deutschland stellt hier mit 3.210 Personen die größte Gruppe, Tendenz steigend. Und Österreich braucht medizinische Kräfte aus dem Ausland dringend, um die Gesundheitsversorgung stabil zu halten. Denn von den jährlich rund 1.300 Absolventen des Medizinstudiums bleiben etwa 800 in Österreich.
Was macht Österreich für deutsche Medizinerinnen und Mediziner attraktiv?
Dr. Harald Mayer: Einerseits können Deutsche, die Ärztin oder Arzt werden wollen, den Aufnahmetest für das Medizinstudium in Österreich ohne Numerus-clausus-Druck machen. Die Chancen, den Test zu bestehen, stehen dank der Kontingente für EU-Ausländer gut. Für Deutsche ist natürlich die gleiche Sprache attraktiv. Dadurch können sie ohne Hürden als Arzt oder Ärztin arbeiten. Außerdem hat Österreich einen hohen Lebensstandard: Wien wird ja zum Beispiel regelmäßig zu einer der lebenswertesten Städte der Welt ausgezeichnet. Und auch ein durchaus vergleichbares Gehaltsniveau und die geografische Nähe zu Deutschland sind attraktiv.
Gibt es bürokratische Hürden, die deutsche Medizinerinnen und Mediziner überwinden müssen, um in Österreich zu arbeiten?
Dr. Harald Mayer: Zum einen ist da der schon erwähnte Aufnahmetest für das Medizinstudium für werdende Ärztinnen und Ärzte. Als bereits approbierte Ärztin oder approbierter Arzt ist es relativ einfach, in Österreich zu arbeiten, sofern man die Zusage für eine Stelle hat. Einen Anerkennungsprozess beziehungsweise eine Beantragung der Approbation ist in Österreich für deutsche Ärztinnen beziehungsweise Ärzte nicht notwendig. Man muss sich einzig bei der Ärztekammer mit den dafür notwendigen Dokumenten und dem Nachweis des ärztlichen Diploms in die Ärzteliste eintragen lassen. Nach einer Prüfung der Unterlagen hinsichtlich der Erfüllung der Kriterien für die Berufsausübung als Ärztin oder Arzt kann man zu arbeiten beginnen. Die bürokratischen Hürden sind also recht überschaubar.
Zahlen und Fakten zu Österreich
Laut Statista gab es in Österreich im Jahr 2022 rund 49.500 Ärztinnen und Ärzte, wobei deren Zahl kontinuierlich ansteigt (seit 1990 hat sie sich mehr als verdoppelt). Verglichen mit dem Rest Europas weist im Jahr 2021 Österreich mit 545 Ärztinnen und Ärzten auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern das beste Verhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und Einwohnerinnen und Einwohnern auf. Zum Vergleich: In Norwegen als zweitplatziertes Land lag die Zahl bei etwa 517.
An welche Stellen können sich Ärztinnen und Ärzte wenden, wenn sie Hilfe brauchen?
Dr. Harald Mayer: Bei uns in der Österreichischen Ärztekammer gibt es eine Stelle für internationale Angelegenheiten und auf unserer Website eine Info-Seite, die man unter www.aerztekammer.at findet – dort sind alle wichtigen Informationen zu finden.
Wie Sie eben erwähnten, werden deutsche Ärztinnen und Ärzte keine Sprachprobleme in Österreich haben, aber gibt es kulturelle Unterschiede, die sie beachten sollten?
Dr. Harald Mayer: Ich glaube nicht, dass Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland kulturelle Anpassungsschwierigkeiten haben – vielleicht mag in manchen Gebieten in Österreich der Dialekt gewöhnungsbedürftig sein. Aber wir wissen ja, dass ihr Deutsche uns Österreicher tief im Herzen – trotz einiger weniger lustvoll ausgelebter Rivalitäten, etwa im Fußball – liebt, unsere Sprache, die Berge, die Wiener Kaffeehauskultur, die Mehlspeisen, die Wiener Staatsoper und das Burgtheater und insbesondere unser echtes Wiener Schnitzel.
Sie sagten es eben: Es gibt zahlreiche Studierende, die in Österreich mit einem Medizinstudium beginnen, weil sie in Deutschland keinen Platz bekommen haben. Bemühen Sie sich auch aktiv um diese Gruppe, damit diese im Land bleiben?
Dr. Harald Mayer: Wie ich oben bereits erwähnt habe, bleiben von den Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums in Österreich viel zu wenige bei uns im Land. Wir haben sogar extra geforscht, wie viele von den deutschen Medizinabsolventinnen und -absolventen, die in Österreich studiert haben, Österreich danach verlassen – das sind rund 75 Prozent! Wir als Bundeskurie angestellte Ärztinnen und Ärzte der Österreichischen Ärztekammer bemühen uns ganz intensiv darum, die Jungärztinnen und -ärzte zu motivieren, anschließend ans Studium auch wirklich den Arztberuf in Österreich zu ergreifen. Leider werden uns seitens der Politik immer wieder Hürden in den Weg gestellt, etwa was die angebotenen Ausbildungsplätze in den Spitälern angeht, von denen viel zu viele brach liegen und nicht besetzt sind. Wir arbeiten auch ständig an der Attraktivierung der Arbeitsbedingungen oder daran, flexible Arbeitszeitmodelle, die dem jeweiligen Lebensabschnitt angepasst sind, zu ermöglichen. Die Jungen sind unsere Zukunft, wir brauchen sie, um unsere Gesundheitsversorgung auf Top-Niveau halten zu können – daher hören wir ihnen ganz genau zu, um zu wissen, wie sie in Zukunft als Ärztin oder Arzt arbeiten wollen. Genau zu diesem Thema haben wir zum Beispiel in diesem Jahr eine Enquete mit über 100 Teilnehmenden veranstaltet.
Wie könnten Deutschland und Österreich zusammenarbeiten, um sich nicht gegenseitig die Ärztinnen und Ärzte abspenstig zu machen und gemeinsam an Lösungen für den Ärztemangel zu arbeiten?
Dr. Harald Mayer: Ich denke, dass ein internationaler Wettbewerb grundsätzlich gut ist, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. In erster Linie wäre es aber notwendig, dass europaweit, und insbesondere im deutschsprachigen Raum, genug Medizininnen und Mediziner ausgebildet werden. Diesen Eindruck habe ich aktuell in Deutschland nicht. Darüber hinaus wäre ein genauer Datenaustausch notwendig, um wirklich feststellen zu können, wer warum wohin geht. Mit den Kollegen der Ärztekammern aus Deutschland und der Schweiz sind wir in sehr gutem und regelmäßigem Austausch, welche Entwicklungen es in den Gesundheitssystemen gibt.