
Den ärztlichen Nachwuchs zu fördern und junge Ärztinnen und Ärzte zu binden, ist eine anhaltende Aufgabe. Diese Herausforderung stellt sich den Personalvorständen und -abteilungen, insbesondere allerdings den direkten Personalverantwortlichen in den Kliniken und Bereichen: den Chef- und Oberärzten.
Die tägliche Arbeit mit großer medizinischer und menschlicher Verantwortung für die Patientinnen und Patienten ist herausfordernd und belastend. Eine Parallelaufgabe ist das Anleiten und Führen der ärztlichen Mitarbeitenden. Man weiß, dass Ärztinnen und Ärzte in leitender Position dies oftmals lediglich als nachrangige Aufgabe sehen. Doch die ärztliche direkte Führung ist maßgeblich für die Entwicklung und Bindung der Ärztinnen und Ärzte sowie das nichtärztliche Personal in der Patientenversorgung.
Arbeit ist nicht mehr alles
Gewachsene Hierarchien und Machtstrukturen haben geholfen, „die Klinik am Laufen zu halten“. Dies funktioniert heute so nicht mehr. Die jüngeren Ärztinnen und Ärzte erwarten andere Strukturen, ein anderes Eingebunden sein und auch Wertschätzung für ihre Arbeit. Arbeit ist nicht mehr alles: Gerade die jungen Ärztinnen und Ärzte arbeiten, um zu leben und nicht umgekehrt. Führungskräfte müssen sich anders verhalten, über ihren eigenen Schatten springen, Resilienz ernst nehmen, mit den Mitarbeitenden reden, erklären und auf Augenhöhe motivieren. Das Rollenverständnis der Chef- und Oberärzte sollte so sein, dass sie neben ihren medizinisch-fachlichen Aufgaben auch ihre Führungsrolle ernst nehmen. Aufgabe von Führung ist es, den eigenen Verantwortungsbereich zukunftsfähig zu gestalten. Dies geht nur mit guten Mitarbeitenden, die dauerhaft motiviert sind und in der Klinik bleiben. Eine hohe Fluktuation bindet Energie, führt zu Unwirtschaftlichkeit, schadet der fachlichen Expertise und dem Image des Krankenhauses. Ungeplante Fluktuation ist nicht immer, aber oftmals Folge von schlechter Führung.
Um Personal zu binden, können Führungskräfte spezifische Instrumente einsetzen, die es schon gibt und die nicht erst entwickelt werden müssen:
- Klare Strukturen schaffen: Führung im klassischen Sinn definiert zunächst die Organisation mit klaren Verantwortlichkeiten: Wer ist wofür wann zuständig, wer darf wem was sagen, wer steht bei Unsicherheiten zur Seite. Diese Rahmenregelungen müssen Führungskräfte eindeutig und transparent kommunizieren. Im Sinne der Partizipation und zur Steigerung der Akzeptanz ist dabei den individuellen Kompetenzen und auch den Erwartungen der ärztlichen Mitarbeitenden Rechnung zu tragen.
- Werte kommunizieren: Führung heißt authentisch zu sein und die eigene Vorbildrolle zu reflektieren. Die Werte der Klinik und der Führungskraft stehen im Mittelpunkt: Was ist der Klinik und mir als Führungskraft wichtig? Nach welchen Werten arbeite ich? Wofür „brenne ich“? Was erwarte ich von Einzelnen und vom Team? Neben medizinischen Fachgesprächen und Anweisungen geht es insbesondere um einen Austausch über die Erwartungen an ein gutes Miteinander und eine Reflexion der Arbeit im Team.
- Ziele gemeinsam definieren: Führung über gemeinsam geteilte Ziele, sei es in der Klinik oder im einzelnen Team, kann eine hohe Motivation und Bindung der Mitarbeitenden erzeugen. Die Partizipation bei der Zielentwicklung und -umsetzung steht dabei im Mittelpunkt: Was sind die Herausforderungen für die Klinik und das Team? Wie wollen wir diese lösen und was kann jeder Einzelne hierzu beitragen? Über die Ziele richten die Führungskräfte das Gesamtsystem aus und erzielen ein Commitment.
- Potenziale fördern und Talente erkennen: Neben den täglichen Arbeitsgesprächen sollten Führungskräfte regelmäßig strukturierte Mitarbeitergespräche führen, sogenannte Vier-Augen-Gespräche, einmal im Monat oder Halbjahr. In den Gesprächen gilt es die Erwartungen und Wünsche abzugleichen sowie gemeinsame Vereinbarungen zu treffen. Bei den Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten stehen insbesondere die Weiterbildung und die Perspektiven im Vordergrund. Dabei sollten Führungskräfte Aufgaben in Abhängigkeit der Kompetenzen gezielt delegieren, wertschätzendes Feedback geben und kleine Projekte als Spezialaufgaben vergeben.
- Den Menschen insgesamt sehen: Führung heißt auch, den ärztlichen Mitarbeitenden als ganzen Menschen wahrzunehmen und dies im beruflichen Kontext zu berücksichtigen: Gibt es besondere gesundheitliche oder familiäre Herausforderungen oder gibt es sogar Belastungen? Mit einer entsprechenden Begleitung und Entlastungen können Führungskräfte gezielt berufliche Aufstiege insbesondere auch von jungen Ärztinnen ermöglichen. Dabei gilt es auch, die jeweiligen zentralen Programme der Klinik, zum Beispiel separate Förderprogramme oder Angebote bei der Kinderbetreuung, gezielt zu nutzen.
- Mitarbeitenden Freiräume schaffen: Führungskräfte sollten den Mut haben, neue Strukturen zu ermöglichen, Empowerment bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu fördern und sie mit ihren individuellen Ideen einzubinden. Dafür bedarf es im Arbeitsalltag Zeitfenster und Freiräume, zum Beispiel in regelmäßigen Teamsitzungen oder separaten Formaten. Viele Beispiele lassen sich unter dem Stichwort New Work finden: individuelle Angebote für die jeweiligen Bedürfnisse, wie Freizeitausgleich, Sabbaticals, späterer Arbeitsbeginn an bestimmten Tagen in der Woche, Reduzierung der Arbeitszeit ab einem bestimmten Alter oder Langzeitkonten.
- Fachliche Unterstützung annehmen und einfordern: Führung kann nicht alles und sie ist nicht allen quasi mit der Geburt gegeben. Daher ist es wichtig, für Unterstützung offen zu sein und diese auch einzufordern: Unterstützung und Fachgespräche mit der Personalabteilung, der Gleichstellungsbeauftragten, den Personal- und Betriebsräten oder einer externen Beratung. Ärztliche Führungskräfte stehen nicht allein und können sich gerade im Netzwerk richtig entfalten. Viele Kliniken bieten spezifische Führungskräfteprogramme und weitere flankierende Maßnahmen wie Coachings an.
Letztendlich geht es beim Thema Personalbindung auch um einen Transformationsprozess: Wenn alle wollen, können neue Systeme entstehen, die attraktiv für ärztliche Mitarbeitende sind. Damit wird eine transformationale Führung gelebt und die Zukunft aktiv gestaltet: zukunftsfähige, nachhaltige, unbürokratische, berufs- und hierarchieübergreifende Arbeitssysteme können entstehen.
Dtsch Arztebl 2024; 121(15): [2]
Das Autorenteam
Dr. Thomas Hurlebaus
Bereich Personal, Recht und Compliance, Universitätsklinikum
Leipzig, 04103 Leipzig
Dr. Gunhild Küpper
Health Care Consulting, 50996 Köln