Prof. Adelheid Kuhlmey: „Interprofessionelles Arbeiten im Krankenhaus gibt es nicht umsonst“

10 November, 2021 - 07:46
Miriam Mirza
Zusammenarbeit, Ärzteteam

Die Arbeit im Krankenhaus ist in den letzten Jahren immer komplexer geworden, die Ansprüche an die Mitarbeitenden steigen. Um Überlastungen vorzubeugen und gleichzeitig die Versorgungsqualität zu steigern, braucht es interprofessionelle Teams in Krankenhäusern, sagt Prof. Adelheid Kuhlmey, Direktorin Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité.

Was macht interprofessionelles Arbeiten im Krankenhaus aus?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Wenn man sich anschaut, wie Versorgung im Krankenhaus in den letzten einhundert Jahren vonstattenging, stellt man fest, dass die Arbeit immer arbeitsteiliger und spezialisierter geworden ist. Eigentlich geht diesen aktuellen Forderungen nach interprofessionellem Arbeiten und guter kooperativer Zusammenarbeit ein langer Prozess von einer verstärkten Subsspezialisierung von Fachexpertinnen und -experten voraus. Letztlich geht es aber immer um ein Ziel, nämlich die bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten. Darum ist beim interprofessionellen Arbeiten im Krankenhaus wichtig, sich daran zu orientieren und die Kompetenzen aller Professionen in einem interprofessionellen Team unter dieser Zielführung zusammenzubringen.

Hat das nicht auch den Nebeneffekt, die Ärztinnen und Ärzte zu entlasten? Und wie erreicht man das?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Ja sicher, es ist eine Entlastung. Jede Profession sollte sich am Ziel der guten Patientenversorgung orientieren, dann kann jede Person das machen, wofür sie ausgebildet wurde und was sie am besten kann. So muss sie nicht noch hunderte andere Nebentätigkeiten ausüben. Das entlastet natürlich die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte, weil sie sich ganz auf ihre Professionalität konzentrieren können. Aber in so großen arbeitsteiligen Prozessen bringt das eine Entlastung für jede beteiligte Berufsgruppe.

01.12.2023, Privatklinik ¿Athleticum am Volkspark GmbH¿
Hamburg
01.12.2023, Medilys Laborgesellschaft mbH
Hamburg

Was brauchen Ärztinnen und Ärzte, damit sie sich auf diese Art zu arbeiten einlassen können?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Das ist kein Selbstläufer, denn Ärztinnen und Ärzte müssen wissen, was die Pflege oder die Therapeuten und Therapeutinnen können. Sie müssen gelernt haben, abzugeben, brauchen aber auf der anderen Seite die Sicherheit, dass Aufgaben in ihrem Sinne erledigt werden.

Soviel zur Theorie, allerdings sieht es bei den Krankenhäusern mit dem interprofessionellen Arbeiten aktuell noch nicht so gut aus. Woran liegt es das?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Ja, da muss noch einiges getan werden. Man hat vielleicht zu lange gedacht, dass sich interprofessionelles Arbeiten von selbst ergibt. Jede Profession hat zwar eigene Spezialisierungen, aber die Spezialisten arbeiten einfach zusammen. So geht es aber nicht. Man muss voneinander wissen, was der andere kann und man muss sich aufeinander verlassen können, wenn man Arbeit abgibt. Das geht nicht ohne Übung und die Einrichtung entsprechender Strukturen, die ein solches Arbeiten fördern.

Und wie genau kann man Interprofessionalität fördern?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Am besten übt man diese schon in der Ausbildung und im Studium ein. Interprofessionalität bekommt man nicht umsonst. Dazu braucht es Investitionen. Man muss Strukturen anpassen und die Professionen zusammenführen, ihnen Räume bieten. Das geht bis hin zu baulichen Planungen. Es gibt beispielsweise Studien, die belegen, dass die Zusammenarbeit in Teams aus Ärzten und Ärztinnen, Krankenpflegerinnen und -pflegern, Therapeutinnen und Therapeuten besser geht, wenn sie sich in einem gemeinsamen Frühstücksraum austauschen können.

Was wäre denn vonseiten der Krankenhäuser zu tun, damit interprofessionelles Arbeiten funktioniert?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Ich habe ja eben das Beispiel vom Frühstücksraum angesprochen – die baulichen Maßnahmen sind vielleicht eher die Spitze des Eisbergs. Aber auch darauf sollte beim Aus-, Umbau oder Bau einer Klinik geachtet werden. Am besten führt man Interprofessionalität schon in der Ausbildung ein. Die Häuser sollten interdisziplinäre Lehrstationen einrichten, wie wir das hier an der Charité tun. Das wollen übrigens auch die Studierenden. Sie wünschen sich Lehrstationen, wo sie interprofessionell und mit möglichst großer Eigenverantwortung lernen können. Außerdem können Krankenhäuser in der Fort- und Weiterbildung darauf achten, dass Themen, bei denen sich das anbietet, für interprofessionelle Teams angeboten werden: beispielsweise der Umgang mit Notfällen oder Hygienemaßnahmen. Und schließlich sollten Teams und deren Management interprofessionell besetzt werden. Hier sollte man sich Fragen stellen wie: Was haben wir für Leitungsstrukturen? Wie können wir eine gute Kommunikation zwischen den Beteiligten erreichen? Planen wir Zeiten ein, in denen sich interprofessionelle Teams austauschen können?

Was ist mit der Leitungsebene eines Krankenhauses? Sollte die nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Absolut. Interprofessionalität sollte man auf jeder Hierarchieebene möglichst gut abbilden. Man kann nicht einfach nur ein Stationsteam so arbeiten lassen. Man muss auch die Führungskräfte interprofessionell zusammenbringen.

Was passiert mit den Krankenhäusern, die den Anschluss an diese Entwicklung verpassen?

Prof. Adelheid Kuhlmey: Ich denke, es wäre ein klassischer Fehler, zu glauben, dass bei dem hohen Grad an Subsspezialisierung, den wir heute haben, Interprofessionalität keine Rolle spielt. Dafür spricht auch die Studienlage. Die zeigt nämlich, dass es in Teams, in denen interprofessionell gut zusammengearbeitet wird, eine viel höhere Zufriedenheit gibt. Darüber hinaus belegen internationale Studien, dass die Qualität der Versorgung eine bessere ist. Es gibt weniger Rücküberweisungen in die Kliniken, Drehtüreffekte – bis hin zu einer niedrigeren Mortalitätsrate.

Die Expertin:

Prof. Adelheid Kuhlmey

Prof. Dr. phil. Adelheid Kuhlmey ist Medizinsoziologin und Gerontologin. Dabei ist sie unter anderem auf die Professionalisierung, Akademisierung und Berufschancen in Gesundheitsberufen spezialisiert. Sie ist Direktorin Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité in Berlin.

Bild: © Charité/Peitz

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