Psychologische Sicherheit: Wie medizinische Teams erfolgreich arbeiten

19 März, 2024 - 07:08
Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Symbolbild Teamwork

Nach Simon Sinek ist ein Team nicht eine Gruppe von Menschen, die zusammenarbeiten, sondern eine Gruppe von Menschen, die einander vertrauen. Psychologische Sicherheit wird nur dann nachhaltig gestärkt, wenn sich jedes Teammitglied respektiert und gehört fühlt.

Die Organisationspsychologin Amy Edmondson prägte den Begriff Psychologische Sicherheit in den 1990er-Jahren. Sie wies dessen Schlüsselrolle für nachhaltige Zusammenarbeit, Innovation und Leistungsoptimierung im Arbeitsumfeld nach. Die medizinische Forschung hat inzwischen belegt, dass sich psychologische Sicherheit in vier Dimensionen positiv auswirkt:

  • Fehlerkultur und kontinuierliches Lernen: Psychologische Sicherheit ermutigt dazu, offen über Fehler zu sprechen, ohne Furcht vor Konsequenzen. Dies fördert eine Lernkultur und trägt dazu bei, die Patientenversorgung zu verbessern.
  • Teamarbeit und Kommunikation: In Teams mit hoher psychologischer Sicherheit teilen Mitglieder Meinungen und Bedenken offen. Das unterstützt effektive Kommunikation und ermöglicht es, potenzielle Probleme frühzeitig zu identifizieren.
  • Stressreduktion und Wohlbefinden: Ein unterstützendes Umfeld wirkt stressreduzierend und mindert die Anfälligkeit für Burn-out und psychische Belastungen.
  • Innovation und Qualitätsverbesserung: Psychologische Sicherheit fördert Kreativität und Innovationsbereitschaft. Mitarbeitende, die sich sicher fühlen, bringen neue Ideen ein, was die Qualität kontinuierlich verbessert.

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Frühzeitig psychologische Unsicherheit erkennen

Psychologische Sicherheit wirkt sich positiv auf Qualitätsmanagement, Wirtschaftlichkeit und Mitarbeiterentwicklung aus. Um jedoch nachhaltig von diesen Erkenntnissen zu profitieren, ist entscheidend, frühzeitig psychologische Unsicherheit im Team zu erkennen. Dies erfordert eine sensibilisierte Wahrnehmung für Anzeichen von Unsicherheit.

Konkrete Hinweise für psychologische Unsicherheit am Arbeitsplatz sind: Mangel an spontaner Kommunikation im Team, das Zögern, Ideen und Bedenken zu teilen, Dominanz von Hierarchien, die die Kommunikation behindern, häufige Missverständnisse oder unklare Anweisungen. Mögliche Hinweise sind: hohe Mitarbeiterfluktuation oder häufige ungeplante Abwesenheiten, fehlende informelle Kommunikation, Mangel an Ideen, Prozessverbesserungen oder innovativen Projekten, geringe Bereitschaft der Mitarbeitenden, eigenständig neue Projekte zu starten.

Direkte Auswirkungen auf die Patientensicherheit

Ein eindrückliches Beispiel verdeutlicht die Konsequenzen des Fehlens psychologischer Sicherheit in medizinischen Teams: In einem Krankenhaus arbeitet ein interprofessionelles Team im OP zusammen. Aufgrund von Hierarchien und mangelnder offener Kommunikation fühlen sich die Teammitglieder unsicher, Bedenken zu äußern. Ein junger Krankenpfleger hat ernsthafte Bedenken bezüglich der Narkoseeinleitung eines im Vorfeld spontan eingetrübten Patienten, zögert jedoch diese aus Angst vor negativen Reaktionen der erfahreneren Teammitglieder zu äußern. Dies verzögert das Erkennen und Behandeln einer Hirnblutung des Patienten und letztlich einen schwerwiegenden Patientenschaden. Daraus lässt sich ableiten, dass das Fehlen von psychologischer Sicherheit im Team nicht nur das Arbeitsklima beeinträchtigt, sondern sich auch auf die Patientensicherheit auswirkt. Förderlich ist, Systeme einzurichten, die es Mitarbeitenden ermöglichen, Bedenken oder Verbesserungsvorschläge anonym zu äußern. Valide Instrumente sind geschützte Meldesysteme bei Compliance-Verstößen und auch Critical Incident Reporting Systems (CIRS). Beide erhöhen auch Rechtssicherheit und Versorgungsqualität.

Kommunikation, Fehlerkultur, Teamentwicklung

Um psychologische Sicherheit in medizinischen Teams zu fördern, bieten sich Elemente aus drei Maßnahmenbündeln an:

  • Kommunikation: Etablierung regelmäßiger Teammeetings für den offenen Austausch, Ermutigung zum aktiven Zuhören und konstruktiven Feedback, Schulungen für effektive Kommunikationsfähigkeiten.
  • Fehlerkultur: Einführung fallbasierter Besprechungen ohne Schuldzuweisungen, Entwicklung anonymer Melde- und Lernsysteme, Implementierung von Schulungsprogrammen zur Förderung einer Lernkultur.
  • Teamentwicklung: Teambuilding-Aktivitäten zur Stärkung des Vertrauens, Förderung teamübergreifender Aktivitäten zur Verbesserung der Zusammenarbeit, Integration von Reflexionszeiten für gemeinsame Erfolge und Lösungen.

Mentoring-Programme sind ein wirksames Instrument, um diese drei Bündel zu adressieren. Mentoring bietet Mitarbeitenden neben der fachlichen und emotionalen Unterstützung eine Grundlage für die kulturelle Prägung und fördert den Wissensaustausch. Dabei hat sich nicht nur die klassische Rollenverteilung „Jung profitiert von Alt“ etabliert. Das inverse Mentoring ist ein wirksames Instrument, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Spätestens, wenn es um den Aufbau abteilungseigener Aktivitäten in der Digitalisierung geht, dreht sich das Kompetenzgefälle schnell um.

Aus projektbezogener Zusammenarbeit und Vernetzung erwachsen Teambuilding und psychologische Sicherheit mit geeigneten Gelegenheiten für Anerkennung und Lob. Denn regelmäßige Anerkennung und Lob für gute Leistungen schaffen ein positives Arbeitsumfeld und stärken das Selbstwertgefühl der Mitarbeitenden. Solche Teambuilding-Aktivitäten stärken das Vertrauen und die Zusammenarbeit im Team und verhindern potenzielle Konflikte frühzeitig.

Nachhaltig verbesserte Arbeitsbedingungen

Die besprochenen Maßnahmenbündel zielen nicht nur auf eine Steigerung der psychologischen Sicherheit ab, sondern auch auf die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Patientenversorgung. Ihre Umsetzung erfordert die Zusammenarbeit aller Teammitglieder unter einer unterstützenden Führung. Nur in einem Umfeld, in dem sich alle respektiert fühlen, wird die psychologische Sicherheit gestärkt. In der nicht nur inhaltlich, sondern oft auch emotional aufgeladenen Arbeitswelt im Krankenhaus ist psychologische Sicherheit nicht nur eine theoretische Konzeption. Die kulturelle Verpflichtung zur psychologischen Sicherheit ist essenzieller Bestandteil für den Erfolg medizinischer Teams mit dem Ziel einer optimalen Patientenversorgung.

Der Autor:

Prof. Dr. med. Alexander Ghanem
Chefarzt Innere Medizin II
Kardiologie & internistische Intensivmedizin
Asklepios Klinik Nord
22417 Hamburg

Dtsch Arztebl 2024; 121(6): [2]

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