Recht: Fachliche Weisungen unter Ärztinnen und Ärzten – wer darf was?

3 September, 2024 - 07:24
Dr. iur. Torsten Nölling
Juristische Symbole, Ordner "Weisungsrecht"

Die „Weisungsfreiheit in ärztlichen Angelegenheiten“ ist in den Berufsordnungen geregelt und weithin bekannt. Danach dürfen Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen. Wie aber steht es mit fachlichen Weisungen ärztlicher Vorgesetzter?

"Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein Freier Beruf“, heißt es in § 1 Abs. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO). Das ist die Grundlage des ärztlichen Selbstverständnisses, allein dem Wohl des Patienten verpflichtet zu sein und in der ärztlichen Tätigkeit weisungsfrei zu arbeiten. Diese gesetzlich normierte Freiheit steht im Spannungsverhältnis zur Hierarchie in medizinischen Einrichtungen. Darf die Chefärztin den Oberarzt anweisen, mit welcher Methode er eine Operation durchzuführen hat? Darf der Oberarzt der Assistenzärztin vorschreiben, welche Knotentechnik sie beim Wundverschluss anzuwenden hat? Während im Arbeitsleben ein disziplinarisches und fachliches Weisungsrecht der Vorgesetzten bis in die letzten Details gesetzlich anerkannt und mitunter üblich ist, ist das fachliche Weisungsrecht auch für ärztliche Vorgesetzte eingeschränkt.

Klinikärzte: Weisungsgebundene Arbeitnehmende

Niedergelassene Ärzte in eigener Praxis arbeiten selbstständig und damit weisungsfrei. Klinikärzte sowie Ärzte in MVZ und in Praxen anderer Ärzte hingegen werden in einem Beschäftigungsverhältnis und damit als Arbeitnehmende tätig. Arbeitnehmende sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts alle, die aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen verpflichtet sind, weisungsgebundene fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten. Dieses allgemeine Weisungsrecht, das auf § 106 der Gewerbeordnung zurückgeht, gilt auch für angestellte Ärzte. Das bedeutet zunächst, dass Arbeitgeber Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit „nach billigem Ermessen“ festlegen dürfen. Das heißt, die Qualifikation und Interessen der Arbeitnehmenden und des Arbeitgebers sind bei der konkreten Weisung zu berücksichtigen.

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Fachliche versus disziplinarische Weisung

Vor dem Hintergrund der Regelung der Berufsordnungen, wonach Ärztinnen und Ärzte keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen dürfen, ist dieses allgemeine Weisungsrecht zu unterteilen in ein disziplinarisches und ein fachliches. Das disziplinarische Weisungsrecht umfasst alle Aspekte, die unabhängig von der beruflichen Qualifikation und Tätigkeit sind und auch bei allen anderen nichtärztlichen Arbeitnehmenden gelten, zum Beispiel Weisungen zum Erholungsurlaub, zur Arbeitszeit oder Außenkommunikation. Das disziplinarische Weisungsrecht hat der disziplinarische Dienstvorgesetzte. In Krankenhäusern ist das regelhaft die Geschäftsführung, oft vertreten durch die Personalabteilung. Fachlich vorgesetzt sind hingegen immer Ärztinnen und Ärzte, etwa Ärztliche Direktoren, Chefärztinnen oder Leiter von Abteilungen oder sonstigen medizinisch selbstständigen Organisationseinheiten. Sobald es einen medizinisch-ärztlichen Fachbezug gibt, übt der fachlich Vorgesetzte das Weisungsrecht aus. Dies ist der Fall, wenn es um die Behandlung eines konkreten Patienten geht. Aber auch übergeordnete Weisungen, wie der Erlass von SOPs (Standard Operation Procedures) für bestimmte, wiederkehrende Behandlungsabläufe, erteilen allein die Fachvorgesetzten.

Die Aufspaltung in ein disziplinarisches und ein fachliches Weisungsrecht trägt der Vorgabe der Berufsordnungen Rechnung, wonach Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen dürfen. Doch die Vorgabe der BÄO, wonach der ärztliche Beruf ein „freier Beruf“ ist, wird durch diese Aufteilung nicht ausreichend umgesetzt. Denn wenn ein anderer Arzt eine Weisung erteilt, würde die Therapiefreiheit des behandelnden Arztes durch ein unbegrenztes Weisungsrecht des fachlich Vorgesetzten unzulässig eingeschränkt.

Fachliche Weisung während der Weiterbildung

Mit der Approbation sind Ärztinnen und Ärzte berechtigt, jegliche ärztliche Tätigkeit auszuüben. Allein sind sie verpflichtet, den jeweiligen medizinischen Standard einzuhalten. Diese oft auch als „Facharztstandard“ bezeichnete Anforderung zu erfüllen, bedeutet eine Behandlung lege artis. Dabei ist zwischen Facharztstandard und dem von den Ärztekammern im Anschluss an eine Weiterbildung verliehenen Facharztstatus zu unterscheiden. Facharztstandard ist das, was von einem Arzt mit Facharztstatus erwartet wird.

Dieser Facharztstandard kann von einem Weiterbildungsassistenten bereits erreicht sein und von einem Facharzt unterschritten werden. Während der Weiterbildung obliegt es dem weiterbildungsberechtigten Arzt sicherzustellen, dass der Weiterbildungsassistent diesen Facharztstandard in der Behandlung einhält. Denn die Behandlung muss immer lege artis erfolgen und damit dem Facharztstandard entsprechen – egal ob der konkret tätige Arzt „nur“ über eine Approbation verfügt oder über einen Facharztstatus. In dieser Konstellation verfügt der fachliche Vorgesetzte daher über ein weitreichendes Weisungsrecht gegenüber dem Weiterbildungsassistenten, welches auch Detailweisungen zur Art und Weise der Ausführung der ärztlichen Behandlung umfasst. Je weiter fortgeschritten der Weiterbildungsassistent in der Weiterbildung ist und je mehr seine Fähigkeiten dem Facharztstandard entsprechen, desto weniger dürfen Weisungen im Detail erfolgen.

Fachliche Weisung gegenüber Fachärzten

Das fachliche Weisungsrecht gegenüber Fachärztinnen und Fachärzten ist darauf reduziert, ihnen bestimmte Tätigkeiten und Aufgaben zu übertragen, die sie eigenständig erledigen. Vorausgesetzt, sie bieten die Gewähr, den Facharztstandard einzuhalten. Daran ändert auch die Letztverantwortung von Chefärzten nichts, denn diese verlangt gegenüber Fachärzten nur zu prüfen, ob nachgeordnete Ärzte die Anforderungen erfüllen, ohne dass jede einzelne Handlung überwacht werden muss. Je qualifizierter nachgeordnete Ärztinnen und Ärzte sind, desto geringer ist der Spielraum, ihnen Weisungen erteilen zu dürfen. Beherrscht zum Beispiel eine Oberärztin eine bestimmte, dem medizinischen Standard entsprechende Operationsmethode, die die Chefärztin nicht „gerne sieht“, darf diese der Oberärztin nicht vorschreiben, nach einer ihr genehmen Methode vorzugehen.

Dtsch Arztebl 2024; 121(18): [2]

Der Autor:

Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Nölling – Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig

Infos und Kontakt: www.ra-noelling.de

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