
Die Möglichkeit zur Videokonsultation bietet ihre Reize – für Ärzte wie Patienten. Doch wie so oft folgen neuen Techniken auch schnell rechtliche Konsequenzen, derer sich Behandelnde bewusst sein sollten.
Während der Videosprechstunde steht der Arzt seinen Patienten in einer persönlichen bidirektionalen Videoübertragung zur Verfügung. Beide sehen sich, sind aber nicht am selben Ort. Sie unterscheidet sich vom Telekonsil, bei dem die Konsultation durch einen unmittelbar mit dem Patienten in Kontakt stehenden Arzt vermittelt wird.
Variante der Fernbehandlung
Die Videosprechstunde wird zwar in verschiedenen Gesetzen erwähnt, aber nicht definiert. Sie ist eine Variante der Fernbehandlung. Fernbehandlung ist das Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Der Arzt geht individuell und konkret auf die Beschwerden seines Patienten ein, ohne ihn physisch gesehen zu haben.
Auch wenn die Videosprechstunde die Möglichkeit suggeriert, den Patienten visuell zu betrachten, so darf sich der Arzt nicht über die Einschränkungen täuschen lassen. Denn dem Arzt fehlen seine weiteren Sinne, also Tasten, Hören, Riechen und in wohl eher seltenen Fällen auch Schmecken. Wie beispielsweise soll ein Arzt in seiner Videosprechstunde einen „akuten Bauch“ oder Azetongeruch in der Ausatemluft wahrnehmen? Darüber hinaus wird selbst die visuelle Wahrnehmung durch den Blickwinkel der Kamera und die fehlende Farbechtheit verfälscht.
Neuerungen im Berufsrecht
Vor allem das Berufsrecht erwies sich daher hinsichtlich der Fernbehandlung als äußerst zurückhaltend. Ärzte sollten von anwesenden Patienten ein unmittelbares Bild durch eigene Wahrnehmungen gewinnen. Die ausschließliche Fernbehandlung war berufsrechtlich verboten. Wesentliche Neuerungen brachten im Jahr 2018 die Änderungen der (Muster-)Berufsordnung-Ärzte (MBO-Ä) in § 7 Abs. 4 mit sich, die allerdings noch von den jeweiligen Landesärztekammern übernommen werden mussten. Eine einheitliche Fassung hat sich in den Berufsordnungen nicht durchgesetzt, sodass jeder Arzt weiterhin die jeweilige Berufsordnung konsultieren muss. Soweit sich eine Landesberufsordnung als zu restriktiv erweist, muss dies jedoch gut begründet sein, um einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standzuhalten. Für Psychologische Psychotherapeuten wird zumindest für Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung weiterhin die physische Anwesenheit der Patienten vorausgesetzt (§ 5 Abs. 5 Satz 3 MBO-PsychTh).
Noch heute präferieren die Berufsordnungen eine Behandlung im persönlichen Kontakt unter Anwesenden. Kommunikationsmedien sollen demnach lediglich als Unterstützung dienen. Die ausschließliche Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien sind nach der (Muster-)Berufsordnung-rzte nur im Einzelfall gestattet. Sie sollen nur zulässig sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewahrt bleibt. Dies gilt insbesondere für die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung und Dokumentation. Der Patient ist dabei über die Besonderheiten und eingeschränkten Möglichkeiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung mittels Kommunikationsmedien aufzuklären. Diese Vorgaben sollten Ärzte beherzigen, wird doch die Videosprechstunde auch künftig nicht den Gold-Standard darstellen. Gold-Standard bleibt der persönliche Kontakt vor Ort.
Auf selbst erhobene Befunde von Patienten dürfen Ärzte nur eingeschränkt vertrauen. Messungen eines Laien müssen Ärzte kritisch hinterfragen, solange ihnen weder die Geräte, deren Zustand noch die Qualifikation des Anwenders sowie die Anwendung als solche bekannt sind. Anzumerken bleibt, dass sich die eigene Haftung kaum durch einen Disclaimer ausschließen lässt, der darauf hinweist, dass die Auskunft bloß eine allgemeine Information sei und man sich im Zweifel an einen Arzt vor Ort wenden solle. Ob auch die Aufklärung in einer Videosprechstunde möglich ist, ist im Einzelfall zu bewerten. Der Bundesgerichtshof scheint die fernmündliche Aufklärung bislang nur in besonderen Einzelfällen für ausreichend zu erachten.
Regelungen und Vorgaben
Ärzte dürfen Arbeitsunfähigkeit (AU) grundsätzlich nur aufgrund einer unmittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung feststellen. Jedoch gibt die AU-Richtlinie unter festgelegten Voraussetzungen auch die Feststellung im Rahmen einer Videosprechstunde frei. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Denn neben den weitreichenden zivil- und sozialrechtlichen Folgen kann das Ausstellen einer AU-Bescheinigung ohne ärztliche Untersuchung einen Straftatbestand erfüllen (§ 278 StGB).
Für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) enthält der Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) in Anlage 31 b Vorgaben zur Videosprechstunde. Die Vereinbarung regelt die Anforderungen an die technischen Verfahren, um Videosprechstunden in der vertragsärztlichen Versorgung durchzuführen, einschließlich Einzelheiten hinsichtlich der Qualität und der Sicherheit sowie der Anforderungen an die technische Umsetzung. Die Vorgaben sind zu beachten, auch um finanzielle Regresse durch die Kostenträger zu vermeiden. Dabei erlaubt die GKV den Videokontakt selbst mit bisher unbekannten Patienten. Dennoch müssen Ärzte weiterhin das für sie einschlägige Berufsrecht beachten.
Zudem enthält Anlage 31 b einige besondere Anforderungen an den Videodienstanbieter. Das betrifft vor allem die Anforderungen, um Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten zu gewährleisten. Zertifizierte Anbieter sind in einem Videodienstanbieterverzeichnis gelistet. Vor der ersten Videosprechstunde zu klären sind mindestens die datenschutzrechtliche Verantwortung und die damit einhergehenden datenschutzrechtlichen Anforderungen. Eine Datenschutz-Folgenabschätzung dürfte zweckmäßig sein, in Abhängigkeit von der Verantwortlichkeit des Plattformbetreibers.
Grenzen zulässiger Werbung
Werbung für eine Fernbehandlung ist unzulässig. Sie ist jedoch dann zulässig, wenn ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nach allgemein anerkannten fachlichen Standards nicht erforderlich ist. Diese Ausnahme brachte erst das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) Ende des Jahres 2019 mit sich. Die Grenzen zulässiger Werbung wird die Rechtsprechung zeigen.
Dtsch Arztebl 2021; 118(6): [2]
Der Autor:
Dr. Andreas Staufer
Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und für Informationstechnologierecht
FASP Finck Sigl & Partner
80336 München