Recht: Wann Durchgangsärzte selbst haften

4 März, 2025 - 07:39
Dr. iur. Torsten Nölling
Symbolbild Medizinrecht

Durchgangsärzte, kurz D-Ärzte, sind zuständig bei Arbeits- und Wegeunfällen. Sie übernehmen die Erstversorgung und entscheiden über die Weiterbehandlung. Kommt es dabei zu einem Fehler, haften nicht sie, sondern der Unfallversicherungsträger. Doch wo genau die Grenze verläuft, ist seit Jahren umstritten.

Üblicherweise schließen Ärzte mit ihren Patienten Behandlungsverträge, nach denen sie im Falle eines Behandlungsfehlers privatrechtlich haften, unabhängig vom Versichertenstatus der Patienten (§ 630 a BGB). Hinzu kommt die deliktische Haftung, die den Arzt persönlich trifft (§ 823 BGB). Anders verhält es sich mitunter bei D-Ärzten. Wenn ein D-Arzt oder eine D-Ärztin während der sogenannten besonderen Heilbehandlung einen Patienten zum Beispiel elektiv operiert, erfüllt er oder sie damit einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag und haftet auch persönlich. Hingegen werden D-Ärzte während der behandlungsleitenden Entscheidung und der Erstversorgung im Auftrag des Unfallversicherungsträgers und damit hoheitlich tätig. Für etwaige Fehler haftet dann der Unfallversicherungsträger. Nur in Ausnahmefällen, insbesondere bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, ist eine mittelbare Haftung in Form eines Regresses möglich.

Bis zum Jahr 2016 differenzierte der Bundesgerichtshof (BGH) danach, ob D-Ärzte behandlungsleitend tätig wurden, also über die Frage zu befinden hatten, ob eine „allgemeine“ oder eine „besondere Heilbehandlung“ erforderlich ist oder ob sie die für diese Entscheidung erforderlichen ärztlichen Tätigkeiten, zum Beispiel Diagnostik oder Erstversorgung, durchführten. Nach Einschätzung der Richter waren sonstige Tätigkeiten, also insbesondere die Erstversorgung und die Befunderhebung, als Heilbehandlung von D-Ärzten persönlich zu verantworten, während sie die behandlungsleitende Entscheidung als hoheitliche Tätigkeit einstuften.

BGH: Grundsätzlich neue Rechtsprechung ab 2016

Mit zwei wegweisenden Urteilen verabschiedete sich der BGH im Jahr 2016 von dieser Rechtsprechung und formulierte eine einheitlich hoheitliche Tätigkeit von D-Ärzten, mit dem Argument eines einheitlichen Lebenssachverhalts, der nicht künstlich aufgespalten werden dürfe (BGH-Urteil vom 30. Juli 2024, Az. VI ZR 115/22). Da sich deren Tätigkeit als einheitliches Geschehen darstelle, sei ausnahmsweise nicht nur die behandlungsleitende Entscheidung, sondern auch die dafür erforderliche Befunderhebung und die Erstversorgung hoheitlich, obwohl es sich bei diesen Tätigkeiten um Heilbehandlung handele (§ 27 SGB VII).

D-Ärzte werden bei diesen Aufgaben für einen Unfallversicherungsträger tätig, unabhängig davon, ob sie daneben selbstständig oder abhängig beschäftigt arbeiten. Sie erfüllen in Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Amts also immer nur die Aufgaben des Unfallversicherungsträgers. Diese Haftungsprivilegierung greift jedoch nur, so lange D-Ärzte noch nicht über die Art der Weiterbehandlung entschieden haben (Art. 34 GG, § 839 BGB). Sobald sie diese Entscheidung getroffen haben, endet die hoheitliche Tätigkeit. Führen D-Ärzte die sich anschließende besondere Heilbehandlung selbst durch, haften sie privatrechtlich aus dem Behandlungsvertrag.

Hoheitliche Aufgaben von D-Ärzten

Originär hoheitliche Aufgabe von D-Ärzten ist die Entscheidung über die Weiterbehandlung des Patienten (§ 34 Abs. 3 SGB VII und § 27 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger). Davon umfasst sind alle Untersuchungen, die für eine entsprechende Entscheidung notwendig sind. Diese können beispielsweise das Röntgen von Extremitäten oder die Erhebung einer Anamnese sein. Aber auch die Erstversorgung kann in den Haftungsbereich der Unfallversicherung fallen, sofern es um Maßnahmen geht, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten, wie die Wundversorgung oder Analgesie. Entscheidend ist, dass es um unaufschiebbare Maßnahmen geht, die den Zustand des Patienten verbessern oder zumindest eine weitere Verschlechterung verhindern. Auch eine Operation kann Teil der Erstversorgung sein, sofern es sich um eine notwendige, unaufschiebbare Behandlung, faktisch also um eine Not-OP, handelt. Sofern die OP erst mit einer zeitlichen Zäsur zum Erstkontakt erfolgt, wird die Operation nicht mehr der Erstversorgung zugeordnet, sondern der besonderen Heilbehandlung. Die Haftung liegt beim Arzt oder der Ärztin. Auch die Eingangsuntersuchung zur Diagnosestellung zählt zu den hoheitlichen Aufgaben von D-Ärzten, da diese im unmittelbaren Zusammenhang mit einer möglichen Weiterbehandlung steht.

Weiterhin Unklarheiten in Zweifelsfällen

Die Änderung der Rechtsprechung bringt einige Unklarheiten in Zweifelsfällen mit sich. Weitere Urteile müssen wohl abgewartet werden, um diese zu klären. Offen ist unter anderem der Umgang mit Folgefehlern. Was gilt, wenn eine Patientenschädigung auf einer falschen Diagnosestellung beruht, weil beispielsweise die konkrete besondere Heilbehandlung bei korrekter Indikationsstellung gar nicht indiziert war? Die Rechtsprechung ist in dieser Frage uneinheitlich. Gut begründet ist die Argumentation des OLG Naumburg, wonach es auf einen fiktiven Drittvergleich ankomme (Urteil vom 28. November 2019 – 1 U 75/18). Angenommen, die besondere Heilbehandlung hätte nicht derselbe D-Arzt, sondern ein Dritter durchgeführt: Hätte dieser sich auf die Indikation verlassen dürfen, liegt den Richtern zufolge ein Folgefehler vor, für den der Unfallversicherungsträger haftet, andernfalls der D-Arzt.

Auch eine Mit-Haftung des Arbeitgebers von D-Ärzten ist derzeit noch offen. Während einer stationären Behandlung sprechen die besseren Argumente für eine Haftung des Krankenhausträgers aufgrund des Krankenhausaufnahmevertrags, auch wenn D-Ärzte höchstpersönlich für die Unfallversicherung und nur in ordnungsgemäß am BG-Verfahren beteiligten Krankenhäusern tätig werden dürfen (LG Flensburg, Urteil vom 22. November 2024, Az.: 3 O 324/16). Vor dem Hintergrund der arbeitsrechtlichen Entwicklung, nach der die D-Arzt-Tätigkeit von Krankenhausärzten regelmäßig als Dienstaufgabe definiert wird, für die das Krankenhaus auch bei ambulanter Leistungserbringung die Vergütung erhält, spricht viel dafür, auch in diesen Fällen eine Mit-Haftung des Krankenhausträgers anzunehmen.

Absicherung über eigene Haftpflichtversicherung

Für D-Ärzte besonders wichtig ist die noch offene Frage, ob und in welchem Umfang sie über ihre eigene Haftpflichtversicherung oder die des Krankenhausträgers abgesichert sind, insbesondere, wenn es zu einem Regress des von einem Patienten in Anspruch genommenen Unfallversicherungsträgers kommt.

Dtsch Arztebl 2025; 122(5): [2]

Der Autor:

Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Nölling – Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig

Infos und Kontakt: www.ra-noelling.de

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