
Jugendliche begeben sich mitunter auch ohne elterliche Begleitung in medizinische Behandlung. Für Ärztinnen und Ärzte stellt sich dann die Frage, ob sie Minderjährige nur mit oder auch ohne Einbeziehung und Zustimmung der Eltern behandeln dürfen.
Während im allgemeinen Zivilrecht, also auch beim Abschluss des Behandlungsvertrags (§ 630 a BGB), die sogenannte Geschäftsfähigkeit darüber entscheidet, ob ein Mensch für sich selbst entscheiden darf, insbesondere wirksam Verträge abschließen kann, kommt es bei medizinischen Behandlungen allein darauf an, ob jemand über die sogenannte natürliche Einwilligungsfähigkeit verfügt.
Behandlungsvertrag mit Minderjährigen
Die Geschäftsfähigkeit ist mit dem Eintritt der Volljährigkeit regelhaft gegeben (§ 2 BGB). Kinder ab sieben Jahren gelten als beschränkt geschäftsfähig (§ 107 BGB). Sie können wirksam Verträge schließen, die für sie ausschließlich rechtlich vorteilhaft sind oder die sie mit eigenen Mitteln bewirken können (§ 110 BGB, Taschengeldparagraf). Doch dürfte das Honorar nur in wenigen Fällen so gering ausfallen, dass das Taschengeld von Jugendlichen ausreichen würde, der Zahlungsverpflichtung nachzukommen, die sich aus einem Behandlungsvertrag ergibt. Ein Beispiel dafür dürfte die Kontrazeptionsberatung sein. In allen anderen Fällen wäre ein solcher Vertrag schwebend unwirksam und würde der Genehmigung der Eltern bedürfen (§ 108 BGB).
Bei gesetzlich Versicherten liegt aufgrund des Sachleistungsprinzips in aller Regel ein Vertrag vor, der von beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen abgeschlossen werden kann, da der Zahlungsanspruch sich gegen die Versicherung und die Kassenärztliche Vereinigung richtet. Unzutreffend ist aus Sicht des Autors die in der juristischen Literatur vertretene Auffassung, bei gesetzlich Versicherten sei die Regelung heranzuziehen, wonach Menschen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr Sozialleistungen beanspruchen und entgegennehmen dürfen und damit gesetzlich krankenversicherte Minderjährige erst ab diesem Alter Behandlungsverträge abschließen dürfen (§ 36 SGB I). Denn diese sozialrechtliche Handlungsfähigkeit überlagert nicht die zivilrechtlich zu bestimmende Geschäftsfähigkeit, so dass es für den Abschluss eines Behandlungsvertrags nach § 630 a BGB irrelevant ist, ob Minderjährige die Altersgrenze von 15 Jahren erreicht haben. Sollte ein Behandlungsvertrag mit Minderjährigen nach den genannten Kriterien nicht möglich sein, müssen Ärztinnen und Ärzte diesen mit den gesetzlichen Vertretern der Minderjährigen abschließen.
Aufklärung und Einwilligung in eine Behandlung
Wer aufzuklären ist und wer in eine Behandlung einwilligen muss, entscheidet sich nicht nach der Geschäftsfähigkeit, sondern nach der natürlichen Einwilligungsfähigkeit. Besonders wichtig ist, diese festzustellen, da eine Behandlung ohne wirksame Einwilligung als strafbare Körperverletzung gewertet würde. Die Einwilligungsfähigkeit fällt dabei weder mit der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit noch mit der strafrechtlichen Zurechnungsunfähigkeit zusammen.
Dem Bundesgerichtshof (BGH) zufolge kommt es auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Minderjährigen an, also darauf, ob sie nach ihrer „geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen” vermögen. Es gibt keine starren Altersgrenzen. Ärztinnen und Ärzte können daher bei Minderjährigen weder von einer Einwilligungsfähigkeit ausgehen noch von ihrem Fehlen.
Einwilligungsfähigkeit nur individuell feststellbar
Die Einwilligungsfähigkeit ist vielmehr individuell anhand der Reifenentwicklung der Minderjährigen und der infrage stehenden medizinischen Maßnahmen festzustellen. Dafür bietet sich das Aufklärungsgespräch an. Nur wenn Minderjährige dem Gespräch inhaltlich folgen und weiterführende Fragen stellen oder benötigte Informationen geben können, können Ärztinnen und Ärzte von einer Einwilligungsfähigkeit ausgehen. Eine aus Sicht einer Ärztin „unsinnige” Entscheidung, zum Beispiel gegen die empfohlene Therapie, darf andererseits nicht ohne Weiteres als Zeichen für fehlende Einwilligungsfähigkeit fehlinterpretiert werden. So wie Erwachsene haben auch Minderjährige das Recht auf medizinisch unvernünftige Entscheidungen. Die Entscheidung und die sie untermauernden Erwägungen sollten gut dokumentiert werden.
Umstritten ist, ob bei einwilligungsfähigen Minderjährigen eine zusätzliche Einwilligung und damit auch eine zusätzliche Aufklärung der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist. Während der BGH und einige Stimmen in der juristischen Literatur dies bei relativ indizierten Eingriffen verlangen, sprechen verfassungsrechtliche Argumente für ein Alleinentscheidungsrecht der einwilligungsfähigen Minderjährigen. Denn nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Elternrecht als pflichtgebundenes Recht dem Wohle des Kindes und muss zurücktreten, wenn das Kind ein Alter erreicht, in dem es eine genügende Reife zur selbstständigen Beurteilung der Lebensverhältnisse und zum eigenverantwortlichen Auftreten im Rechtsverkehr erlangt hat. Dabei habe für die Ausübung höchstpersönlicher Rechte der Grundsatz zu gelten, dass der Unmündige, aber schon Urteilsfähige die ihm um seiner Persönlichkeit willen zustehenden Rechte eigenständig ausüben können soll.
Kriterium für Alleinentscheidungsrecht
Nach diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ist das entscheidende Kriterium die Einwilligungsfähigkeit und nicht das Alter. Somit kommt es bei einwilligungsfähigen Minderjährigen allein auf deren Entscheidung an. Die Eltern sind nicht zu beteiligen, die ärztliche Schweigepflicht ist auch gegenüber den Eltern zu wahren. Sind sie anwesend und gibt es eine Meinungsverschiedenheit, kommt es allein auf den Willen des einwilligungsfähigen Minderjährigen an. Nach dieser Rechtsauffassung ist auch keine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen, wie dies bei Meinungsverschiedenheiten unter Eltern eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen erforderlich ist.
Sollte sich im Verlauf des Aufklärungsgesprächs hingegen herausstellen, dass Minderjährige für die konkrete Behandlung nicht einwilligungsfähig sind, sind die gesetzlichen Vertreter entscheidungsberechtigt. Die Minderjährigen sind in die Entscheidung ihrem Reifegrad entsprechend einzubeziehen. Ihnen kann ein Vetorecht zustehen. Verbleiben Zweifel, sollten Ärztinnen und Ärzte vom Fehlen der Einwilligungsfähigkeit ausgehen.
Dtsch Arztebl 2024; 121(24): [2]
Der Autor:
Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Nölling – Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig
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