
Bei der Ausübung ihres Berufs müssen Ärzte zahlreiche Vorschriften beachten. Berufs-, Standes- und Sozialrecht geben ein enges Korsett vor. Vor allem aber wirkt sich das schärfste Schwert des Staates, das Strafrecht, weit mehr auf die Berufsausübung aus, als es auf den ersten Blick scheint.
Jedes Strafverfahren gliedert sich in drei Abschnitte. Nach dem Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft folgt ein sogenanntes Zwischenverfahren, in dem das Gericht prüft, ob die Anklage zugelassen wird. Danach wird das Hauptverfahren eröffnet, erst dann kommt es zum eigentlichen Prozess vor Gericht. Da Betroffene in allen Verfahrensabschnitten bis zur möglichen Verurteilung als unschuldig gelten und die Staatsanwaltschaft nachweisen muss, dass Angeklagte die vorgeworfene Straftat begangen haben, verfolgen Strafverteidiger oft die Taktik, die Verteidigung erst in der Hauptverhandlung vor Gericht aufzunehmen.
Besonderheiten der ärztlichen Tätigkeit
Rein strafrechtlich kann diese Taktik ihre Berechtigung haben, dennoch läuft sie den Interessen von Ärzten regelmäßig zuwider. Denn die oft befürchtete Stigmatisierung in einer öffentlichen Hauptverhandlung wiegt mitunter schwerer als die drohende Strafe. Aber auch die Taktik, den von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angebotenen Strafbefehl zu akzeptieren, um das Verfahren ohne Hauptverhandlung geräuschlos zu beenden, birgt mitunter große Risiken.
Denn ein Strafverfahren und seine Einstellung werden regelhaft der Approbationsbehörde und gegebenenfalls der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gemeldet, auch wenn es um Vorwürfe geht, die nicht mit dem Arztberuf zusammenhängen. Ärzten droht nach Abschluss des Strafverfahrens daher ein berufs- und vertragsarztrechtliches Verfahren, an dessen Ende sie die Approbation und Kassenzulassung verlieren können. Da Ärzte die Feststellungen im Strafbefehl gegen sich gelten lassen müssen, können sie vor dem Berufsgericht kaum erfolgreich argumentieren, sie hätten den Tatvorwurf nur eingeräumt, um das Strafverfahren schnell zu beenden, eigentlich seien sie unschuldig. Auch im Strafverfahren sollten daher die Besonderheiten der ärztlichen Tätigkeit und Regeln des Medizinrechts berücksichtigt werden.
Häufig geht es um Abrechnungsbetrug
Ein Kerndelikt des Medizinstrafrechts ist der Abrechnungsbetrug. Der Straftatbestand nach § 263 des Strafgesetzbuchs (StGB) dient dem Schutz des Vermögens. Hauptsächlich geht es dabei um falsche Privat- oder KV-Abrechnungen, selten um offenkundig kriminelle Handlungen wie das Abrechnen nicht erbrachter Leistungen.
Schon Verstöße gegen die komplizierten Abrechnungsvorschriften des EBM oder fehlende formale Qualifikationen können als Abrechnungsbetrug gewertet werden, selbst wenn die Leistung als solche erforderlich war und dem medizinischen Standard entsprach. Denn im Strafrecht gilt der normative Schadensbegriff. Das bedeutet, wenn Ärzte bei der Leistungserbringung gegen Regelungen des Vertragsarzt-, Berufs- oder des Wettbewerbsrechts verstoßen, ist die Leistung mit einem Makel behaftet und darf nicht abgerechnet werden, auch wenn weder Krankenkassen noch Patienten wirtschaftlich betrachtet einen Schaden erlitten haben. Beispiele dafür sind Verstöße gegen Abrechnungsbestimmungen, Verstöße gegen formale Qualifikationen, Kick-back-Zahlungen oder unzulässige Kooperationen.
Häufig geht es auch um gewerbsmäßigen Betrug mit höherer Strafandrohung. Denn die Taten finden im beruflichen Kontext statt und die unzulässigen Abrechnungen erfolgen häufig regelhaft. Wenn drei oder mehr Personen, zum Beispiel bei Kick-back-Zahlungen, beteiligt sind, kann auch ein höher bestrafter Bandenbetrug infrage kommen. Eine Verurteilung hängt dann oft nur noch an der Frage, ob Betroffenen ein Vorsatz nachgewiesen werden kann; eine fahrlässige Begehung kennt das Strafrecht bei Betrug nicht. Vorsatz liegt vor, wenn Ärzte wissen, dass sie eine Leistung so nicht abrechnen dürfen, sie aber dennoch abrechnen, um sich selbst oder andere zu bereichern. Auch wenn sie erkennen, dass die Rechnung falsch sein könnte und sie sie dennoch abschicken, weil es ihnen egal ist, kann die Grenze zum Vorsatz überschritten sein.
Korruptionsvorschriften des Strafrechts
Für angestellte Ärzte gelten die allgemeinen Korruptionsvorschriften des Strafrechts. Angestellte Ärzte müssen die Regelungen in § 299 StGB beachten. Für Ärzte, die bei öffentlich-rechtlichen Trägern beschäftigt oder die verbeamtet sind, gelten die Amtsdelikte (§§ 331, 332 StGB). Schließlich gilt für alle Ärzte, mithin auch für Vertrags- oder Privatärzte in eigener Niederlassung, § 299 a StGB. Diese Vorschriften dienen dem Schutz des lauteren Wettbewerbs und des Vertrauens der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen und des öffentlichen Dienstes bei Amtsträgern und Beamten. Inhaltlich sind die strafrechtlichen Normen weitgehend deckungsgleich mit dem berufsrechtlichen Korruptionsverbot.
Als Faustregel gilt: Ärzte sind auf der sicheren Seite, wenn sie sich an das Berufsrecht halten und sich zum Beispiel Einladungen der Pharma- oder Medizinprodukteindustrie vom Arbeitgeber genehmigen lassen. Bei Vertragsärzten ist die Abgrenzung schwieriger, zumal der Gesetzgeber selbst Verhaltensweisen fördert, die den Tatbestand der Korruption erfüllen. So wird die erfolgreiche Vermittlung eines Facharzttermins des Haus- oder Kinderarztes im EBM honoriert und ist somit erlaubt. Hingegen verstößt das gleiche Verhalten bei einem Privatpatienten grundsätzlich gegen das Zuweisungsverbot der Musterberufsordnung (§ 31) und das Strafgesetzbuch (§ 299 a).
Aufklärungs- oder Behandlungsfehlervorwurf
Relativ selten sind Strafverfahren gegen Ärzte, die auf einem Aufklärungs- oder Behandlungsfehlervorwurf gründen. Mitunter erstatten Patienten Anzeige, um den Druck im Zivilverfahren zu erhöhen. Gerade wenn keine spezialisierten Ermittler involviert sind, obliegt es Ärzten und ihren Verteidigern, dafür zu sorgen, dass die Staatsanwaltschaft ausreichendes medizinische Verständnis erlangt. Wichtig ist die Wahl des Sachverständigen. Staatsanwaltschaften beauftragen gern Rechtsmediziner. Oft ist es besser, einen Gutachter aus dem patientenversorgenden Fachgebiet zu befragen. In diesen Fällen sollte erwogen werden, einen Privatgutachter zu beauftragen.
Dtsch Arztebl 2023; 120(19): [2]
Der Autor:
Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig